Das ist jetzt wieder einer der Filme, bei denen ich über das Ende schreiben muss, um zu erklären, warum ich mich so über den Film ärgerte. Dabei fand schon den Weg dahin sehr ärgerlich.
In „Haltlos“, dem zweiten Spielfilm von Kida Khodr Ramadan geht es um Martha. Sie ist im fünften Monat schwanger. Der Vater denkt nicht daran, seine Familie für eine Affäre zu verlassen. Sie will ihr Baby nach der Geburt zur Adoption freigeben. Da sie erkennbar von ihrem Leben überfordert ist, scheint das eine weise Entscheidung zu sein. Kurz darauf zweifelt sie wieder daran. Und so geht es munter und je nachdem, was sie gerade gesehen oder gehört hat, hin und her zwischen ihrer Entschediung für eine Adoption und dagegen. Eine inhaltliche Auseinandersetzund mit dem Thema Adoption, also was für und gegen die Freigabe eines Kindes zur Adoption spricht, findet nicht statt. Darüber ging es vor Jahren in der Komödie „Juno“.
Ramadan inszeniert seinen Film immer nah an der Hauptdarstellerin Lilith Stangenberg, die hier eine wahre Tour de Force abliefert. Wer also sehen will, welche emotionalen Zustände sie glaubhaft spielen kann, sollte sich „Haltlos“ ansehen.
Alle anderen nicht so sehr. Beim ersten Sehen wirkt „Haltlos“ wie ein weiteres dieser deutschen sozialkritischen Problemdramen, in denen alles sehr künstlich, falsch und übertrieben ist. Keine Figur wirkt in ihrem Verhalten auch nur im Ansatz glaubwürdig oder fähig, sich normal und vernünftig, vulgo ‚erwachsen‘ zu verhalten. Sie sind Parodien, die ihren Charakter von der einen zur nächsten Szene abrupt um 180 Grad verändern. Die einzige Konstante ist, dass sie Martha nicht helfen.
Am Ende entpuppt sich „Haltlos“ als ein Horrorfilm, der durchgehend aus Marthas Perspektive erzählt wurde. Er zeigt, wie eine schon am Filmanfang sprunghafte, zutiefst unsichere und verunsicherte Frau zunehmend ihren kaum vorhandenen Kontakt zur Realität verliert und wahnsinnig wird. Dieser Übergang erfolgt ungefähr kurz nach der Geburt. Auch rückblickend ist der genaue Zeitpunkt nur erahnbar. In jedem Fall erfolgt er ungefähr in dem Moment, in dem sie nur noch im Jogging-Anzug durch Berlin irrt und sich zunehmend noch erratischer als vor der Geburt verhält. Gleichzeitig verhalten sich die anderen Figuren plötzlich vollkommen anders als in früheren Szenen. So kümmert der ruppige Mann vom Adoptionsamt sich plötzlich rührend um Martha und versucht ihr bei der Erfüllung ihres Wunsches, die Adoption rückgängig zu machen, zu helfen. Obwohl er in dem Moment mindestens ein Dutzend guter Gründe anführen könnte, genau das nicht zu tun. Aber er tut das, was Martha will, weil das alles nur in ihrer Fantasie stattfindet und sie eben möchte, dass er ihre Wünsche sofort und ohne Widerworte erfüllt.
Erst im letzten Bild enthüllt Ramadan, dass Martha schon lang vollkommen verrückt ist. Er zeigt, wie Martha in einem Park ein nicht vorhandenes Baby im Arm hält. In dem Moment ist klar, dass sie sich auch vorher um ihr nicht vorhandenes Baby kümmerte. Die Bilder, in denen sie sich um ihr Baby kümmerte, waren nur in ihrem Kopf real. Die Reaktionen ihres Umfelds waren mal reale Reaktion auf ihr verrücktes Verhalten, mal reine Phantasiereaktion.
Einhergehend mit dieser Schlusspointe ergibt sich die Aussage des Films, die ungefähr so lautet: „Ein Kind muss bei seiner Mutter bleiben. Auch wenn diese Mutter schon auf den ersten Blick erkennbar überfordert ist von dieser Aufgabe und ihr weder Familie noch Freunde helfen werden. Eine Adoption ist unter allen Umständen abzulehnen.“ Denn weil Martha ihr Kind weggeben hat, wurde sie wahnsinnig. Über eine Abtreibung wurde nie gesprochen.
Das ist konservative Familienpolitik auf Steroiden und absoluter Unfug, der im Rahmen des Films nicht diskutiert wird.

Haltlos (Deutschland 2024)
Regie: Kida Khodr Ramadan
Drehbuch: Antje Schall
mit Lilith Stangenberg, Samuel Schneider, Jeanette Hain, Susana Abdul Majid, Zsá Zsá Inci Bürkle, uwe Preuss, Sönke Möhring, Stipe Erceg, Jasmin Tabatabai
Länge: 97 Minuten
FSK: ab 12 Jahre
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