
Bereits auf den ersten Seiten von A. D. G.s im ländlichen Frankreich in den frühen siebziger Jahren spielendem Noir „Die Nacht der kranken Hunde“ gibt es die größte Überraschung des Romans. Sicher, später gibt es weitere Überraschungen, aber die sind genre-immanent. Die erste Überraschung ist es nicht.
Eine Reinmachefrau entdeckt in einem Schloss die Leiche der Hausbesitzerin Mademoiselle de Sébillet. de Sébillet ist eine ältere, allein lebende, sehr fromme, misstrauische und im Dorf unbeliebte Dame. Die alte Jungfer wurde in ihrem Bett erwürgt. Alle Fensterläden und Türen waren verriegelt. Vom Täter gibt es keine Spur.
Aber die Einheimischen verdächtigen nicht die Gruppe Hippies, die wenige Stunden vorher in der Nähe des Dorfes auf einem brachliegendem Stück Land ihr Lager aufschlugen. Für die Dörfler scheiden die Hippies aus einem einfachen Grund als Täter aus. Die Ermordete war gegenüber anderen Menschen so misstrauisch, dass sie niemals jemand Fremdes, vor allem nicht nach Einbruch der Dunkelheit, in ihr Haus gelassen hätte.
Also muss ein anderer Täter gesucht werden.
Für dieses Tätersuchspiel und den Krimiplot interessiert A. D. G. sich in seinem 1972 in Frankreich erstmals veröffentlichten Noir nicht. Sicher, es passiert einiges und unter der friedlichen Oberfläche eines Provinzdorfes, enthüllt A. D. G. erstaunlich viele Verbrechen, die teilweise weit in die Vergangenheit zurückreichen. Aber im Zweifelsfall zieht der Erzähler sich in die Dorfkneipe zurück oder er hängt mit der Gruppe Neuankömmlinge ab und plaudert mit ihnen und neugierigen Journalisten über Gott und die Welt.
Trotzdem ist der frühe Country-Noir „Die Nacht der kranken Hunde“ für die Fans des französischen Noirs eine willkommene Wiederentdeckung. Schließlich ist der Autor A. D. G., bürgerlich Alain Fournier (1947 – 2004), ein bekannter Noir-Autor, dessen Werke immer wieder ins Deutsche übersetzt wurden. Die literarische Qualität seiner Romane wurde nie bestritten. Aber es gab noch die andere Seite von A. D. G.. Er bezeichnete sich als rechten Anarchisten und wurde auch das literarische Alibi des Front National genannt.
In seinem Nachwort zur Neuausgabe von „Die Nacht der kranken Hunde“ ordnet Martin Compart, der im Elsinor-Verlag die Noir-Reihe herausgibt, Autor, Leben und Werk gewohnt umfangreich und kundig ein: „Seine Energie, seine Vorliebe für spannende Intrigen und verdrehte Plots und sein poetisches Schreiben haben A. D. G. zu einer herausragenden Figur im Noir-Thriller gemacht. Sein Werk ist politisch nicht leicht einzuordnen. Allen Romanen wohnt eine virulente Gesellschaftskritik inne, die ideologisch auch als ‚links‘ fasslich wäre.“
In den Siebzigern waren seine Neo-Polars, die in der einflussreichen „Série Noire“ des Verlags Gallimard erschienen, Bestseller. Andere Krimiautoren, wie Jean-Patrick Manchette, Patrick Raynal, Frédéric H. Fajardie und Jean Vautrin, lobten seine Werke. Sie gehörten zu den Begründern des Neo-Polars und damit des modernen französischen Kriminalromans.
A. D. G.s zunehmend rechte politische Einstellung war seinen Krimis nicht anzumerken. Der persönliche Umgang mit ihm wurde schwieriger. Spätestens ab Mitte der siebziger Jahre war er ideologisch eindeutig im ultrarechten Lager angekommen. 1982 zog er in das französische Übersee-Departement Neukaledonien. Er schrieb weiter Kriminalromane; wobei ihm die drei letzten seiner damals für die „Série Noire“ geschriebenen Noirs nachträglich nicht mehr gefielen. Zwischen 1988 und 2003 veröffentlichte er keine Romane.
In Neukaledonien engagierte er sich politisch als Herausgeber einer Zeitschrift und beim Aufbau von Strukturen für die Front National (seit 2018 Rassemblement National). Er kandidierte auch für die damals offen, sich inzwischen um ein bürgerliches Anlitz bemühende rechtsextreme Partei. Zu seiner Beerdigung im November 2004 kamen zahlreiche rechte Politiker, unter anderem Jean-Marie und Marine Le Pen.
Das war allerdings alles Jahre nach der Veröffentlichung von „Die Nacht der kranken Hunde“. Der Noir überzeugt vor allem als angenehm respektlos geschriebenes Porträt eines Dorfes und der Verbrechen, die seine Bewohner verüben.
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A. D. G.: Die Nacht der kranken Hunde
(übersetzt von Kurt Müller) (mit einem Nachwort von Martin Compart)
Elsinor, 2023
196 Seiten
19 Euro
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Deutsche Erstausgabe
König Verlag, München, 1973
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Originalausgabe
La nuit des grands chiens malades
Éditions Gallimard, Paris, 1972
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Hinweise
Veröffentlicht von AxelB