Andreas Pflüger verrät „Wie Sterben geht“

Inzwischen hat Andreas Pflügers neuer Polit-Thriller „Wie Sterben geht“ den Deutschen Krimipreis erhalten und, nachdem er einmal auf dem ersten Platz der monatlichen Krimibestenliste stand, steht er auf dem siebten Platz der daraus entstandenen Jahreskrimibestenliste. Das ist der beste Platz für einen deutschen Kriminalroman.

In der Krimibestenliste wird der Agententhriller als „Meisterwerk des deutschen John le Carré“ abgefeiert. Das ist so werbewirksam, wie falsch. Denn beim Lesen dachte ich fast nie an John le Carré. Aber weil alle John le Carré kennen, wird jeder Spionageroman, der sich um einen realistischen Anstrich als ein James-Bond-Kinoabenteuer bemüht und jeder Autor, der auf einem gewissen Niveau über Agenten schreibt, mit John le Carré verglichen.

Im Mittelpunkt von Andreas Pflügers neuem Agentenroman steht die junge BND-Agentin Nina Winter, Deckname Elsa Opel. 1983 soll sie in Berlin auf der Glienicker Brücker bei einem Agentenaustausch dabei sein. Nur sie kann die Identität von Rem Kukura, Deckname Pilger, bestätigen.

Während des Austauschs wird ein Anschlag verübt. Winter landet in der Spree – und Andreas Pflüger springt drei Jahre zurück zu dem Moment, als Nina Winter den Auftrag erhält nach Moskau zu gehen und den hochrangigen KGB-Offizier Rem Kukura zu kontaktieren. Dieser war für den deutschen Geheimdienst in den vergangenen sieben Jahren eine wichtige und sehr geheime Quelle. Zuletzt hat der BND vor drei Monaten von ihm gehört. Auch Kukuras Verbindungsführer ist spurlos verschwunden. Vier Tage bevor Winter den Auftrag erhält, nach Moskau zu fliegen, warf Kukura in den Briefkasten einer Schreibkraft der deutschen Botschaft einen Zettel. Auf den Zettel hatte er ein Zitat geschrieben, das vom BND als sein Wunsch interpretiert wird, Winter als künftige Kontaktperson zu haben.

Und viel mehr soll hier über den Plot nicht verraten werden. Denn Pflüger erzählt die Geschichte weitgehend chronologisch und sehr detailreich. Entsprechend langsam entwickelt sie sich. Dabei scheinen alle, auf der einen Ebene mit offenen Karten zu spielen, während sie gleichzeitig vermuten, dass sie gerade betrogen werden. Diese Ungewissheit sorgt in der sich über weite Strecken überraschungsfrei entfaltenden Geschichte für eine gewisse Grundspannung. Außerdem hat Pflüger vor dem missglückten Agentenaustausch auf der Glienicker Brücke angedeutet, dass zwischen Winter und Kukura in Moskau einiges passiert ist, das sie ihren Vorgesetzten nicht berichtete und das nicht nur ihre berufliche Karriere gefährden könnte.

Während Winter auf ihren Einsatz in Moskau vorbereitet wird, sie in Moskau unter ihrer Tarnidentität arbeitet, dabei auf eine Kontaktaufnahme von Kukura wartet, sich verliebt und versucht zusammen mit Kukura und seinem Sohn den KGB auszutricksen, liefert Pflüger viele, klug in die Geschichte eingefügte Informationen über die damalige Zeit. Das beschwört Erinnerungen an den Kalten Krieg herauf und sorgt dafür, dass die Geschichte fest in einer bestimmten Zeit und einem gesellschaftlichem Klima verortet ist.

Der Vergleich mit John le Carré führt allerdings in die Irre. le Carré schrieb immer darüber, wie kleine Agenten und normale Menschen, die von Geheimagenten für eine bestimmte Mission angeworben wurden, zu Spielbällen im Spiel der Geheimdienste und global tätiger Konzerne werden. Nach dem Ende des Kalten Krieges beschäftigte le Carré sich in seinen Thrillern zunehmend mit verschiedenen Aspekten der Wirtschaftskriminalität und der Verflechtung von Wirtschaft und Politik. In diesem Spiel ist der kleine Mann immer der Gelackmeierte.

Bei Andreas Pflüger ist das anders. Relativ schnell wird deutlich, dass Nina Winter eine Art Überfrau ist. Es gibt eigentlich nichts, das sie nicht kann und in dem sie überragend gut ist. Das liest sich dann manchmal wie Jane Bond in einem John-le-Carré-Thriller. Oder wie eine Marvel-Superheldin in einem deutschen Agententhriller.

Andreas Pflüger: Wie Sterben geht

Suhrkamp, 2023

448 Seiten

25 Euro

Hinweise

Homepage von Andreas Pflüger

Suhrkamp über Andreas Pflüger

Wikipedia über Andreas Pflüger

Perlentaucher über „Wie Sterben geht“

2 Responses to Andreas Pflüger verrät „Wie Sterben geht“

  1. […] Meine Besprechung von Andreas Pflügers „Wie Sterben geht“ (2023) […]

  2. […] 1. Platz: Andreas Pflüger: Wie Sterben geht (Suhrkamp) […]

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