Neu im Kino/Filmkritik: Über „Die jüngste Tochter“

Fatima (Nadia Melliti) ist jung – Hafsia Herzis Film „Die jüngste Tochter“ beginnt während ihrer letzten Schultage und endet kurz nach dem Beginn ihres Philosophiestudiums -, gläubig und in der Pariser Banlieue in einer algerisch-französischen Familie aufgewachsen. Ihr Freund drängt auf eine baldige Hochzeit. Dabei weiß Fatima schon am Filmanfang, dass sie nicht ihn, sondern Frauen liebt.

In diesem ersten Absatz und damit auch in der Prämisse des Films stecken so viele potentielle Konflikte, die ein Drehbuchautor nur wie Rohdiamanten polieren muss. Es scheint unmöglich, aus diesen vielen Konflikten einen langweiligen Film zu machen. Dummerweise interessiert sich Drehbuchautorin und Regisseurin Hafsia Herzi für keinen dieser Konflikte. Sie ordnet, mehr oder weniger frei der autofiktionalen Romanvorlage von Fatima Daas folgend, das Material einfach chronologisch an und schildert ein Jahr im Leben von Fatima, der titelgebenden jüngsten Tochter. Wie unverbunden nebeneinander stehende Tagebucheinträge gibt es Szenen von Fatima in der Schule, mit ihren Klassenkamerad:innen, mit ihrem Freund, mit ihren Eltern (der Vater darf einmal patriarchisch auf der Couch sitzen, ehe er, ohne eine weitere Spur zu hinterlassen, aus dem Film verschwindet), mit einer älteren Lesbe, die sie am Filmanfang über ihre Gefühle aufklärt, mit ihrer lesbischen Freundin, ihren neuen, schnell gewonnen Freunden an der Universität, Partys mit anderen Studierenden und ein Gespräch mit einem Imam. Er erklärt, was im Koran steht und wie die Schrift gelesen werden sollte. Auch dieses sehr spät im Film stattfindende Gespräch führt nicht zu einer vertieften Behandlung des Korans und des Islams. Herzi spricht es nie wieder an. Immerhin haben wir in dem Moment etwas über den Koran erfahren.

Fatima gleitet durch den Film. Sie muss sich nie gegen Widerstände durchsetzen. Alle sind freundlich zu ihr. Alle akzeptieren sie, wie sie ist. Alle helfen ihr. An der Universität findet sie sofort Freunde.

Der Konflikt zwischen ihrem Glauben und ihrer sexuellen Orientierung wird nur behauptet. Im Film führt er nicht zu starken Szenen, beispielsweise mit ihrem heiratswilligem Freund, ihrer Familie, ihren Freund:innen oder dem Imam.

Und so verschenkt Herzi das gesamte Potential der Geschichte. Am Ende bleiben einige genaue Beobachtungen aus dem migrantischen Leben, gelungene Szenen und gute Schauspieler. Viele von ihnen sind Laienschauspieler, teils spielen sie sich selbst, wie der Arzt, der Fatima über den richtigen Umgang mit ihrem Asthma berät. Aber nichts davon bleibt länger im Gedächtnis in dieser viel zu konfliktfreien Selbstfindung.

Die jüngste Tochter (La petite dernière, Frankreich/Deutschland 2025)

Regie: Hafsia Herzi

Drehbuch: Hafsia Herzi

LV: Fatima Daas: La petite dernière, 2020 (Die jüngste Tochter)

mit Nadia Melliti, Ji-Min Park, Amina Ben Mohamed, Melissa Guers, Rita Benmannana, Razzak Ridha, Louis Memmi, Waniss Chaouki

Länge: 113 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Filmportal über „Die jüngste Tochter“

Moviepilot über „Die jüngste Tochter“

AlloCiné über „Die jüngste Tochter“

Metacritic über „Die jüngste Tochter“

Rotten Tomatoes über „Die jüngste Tochter“

Wikipedia über „Die jüngste Tochter“ (deutsch, englisch, französisch)

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