Neu im Kino/Filmkritik: Über Cãlin Peter Netzers „Ana, mon Amour“

August 29, 2017

Literaturstudent Toma verliebt sich in seine Mitstudentin Ana. Allerdings ist sie etwas neurotisch und neigt zu Panikattacken. Anfangs scheint das noch kein großes Problem zu sein. Auch dass ihre Eltern, ein Arbeiterpaar, und seine Eltern, ein Intellektuellenpaar, die Beziehung ablehnen, stört Toma nicht. Ana ist seine wahre Liebe.

Als Anas Panikattacken schlimmer werden, kümmert er sich immer mehr um sie. Und, später, um ihr Kind.

Diese auf den ersten Blick konventionelle Liebesgeschichte wird aus Tomas Sicht erzählt. Bei einem Psychiater auf der Couch. Und genau wie Therapiesitzungen nicht unbedingt einer stringenten Chronologie folgen, gibt es in „Ana, mon Amour“ immer wieder unvermittelte Zeitsprünge. Gleichzeitig wird, bei Bedarf, mit dem Psychiater jedes Detail erörtert. Warum Toma bei Anas Eltern mit Anas Vater in einem Bett schlafen muss und warum er für diese Nacht den Schlafanzug von Anas Vater anzieht.

Mit zunehmender Laufzeit wird dann auch unklarer, wie zuverlässig Toma als Erzähler ist. Also wie sehr seine Erzählungen beim Psychiater eine subjektiv gefärbte Sicht der tatsächlichen Ereignisse oder eine mehr oder weniger freie Erfindung sind. Einige Entwicklungen zwischen Toma und Ana erfolgen, nachdem Regisseur Cãlin Peter Netzer sich am Anfang sehr viel Zeit ließ, arg plötzlich und es ist, als ob Toma plötzlich eine vollkommen andere Personen beschreibt, die zufälligerweise wie Ana aussieht. Am Ende gibt es eine äußerst unvermittelte Wendung, die sogar Tomas Restzuverlässigkeit beim Erzählen seiner Beziehungsgeschichte in Frage stellt und dazu führt, dass keine der vorherigen Gewissheiten mehr existiert. Es ist, als ob man in einem Krimi zuerst einen Täter präsentiert bekommt und am Ende gesagt bekommt, dass eigentlich jeder und niemand der Täter gewesen sein könnte. Falls es überhaupt ein Verbrechen gab. Anything goes eben. Aber nicht als Aufforderung etwas zu tun, sondern als resignativ-schulterzuckende Verweigerung überhaupt irgendetwas zu tun oder irgendeine Position zur Geschichte einzunehmen. Das ist nach über zwei Stunden Filmzeit schon etwas frustrierend. Und, ich gebe es zu, am Ende des Films war ich richtig verärgert.

Es ist auch ein Film, der einen rein männlichen Blick auf die Frau hat. Ana ist für Toma durchgehend ein Objekt ohne einen eigenen Willen. Sie ist eine Projektion seiner Bedürfnisse. Er gestattet ihr kein eigenes Leben. Ana selbst darf nichts allein entscheiden oder tun; – – – was dann auch eine Erklärung für ihre erste Panikattacke wäre.

Cãlin Peter Netzer erhielt für seinen vorherigen Film „Muter & Sohn“ 2013 auf der Berlinale den Goldenen Bären. Für „Ana, mon Amour“ gab es dieses Jahr einen Silbernen Bären für den Schnitt.

Ana, mon Amour (Ana, mon Amour, Rumänien/Deutschland/Frankreich 2017)

Regie: Cãlin Peter Netzer

Drehbuch: Cãlin Peter Netzer, Cazar Paul Bâdescu, Iulia Lumânare

LV: Cezar Paul Bâdescu: Luminita, mon amour

mit Mircea Postelnicu, Diana Cavallioti, Carmen Tânase, Vasile Muraru, Tania Popa, Igor Caras Romanov, Adrian Titieni, Vlad Ivanov

Länge: 127 Minuten

FSK: ?

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Ana, mon Amour“

Moviepilot über „Ana, mon Amour“

Metacritic über „Ana, mon Amour“

Rotten Tomatoes über „Ana, mon Amour“

Wikipedia über „Ana, mon Amour“ (deutsch, englisch)

Berlinale über „Ana, mon Amour“

Meine Besprechung von Cãlin Peter Netzer „Mutter & Sohn“ (Pozitia Copilului/Child’s Pose, Rumänien 2013)