Neu im Kino/Filmkritik: „Wicked: Teil 2“, das Ende der Geschichte der Bösen Hexe des Westens

November 19, 2025

Wie „Kill Bill“ wurde „Wicked“ von Anfang an als Zweiteiler gedreht. Das ist die einzige Gemeinsamkeit zwischen Quentin Tarantinos Meisterwerk und Jon M. Chus Musical „Wicked“. Bei „Kill Bill“ war die Begründung, dass zu viel gutes Material für einen Film vorhanden sei. Bei „Wicked“ war es nur die von Anfang an abstruse Behauptung, dass das Musical zu lang für einen einzigen Spielfilm sei. Jetzt haben wir zwei Filme, die es auf insgesamt gut dreihundert Minuten bzw. fünf Stunden schaffen. Der erste Film erzahlt die Ereignisse des Musicals bis zur Pause. Der zweite Film die Ereignisse nach der Pause – und weil bei einem Theaterstück niemand erst in der Pause ins Theater kommt, gibt es auch keine Einführung in die Geschichte. Die Macher gehen davon aus, dass alle den ersten Teil gesehen haben.

Das erleichtert mir auch etwas die Arbeit. Ich kann auf meine Kritik zum ersten Teil verweisen und betonen, dass alles, was ich am ersten Teil furchtbar fand, auch auf den zweiten Teil zutrifft.

Inzwischen leben Elphaba (Cynthia Erivo) und Glinda (Ariana Grande) in Oz in verschiedenen Welten. Laut Drehbuch sind sie beste Freundinnen. Dass diese beiden gegensätzlichen, eindimensionalen Figuren – hier die auf ihre Aussehen bedachte Dumpfnudel, da die überschlaue, wegen ihrer Hautfarbe ausgestoßene Zauberin – beste Freundinnen sind, war schon im ersten Teil eine unglaubwürdige Drehbuchbehauptung. Im zweiten Teil ist diese Behauptung kein Jota glaubwürdiger und führt durchgehend zu absurden Verhaltensänderungen zwischen abgrundtiefem Hass und tiefster Freundschaft. Es ist, laut Drehbuch, eine dieser Freundschaften, die den Tod übersteht. Irgendwie.

Elphaba, inwischen geächtet als die Böse Hexe des Westens, lebt in einer riesigen Baumhöhle und versucht mit kindischen Aktionen, wie einem aufklärerischem Schriftzug in den Wolken, den Bewohnern von Oz zu sagen, dass der Zauberer von Oz ein Schwindler ist. Ihre Aktionen scheitern.

Glinda lebt in einem Palast in der Smaragdstadt. Sie posiert inzwischen als von allen verehrtes Symbol des Guten und steht kurz vor der Hochzeit mit dem gut aussehendem, tapferen und edlen Offizier Prinz Fiyero (Jonathan Bailey).

Während des Musicals gibt es etwas Kuddelmuddel mit Affen, die Flügel haben, Elphabas in einem Rollstuhl sitzende Schwester, undurchschaubaren Intrigen am Hof, in die irgendwie der über keinerlei Zauberkräfte verfügende Zauberer von Oz (Jeff Goldblum) und die über Zauberkräfte verfügende Madame Akaber (Michelle Yeoh) verwickelt sind. Die meisten dieser in ihrer Bedeutung für die Geschichte nicht nachvollziehbaren Aktionen füllen nur die Zeit bis zum Abspann. Irgendwann taucht Dorothy aus Kansas auf. Die Heldin von L. Frank Baums Kinderbuch „Der Zauberer von Oz“ und der gleichnamigen legendären Verfilmung von 1939 hat in „Wicked: Teil 2“ einen der schrägsten denkbaren Kurzauftritte. Er verrät nur, wann die Filmgeschichte spielt. Ansonsten sind Dorothy und ihre Begleiter, die immer nur teilweise im Bild sind, für die Geschichte von „Wicked: Teil 2“ egal.

