
Künstliche Intelligenz. Bis vor kurzem war das noch ein Thema für Science-Fiction-Geschichten, aber seitdem ChatGPT am 30. November 2022 veröffentlicht wurde, ist es ein Mainstream-Thema, das, wie Marc-Uwe Kling in seinem Kriminalroman „Views“ zeigt, altbekannten Geschichten einen ganz neuen und, in diesem Fall, äußerst beunruhigenden Dreh geben kann. Bei Mason Coile ist es in seinem Roman „William“ über weite Strecken eine aus der Zeit gefallene Wiederholung altbekannter Topoi.
Henry und Lily leben gemeinsam in einem großen viktorianischem Haus. Seitdem sie ihre Firma verkaufte, haben sie keine Geldsorgen mehr. Sie finanziert auch Henrys Hobbyprojekt. Ihr Mann Henry ist ein begabter Ingenieur. Er hat panische Angst, das Haus zu verlassen. Im Umgang mit anderen Menschen, wozu auch Lily gehört, empfindet er sich als schwierig. Er ist halt etwas nerdig. Sein neuestes Projekt ist William, ein selbst lernender autonomer Roboter.
Als sie von Lilys Freunden besucht werden, beschließt Henry spontan, ihnen William zu zeigen. Die erste Begegnung mit William läuft aus dem Ruder. Lily und ihre Freunde Davis und Paige verlassen panisch das Haus. Kurz darauf kehren sie um, um auch Henry aus dem Haus zu holen. Als sie wieder drin sind, verschließt Willliam alle Ausgänge. Ein tödliches Katz-und-Maus-Spiel beginnt.
Ab diesem Moment passieren in dem kurzen Roman Dinge, Menschen rennen Treppen rauf und runter, betreten und verlassen, manchmal, Zimmer – und der Leser langweilt sich. Daran ändert auch die Schlußpointe nichts.
Henry, Lily, Davis und Paige sind kaum mehr als austauschbare Namen ohne besondere Eigenschaften. Spielfiguren eben. Über William, den Bösewicht der Geschichte, erfahren wir ebenfalls nichts. Er tut, was er tut, weil der Autor es sich so ausgedacht hat.
Es wird sich nicht weiter um im Rahmen der Geschichte offensichtliche Fragen, Problemen und Gefahren der Anwendung von KI-Programmen gekümmert. Es wird auch nicht weiter auf die Frage eingegangen, was ein Mensch und was eine Machine ist. Also ob eine selbst lernende, sich wie ein Mensch verhaltende KI ein eigenständiges Wesen ist. Das thematisiert beispielsweise Alex Garland in seinem Spielfilm „Ex Machina“ ( USA/Großbritannien 2014).
Bei Coile ist der Roboter einfach nur ein mordgieriger Roboter, der sich plötzlich entschließt, die Kontrolle über die Hauselektronik zu übernehmen. Das erstaunt die eingeschlossenen Menschen, weil William ja nur ein autonomer Roboter ohne Beine und ohne eine Schnittstelle zu einem anderen Computer, geschweige denn zum Internet, ist. Diese Konstruktion des Roboters verleiht der in der Gegenwart oder nahen Zukunft spielenden Horrorgeschichte eine seltsam aus der Zeit gefallene Aura. Vor hundert Jahren wäre ein Roboter wie William eine furchterregende Vorstellung und Warnung vor dem Machbarkeitswahn seines Erschaffers gewesen. Heute ist so ein William ein Kinderspielzeug mit Fehlprogrammierung.
Coile erzählt die primär aus Henrys Perspektive erzählte Geschichte im Präsens und wieder einmal zeigt sich, wie schwierig es ist, in dieser Zeitform gut und flüssig zu erzählen.
„Willliam“ ist der erste Roman von Mason Coile und der letzte, der zu seinen Lebzeiten erschien. Im September 2025 soll in Nordamerika „Exiles“, sein zweiter und letzter Coile-Roman erscheinen.
Mason Coile ist ein Pseudonym des kanadischen Thrillerautors Andrew Pyper. Er wählte es, um Bücher zu veröffentlichen, die sich von seinen normalen Kriminalromanen unterscheiden. Sie sollen kürzer und schwarzhumoriger sein und mehr in Richtung Horror, mit einer Prise Science-Fiction, tendieren. Unter seinem Namen veröffentlichte er elf Romane, die teilweise auch ins Deutsche übersetzt wurden, u. a. „Die Stunde des Sandmanns“.
Pyper erhielt den Arthur Ellis Award for Best First Novel und den ITW Award for Best Hardcover Novel und war für den Shirley Jackson Award for Best Novel, den Shamus Award for Best First PI Novel und den John Creasey (New Blood) Dagger nominiert.
Pyper starb am 3. Januar 2025 in seinem Haus in Toronto an Komplikationen von einem Gallengangskarzinom, einer seltenen Krebsform. Er wurde 56 Jahre alt.
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Mason Coile: William
(übersetzt von Thomas Salter)
Heyne, 2024
304 Seiten
20 Euro
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Originalausgabe
William
Putnam, 2024
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Hinweise