Neu im Kino/Filmkritik: Über Thomas Arslans Noir-Gangsterfilm „Verbrannte Erde“

Juli 18, 2024

Ob man Thomas Arslans neuen Film „Verbrannte Erde“ mag, hängt davon ab, ob man Profigangster wie Richard Starks Parker, der Archetyp des kalten Profigangsters, Garry Dishers Wyatt und Wallace Strobys Crissa Stone mag. Und, ja, das sind drei absolute Lektüreempfehlungen für hier schon exzessiv abgefeierte Serien, die auch in deutschen Übersetzungen gut erhältlich sind. Arslans zweiter Film um den Profiverbrecher Trojan steht knietief in dieser Tradition, filmisch verfeinert mit klassischen französischen Kriminalfilmen, vor allem natürlich denen von Jean-Pierre Melville.

Trojan, wieder adäquat verkörptert von Mišel Matičević, ist die sehr sehr gute filmische Ausgabe dieses Verbrechertyps, den es so wahrscheinlich nur in der Literatur und im Film gibt. Trojan ist ein am liebsten allein arbeitender Profi. Persönliche Gefühle haben bei seiner Arbeit nichts verloren. Gewalt vermeidet er. Probleme gibt es, wenn Amateure mitmachen oder andere Verbrecher ihn reinlegen wollen. Dann beginnt das große Sterben. Nicht weil Trojan zuerst schießt, sondern weil die anderen mit dem Töten beginnen oder eine Situation durch Dummheit, Inkompetenz und Gier so verschlimmern, dass Trojan sich nur mit Gewalt daraus befreien kann. Das war so in „Im Schatten“ und ist jetzt so in „Verbrannte Erde“.

Vor vierzehn Jahren hatte Trojan in Thomas Arslans hochgelobtem Gangsterfilm „Im Schatten“ seinen ersten Auftritt. Nach den Ereignissen verschwand er aus Berlin und verdiente an anderen Orten sein Geld mit Diebstählen. Jetzt hat er finanzielle Probleme. Er kehrt – wie Thomas Arslan, der seit „Im Schatten“ nicht mehr in Berlin drehte – zurück in ein verändertes Berlin. Er versucht alte Kontakte zu reaktivieren. Schließlich vermittelt Rebecca ihm einen vielversprechenden Job. Zusammen mit einem kleinen Team soll er aus dem Museum Dahlem das Gemälde „Frau vor der untergehenden Sonne“ von Caspar David Friedrich klauen. Der präzise geplante Diebstahl gelingt mitten in der Nacht ohne große Probleme, Verletzte oder Tote.

Danach beginnen die Probleme. Der anonyme Auftraggeber will sie nicht bezahlen, sondern bestehlen und ermorden. Dafür hat er einen skrupellosen Killer engagiert.

In „Verbrannte Erde“ bedient Arslan die Anforderungen des Gangsterfilms und der Berliner Schule, die sich, wieder einmal, überraschend gut ergänzen. Kennzeichnend für die Berliner Schule sind die Aufnahmen von Nicht-Orten. Es sind städtische Orte ohne eine Geschichte oder besondere, wiedererkennbare Merkmale, die dem Ort irgendeine Individualität verleihen würden. Tiefgaragen, Brachen, anonyme Wohnsiedlungen, die so in jeder deutschen Mittel- und Großstadt stehen, sind solche Nicht-Orte. Getroffen wird sich auch in billigen Hotels und Schnellimbissen. Trojan und die anderen Gangster sehen maximal unauffällig aus. Sie führen ein Leben in der Anonymität. Sie hinterlassen keine Spuren. Niemand soll sich an sie erinnern.

Es ist eine rein utilitaristische Welt. Und so faszinierend ein Besuch in dieser Welt ist, so ungern möchte man in ihr Leben. Das ist auch der Grund, weshalb Richard Starks Parker einerseits so wichtig für das Genre ist, so hoch angesehen ist und so wenige literarische Nachfolger gefunden hat. Stark (ein Pseudonym des ungemein produktiven Donald E. Westlake) hat eine Figur erfunden und gleichzeitig perfektioniert und an ihre Grenzen getrieben. Andere Autoren, wozu auch Arslan gehört, haben nur noch die Wahl, diese Formel auszufüllen oder zu verwässern. Dann hat der Profi eine Vergangenheit und er ist in ein Netz von familiären und anderen Beziehungen eingebunden. Das tat Wallace Stroby mit seinen vier Crissa-Stone-Romanen. Stone ist verheiratet (ihr Mann sitzt im Gefängnis) und Mutter (ihre Tochter ist bei ihrer Cousine). Solche Bindungen machen sie menschlicher, angreifbarer und für ein Mainstream-Publikum goutierbarer.

In „Verbrannte Erde“ ist Trojan, trotz Bekanntschaften, noch der eiskalte Einzelgänger, der innerhalb von Sekunden spurlos verschwinden kann. Wenn er und seine Kumpanen nicht den versprochenen Lohn für ihnen Diebstahl haben möchten. In Berlin, meistens nach Sonnenuntergang, entwickelt sich mit wenigen, sehr reduzierten Dialogen ein elegant gefilmtes Katz-und-Maus-Spiel, bei dem unklar ist, wer sich mit wem verbündet und wer überlebt. Und, in diesem Fall, wie Trojan überlebt.

Denn Thomas Arslan plant bereits einen weiteren Gangsterthriller mit Trojan. Deshalb wird „Verbrannte Erde“ als zweiter Film einer Trilogie beworben. Arslan sieht das zum Glück etwas anders. Für ihn sind die Filme keine klassische Trilogie, sondern eine lose Reihe. Im Presseheft sagt er dazu: „Das sind in sich abgeschlossene Filme, die durch die Hauptfigur und seine Tätigkeit verbunden sind.“

Ich freue mich schon darauf und hoffe, dass der dritte Trojan-Film mindestens genausogut wie „Im Schatten“ und „Verbrannte Erde“ wird.

Verbrannte Erde (Deutschland 2024)

Regie: Thomas Arslan

Drehbuch: Thomas Arslan

mit Mišel Matičević, Marie Leuenberger, Alexander Fehling, Tim Seyfi, Marie-Lou Sellem, Katrin Röver, Bilge Bingül

Länge: 101 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Verbrannte Erde“

Moviepilot über „Verbrannte Erde“

Rotten Tomatoes über „Verbrannte Erde“ (aktuell noch keine Bewertung)

Wikipedia über „Verbrannte Erde“ (deutsch, englisch)

Berlinale über „Verbrannte Erde“

Meine Besprechung von Thomas Arslans „Helle Nächte“ (Deutschland 2017)