Die Filmgeschichte, die auf Gregory Maguires revisionistischem und sich an eine erwachsene Leserschaft richtendem Roman „Wicked – Die Hexen von Oz“ und dem gleichnamigen, die Gesellschaftskritik des Romans weitgehend ignorierendem Broadway-Musical basiert, wird ziemlich schnell zu einer Abfolge unzusammenhängender Szenen, in denen Dinge passieren, während das Warum weitgehend nebulös bleibt. Die aus dem Musical bekannten Songs und die zwei neuen, von Stephen Schwartz geschriebenen Lieder „No Place Like Home“ und „The Girl in the Bubble“ sind nicht weiter erwähnenswert oder erinnerungswürdig. Das gilt auch für die beiden in diesem Zusammenhang mitreisenden Songs, die während der Pressevorführung von euphorischen Kennern des Bühnenstücks gleich mit Szenenapplaus bedacht wurden. Die Gesangsnummern, die in einem Musical gern der Auftakt für atemberaubende Massenszenen mit singenden und tanzenden Menschen sind, fügen sich in „Wicked: Teil 2“ nahtlos an die Gesangsnummern aus „Wicked“ an. Sie haben nichts von der Experimentierlust, die Jon M. Chu in seinem Musical „In the Heights“ zeigte. Auch in „Wicked: Teil 2“ orientiert er sich nicht daran, was heute möglich wäre, sondern was schon vor über achtzig Jahren in Musicals besser gemacht wurde.

Ansonsten wiederholt der insgesamt etwas dunklere, aber genauso CGI-lastige Film die Gesellschaftsvorstellungen und Bildmotive des ersten Films. Weil Chu beide Filme gleichzeitig drehte und sie zusammen eine Geschichte erzählen, war das zu erwarten. So bestätigen die Bilder wieder sattsam bekannte Stereotype, anstatt sie zu unterlaufen oder einer Neubetrachtung zu unterziehen.

Das gesagt, wird das Musical „Wicked: Teil 2“ sein Publikum finden. Der erste Teil spielte 750 Millionen US-Dollar Millionen ein. Die damaligen Zuschauer dürften zu einem großen Teil wieder besoffen vor Begeisterung ins Kino stürmen. Wem der erste Teil gefiel, wird auch der zweite Teil gefallen.

Wicked: Teil 2 (Wicked: For Good, USA 2025)

Regie: Jon M. Chu

Drehbuch: Winnie Holzman, Dana Fox

LV: Stephen Schwartz/Winnie Holzman: Wicked, 2003 (Musical); Gregory Maguire: Wicked – The Life and Times of the Wicked Witch of the West, 1995 (Wicked – Die Hexen von Oz)

mit Cynthia Erivo, Ariana Grande, Jonathan Bailey, Ethan Slater, Bowen Yang, Marissa Bode, Michelle Yeoh, Jeff Goldblum, Colman Domingo (Stimme, im Original), Peter Dinklage (Stimme, im Original)

Länge: 138 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Der Film läuft in verschiedenen Sprachfassungen im Kino.

Die Vorlage

Gregory Maguire: Wicked – Die Hexen von Oz

(übersetzt von Hans-Ulrich Möhring)

Hobbit Presse/Klett-Cotta 2024 (Filmausgabe)

544 Seiten

16 Euro

Deutsche Erstausgabe

Hobbit Presse/Klett-Cotta 2008

Originalausgabe

Wicked – The Life and Times of the Wicked Witch of the West

Regan Books, 1995

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „Wicked: Teil 2“

Metacritic über „Wicked: Teil 2“

Rotten Tomatoes über „Wicked: Teil 2“

Wikipdia über „Wicked: Teil 2“ (Film deutsch, englisch; Musical deutsch, englisch; Roman deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Jon M. Chus „G.I. Joe 3D: Die Abrechnung“ (G.I. Joe: Retaliation, USA/Kanada 2013)

Meine Besprechung von Jon M. Chus „Die Unfassbaren 2 – Now you see me“ (Now you see me 2, USA 2016) und der DVD

Meine Besprechung von Jon M. Chus „In the Heights: Rhythm of New York“ (In the Heights, USA 2021)

Meine Besprechung von Jon M. Chus „Wicked“ (Wicked, USA 2024)


Neu im Kino/Filmkritik: „Wicked“, der erste Teil der Musical-Vorgeschichte von „Der Zauberer von Oz“

Dezember 13, 2024

Die Kritiken sind euphorisch. Die Fans vom Musical sind begeistert. Bei der Vorführung, die ich besuchte, gab es nach den bekannten Songs Szenenapplaus. Inzwischen werden der Film und Regisseur Jon M. Chu für alle möglichen Preise gehandelt. Zweifellos wird der Film sein Publikum finden.

Ich bin dagegen mehr als minderbegeistert.

