Arthur Landwehr porträtiert „Die zerrissenen Staaten von Amerika“

Was geht in den USA vor? Und wie kann die aktuelle allumfassende Dysfunktionalität des Systems erklärt werden? Mit seinem Buch „Die zerrissenen Staaten von Amerika: Alte Mythen und neue Werte – ein Land kämpft um seine Identität“ versucht ARD-Hörfunkjournalist Arthur Landwehr das Mysterium USA zu erklären ohne sich zu sehr in die Tagespolitik zu verstricken.

Denn bei der sich aktuell im Vorwahlkampf befindenden rasend schnell entwickelnden Politik und den vielen Anklagen und Gerichtsverfahren in die Donald Trump verwickelt ist, ist das gedruckte Buch, egal wie oft und wie umfassend es vor der Veröffentlichung aktualisiert wird, in Teilen veraltet. So nennt Landwehr mehrmals Ron DeSantis als aussichtsreichen Gegner von Trump im Vorwahlkampf der Republikaner. Inzwischen ist DeSantis aus dem Wahlkampf ausgestiegen. Seiner Kampagne wird das bislang schlechteste Verhältnis von eingesetztem Geld und gewonnenen Stimmen bescheinigt. Nikki Haley, die im Buch nicht erwähnt wird, ist im Moment Trumps einzige Gegenkandidatin. Ihre einzige Chance auf die Nominierung als Präsidentschaftskandidatin der Republikaner besteht darin, so lange im Rennen zu bleiben, bis Trump aufgrund irgendwelcher Gerichtsentscheide oder einer aktuell nicht vorhersehbaren überraschenden Entwicklung aus dem Rennen aussteigt.

Landwehr versucht eher herauszufinden, warum Menschen Donald Trump wählen oder ihn vehement ablehnen. Er konzentriert sich auf die das Land im Moment definierenden kulturellen Konflikte. Es geht um die Culture Wars, in denen politische und auch wissenschaftliche Fragen durch die Brille eines Kulturkampfes betrachtet und als Identitätsfragen definiert werden. In dem Moment geht es nicht mehr um ein politisches Problem, das politisch gelöst werden kann, sondern um eine Frage der Identität. Da sind Kompromisse schwierig bis unmöglich. Es geht um den Waffenfetischismus der Amerikaner und den Mythos der Freiheit, der sich in der Vergangenheit in langen Fahrten auf der Highway und häufigen Umzügen manifestierte. Es geht um den alltäglichen Überlebenskampf in den USA. Aufgrund des dort bestenfalls rudimentär vorhandenen Sozialstaats sind viele US-Amerikaner verschuldet und sie fürchten täglich um ihre Existenz. Einkommen sind zunehmend ungleich verteilt. Universitäten und Leistungen des Gesundheitssystems können sehr schnell sehr teuer werden und ganze Existenzen ruinieren. Trotzdem lehnen Konservative eine Änderung hin zu einem Sozialstaat europäischer Prägung vehement als ‚Sozialismus‘ ab. Erinnert sei hier an die Versuche der Republikaner, Obamacare während der Trump-Präsidentschaft abzuschaffen.

Diese verschiedenen Probleme, die auf konservativer Seite entstehen, weil es eine größer werdende Kluft zwischen Mythos, dem damit verbundenem Selbstbild und der Realität gibt, beschreibt Landwehr anhand von Begegnungen mit Menschen, die er während seiner Arbeit hatte.

Dabei kann der Eindruck entstehen, das der aktuelle Tribalismus in den USA gottgegeben ist. Das ist Quatsch. Er wird von bestimmten Strukturen und Menschen erzeugt und befördert. So sind die Republikaner bereit, alle demokratischen Werte zu opfern, um an die Macht zu gelangen und an der Macht zu bleiben. Das war früher anders. Das US-amerikanische Wahlrecht befördert eine Polarisierung. Das Mediensystem ist ebenso polarisiert. Evangelikale verstehen sich als politische Akteure, die ihre Agenda mit allen Mitteln durchsetzen wollen. Das Verbot des Schwangerschaftsabbruchs und das Bannen von unliebsamen Büchern aus Schulbibliotheken gehören dazu. Alle diese Akteure verfolgen ihre Agenda kompromisslos. Sie forcieren Konflikte und ändern Gesetze und Regeln zu ihren Gunsten. So wird in den USA aktuell über das Verbot von jedem Schwangerschaftsabbruch diskutiert. Diese Punkte werden von Landwehr höchstens gestreift.

Das macht „Die zerrissenen Staaten von Amerika“ zu einem Überblick über die US-amerikanische Gefühlslage, der weitgehend anekdotisch bleibt und sich primär an Menschen richtet, die nicht regelmäßig Zeitung lesen.

Die Lesungen könnten allerdings interessant sein, weil ARD-Korrespondent Landwehr dann mehr ins Detail gehen und aktuelle Eintwicklungen erklären kann.

Arthur Landwehr: Die zerrissenen Staaten von Amerika – Alte Mythen und neue Werte – ein Land kämpft um seine identität

Droemer, 2024

288 Seiten

24 Euro

Hinweise

Homepage von Arthur Landwehr

Wikipedia über Arthur Landwehr

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