Doch beginnen wir zuerst mit einigen Fakten. Chus „Wicked“ basiert auf dem erfolgreichen gleichnamigem Muscial. Das Stück wird seit 2003 ununterbrochen am Broadway vor vollen Häusern gespielt. Mehrere Tourneen und Produktionen in anderen Städten und Ländern in festen Häusern folgten. Die deutschsprachige Erstaufführung war 2007 in Stuttgart. Michael Kunze schrieb die deutschen Liedtexte. Das Musical basiert auf Gregory Maguires Roman „Wicked – Die Hexen von Oz“ von 1995. Er erzählt die Vorgeschichte zu dem 1939er Musicalklassiker „Der Zauberer von Oz“, der auf L. Frank Baums gleichnamigem Kinderbuch von 1900 basiert.

Maguire erzählt ‚Die wahre Geschichte der Bösen Hexe des Westen‘ (Buchuntertitel). Er erzählt auf über fünfhundert Seiten, wie und warum sie böse würde. In seinem Buch, das für Erwachsene geschrieben wurde, geht es neben der Frage, warum Menschen böse werden, auch um Terrorismus und Propaganda. Dabei unterzieht er Baums Kinderbuch und Victor Flemings Verfilmung einer umfassenden Neubetrachtung.

Schon für das Musical wurden diese erwachsenen Themen eher ignoriert zugunsten einer bunten Erinnerung an den Film „Der Zauberer von Oz“ und seinem popkulturellem Einfluss.

In the Heights: Rhythm of New York“-Regisseur Chu verfilmte jetzt das Musical und, dank vieler Songs, epischer Laufzeit. Schon vor dem Start der Dreharbeiten wussten sie, dass das Stück zu lang für einen Spielfilm von halbwegs normaler Länge ist. Also wurde beschlossen, den Film in zwei Teile zu teilen. Der erste Teil endet nach ungefähr 150 Minuten (mit dem Abspann sind es 161 Minuten) an dem Punkt der Geschichte, an dem im Theater die Pause beginnt. Der zweite Teil kommt, so ist es im Moment geplant, Ende November 2025 in die Kinos.

Für die Fans des Musicals gibt es im Kino also eine Extended Version des Stücks mit den bekannten Songs, größeren Schauwerten, viel CGI, Bonbonfarben und auch einigen neuen Figuren und Handlungsorten.

Ich konnte mit den lahmen Popsongs nichts anfangen. Der CGI-Exzess störte mich. Jedes Bild im Film wurde bearbeitet. Vorgeschichten interessieren mich wenig. Meistens fügen sie der bekannten Geschichte und Figur nichts wesentliches bei. Und die Story funktioniert im Kino nicht. Da gibt es zu viele Lücken in der Erzählung, den Figuren und den Konflikten. Im Theater ist das anders.

Der Film beginnt mit der Nachricht, dass die Böse Hexe des Westens tot sei. Auf einem dörflichem Marktplatz wird Glinda (Ariana Grande) gebeten, zu erzählen, wie die Böse Hexe starb. Aber zuerst erzählt sie, wie sie sie kennen lernte und wie sie sich miteinander befreundeten.

Das erste Mal treffen sie sich an der Universität Glizz. Die aus einem reichen Haus stammende Blondine Glinda ist an der Schule die allseits beliebte, eine Gefolgschaft ihr treu ergebener Jungs und Mädels um sich scharende Diva. Sie ist gleichzeitig ehrgeizig, nur auf Äußerlichkeiten bedacht und strohdumm.

Sie reizt Elphaba Thropp (Cynthia Erivo) gleich wegen ihrer für alle schockierenden grünen Hautfarbe. Elphaba ist die einzige grünhäutige Person in Oz. Sie ist das Gegenteil von Glinda. Sie kümmert sich um ihre im Rollstuhl sitzende Schwester. Sie ist intelligent, wissbegierig und eher nicht auf die Anerkennung von anderen angewiesen. Manchmal aber doch. Als sie nach Glindas Provokationen wütend wird, erkennt Madame Akaber, die Dekanin der Zauberwissenschaft (Michelle Yeoh), sofort, dass Elphaba über unglaubliche Zauberkräfte verfügt. Sie nimmt sie als Zauberlehrling auf.

Trotz der anfänglichen Abneigung entwickelt sich zwischen Elphaba und Glinda, die sich ein Zimmer teilen müssen, so etwas wie eine Freundschaft/Hassliebe.

Gleichzeitig versuchen zunächst unbekannte Kräfte, einen Keil zwischen die Menschen und die ebenfalls intelligenten Tiere zu treiben. So leitet ein Ziegenbock die historische Fakultät der Universität Glizz.

Außerdem möchten Elphaba und Glinda, wie alle, unbedingt eine Audienz bei dem Zauberer von Oz haben. Diese und die Entdeckung, die Elphaba und Glinda dabei machen, bildet den Höhepunkt des Films und des ersten Akts.

Die im Mittelpunkt des Films stehende Beziehung zwischen Elphaba und Glinda wirkt nie glaubwürdig. Sie kann als eine Variante von Tina Feys fast zeitgleich zur Premiere des Musicals entstandenen Filmkomödie „Girls Club – Vorsicht bissig!“ (Mean Girls) verstanden werden. Später verarbeitete Fey die Geschichte zu einem Broadway-Musical, das 2024 verfilmt wurde. Bei ihr gestaltet sich die Beziehung zwischen dem Schulneuling und der Anführerin der rein auf Äußerlichkeiten setztenden Reichenclique viel glaubwürdiger.

In „Wicked“ springen die beiden Hauptfiguren, ohne nennenswerte Entwcklung, zwischen Freundschaft, Feindschaft und dem Wunsch nach Freundschaft hin und her. Und die nerdige Elphaba soll sich plötzlich für Äußerlichkeiten interessieren.

Hin und her geht es auch bei der Bild- und Zeichensprache. Jedes Bild ist auf maximalen Effekt hin komponiert. Einige erinnern an Victor Flemings Klassiker „Der Zauber von Oz“ (1939), der die Geschichte von „Wicked“ weiter erzählt. Einige sind offensichtlich nur für das Plakat, Poster und den Trailer gemacht worden.

In seiner Bildsprache schwankt Chu zwischen einer Wiederholung rassistischer Stereotype, die wir aus alten Filmen kennen, und einer revisionistischen Lesart dieser Bilder, die eine Sekunde später untergraben wird. Besonders verstörend ist dabei das Greenfacing der Schwarzen Hauptdarstellerin Cynthia Erivo. Es ist ein, in jeder Beziehung, lediglich ein Blackfacing mit einer anderen Farbe und einer Wiederholung altbekannter Klischees über Schwarze.

Bei dem von Jeff Goldblum gewohnt unterhaltsam gespieltem Zauberer von Oz setzt sich das fort. Er entspricht dem aus Hollywoods Goldener Ära bekanntem Klischee eines asiatischen Bösewichts.

Hier fügt Chu sich erstaunlich bruchlos in die Sprache des klassischen Hollywoodkinos ein. Dabei hätte er, wie Maguire in seinem Roman oder andere Regisseure in ihren Filmen, beispielsweise Spike Lee in seiner ätzenden Mediensatire „ It’s Showtime“ (Bamboozled, 2000), eben diese Bilder und Themen einer Neubetrachtung unterziehen können und müssen.

Wicked (Wicked, USA 2024)

Regie: Jon M. Chu

Drehbuch: Winnie Holzman, Dana Fox

LV: Stephen Schwartz/Winnie Holzman: Wicked, 2003 (Musical); Gregory Maguire: Wicked – The Life and Times of the Wicked Witch of the West, 1995 (Wicked – Die Hexen von Oz)

mit Ariana Grande, Cynthia Erivo, Jonathan Bailey, Ethan Slater, Bowen Yang, Marissa Bode, Peter Dinklage, Michelle Yeoh, Jeff Goldblum

Länge: 161 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Der Film wird im Kino in mehreren Fassungen gezeigt.

Die Vorlage

Gregory Maguire: Wicked – Die Hexen von Oz

(übersetzt von Hans-Ulrich Möhring)

Hobbit Presse/Klett-Cotta 2024 (Filmausgabe)

544 Seiten

16 Euro

Deutsche Erstausgabe

Hobbit Presse/Klett-Cotta 2008

Originalausgabe

Wicked – The Life and Times of the Wicked Witch of the West

Regan Books, 1995

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „Wicked“

Metacritic über „Wicked“

Rotten Tomatoes über „Wicked“

Wikipdia über „Wicked“ (Film deutsch, englisch; Musical deutsch, englisch; Roman deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Jon M. Chus „G.I. Joe 3D: Die Abrechnung“ (G.I. Joe: Retaliation, USA/Kanada 2013)

Meine Besprechung von Jon M. Chus „Die Unfassbaren 2 – Now you see me“ (Now you see me 2, USA 2016) und der DVD

Meine Besprechung von Jon M. Chus „In the Heights: Rhythm of New York“ (In the Heights, USA 2021)