Neu im Kino/Filmkritik: „Whatever happens“, das Leben geht weiter

Dezember 1, 2017

An Silvester treffen sich Julian (Fahri Yardim) und Hannah (Sylvia Hoeks) in ihrer gemeinsamen Wohnung. Sie wollen vor ihrer endgültigen Trennung noch schnell die letzten Details regeln, einige Umzugskisten einpacken, dem Vermieter die Wohnung übergeben und dann zur Hochzeit eines mit ihnen befreundeten Paares fahren; – puh, diese Mittdreißiger haben aber ein volles Programm.

Während sie auf den Vermieter warten, der sie dann auch noch zum Streichen der Wohnung verpflichtet, erinnern sie sich an ihre gemeinsame Zeit: wie sie vor sieben Jahren die Wohnung erhielten, weil sie, obwohl sie sich nicht kannten, behaupteten ein Paar zu sein. Wie sie sich ineinander verlieben, eine Tochter bekommen und ein normales bürgerliches Leben beginnen. Sie beendet erfolgreich ihr Jura-Studium und hat schnell eine gute Stelle. Er ist ein Fotograf, der nach der Geburt ihres Kindes die Erziehung übernimmt. Später will er wieder arbeiten, aber das ist nicht so einfach mit einem Kind und einer durch die Welt reisenden Frau.

Und jetzt streichen sie ihre Wohnung und streiten sich darüber, wer welches Erinnerungsstück behalten darf.

Julian und Hannah sind zwei sehr sympathische, sehr normale Menschen, die sich mit sehr normalen Problemen herumschlagen, in einer austauschbaren Altbau-Wohnung leben, gefälligen Poprock hören und keine Hobbys oder besonderen Interessen haben. Das ist der Vor- und Nachteil in Niels Lauperts „Whatever happens“. Denn man kann sich sofort mit ihnen identifizieren, weil man Julian oder Hannah sein könnte oder mit ihnen befreundet sein könnte.

Diese Alltäglichkeit seiner Charaktere, die anonyme Vertreter der Dreißig-/Vierzigjährigen neuen Bourgeoisie sind, führt dazu, dass sie keine irgendwie erkennbare Individualität haben. Sie sind so austauschbar, dass wir über Julians Arbeit nichts erfahren. Er hat zwar immer wieder einen Fotoapparat in der Hand, aber welche Bilder er beruflich schießt und warum er seine Aufträge nicht mit seinem Familienleben verbinden kann, erfahren wir nicht. Das wäre dann zu spezifisch. Hannah ist die karrierebewusste, um die Welt reisende, niemals erreichbare, penible, aber doch liebenswerte Geschäftsfrau. Da kann einerseits jeder sich und seine liberal-bürgerlich-aufgeklärten Großstadtfreunde wieder erkennen, andererseits fehlt Hannah und Julian das Besondere, das sie zu einzigartigen und erinnerungswürdigen Menschen und nicht zu einer Anhäufung statischer Merkmale machen würde.

Und so verliert sich der Film, trotz schön beobachteter Szenen und sympathischer Schauspieler, schnell im Allgemeinen und unverbindlichen Binsenweisheiten.

Whatever happens (Deutschland 2017)

Regie: Niels Laupert

Drehbuch: Niels Laupert

mit Fahri Yardim, Sylvia Hoeks, David Zimmerschied, Amelie Kiefer, Bastian Hagen, Victoria Mayer, Torben Liebrecht, Alexander Beyer, Eckhard Preuß

Länge: 101 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Deutsche Facebook-Seite zum Film

Filmportal über „Whatever happens“

Moviepilot über „Whatever happens“

Wikipedia über „Whatever happens“


Neu im Kino/Filmkritik: „Die Frau des Polizisten“, ihr Mann, ihr Kind und ein stummer alter Mann

März 22, 2014

Leichte Kost ist „Die Frau des Polizisten“ nicht. Über fast drei Stunden schildert Philip Gröning in oft quälend langen Einstellungen die Beziehung von Christine (Alexandra Finder) und Uwe (David Zimmerschied). Er ist in einer Kleinstadt Polizist, um die Dreißig. Sie ist anscheinend nur Hausfrau und Mutter. Jedenfalls sehen wir sie nie arbeiten. Wir sehen sie auch nie im Gespräch mit anderen Menschen. Uwe wird immerhin zwei-, dreimal mit Kollegen bei der Arbeit gezeigt. Aber insgesamt sind Christine, Uwe und ihre kleine Tochter Clara (die Zwillinge Pia und Chiara Kleemann) allein in ihrem Reihenhaus. Diese hochgradig künstliche Isolation dieser Familie von der restlichen Welt – denn Clara geht nicht in den Kindergarten und Eltern, Verwandte, Freunde oder Nachbarn haben Christine und Uwe nicht – ist zwar als Kunstgriff, um, je nachdem, wie man den Film interpretiert, die Isolation oder auch die übergroße Nähe der Beiden zueinander zu zeigen, gerechtfertigt. Aber weil sie während des gesamten Films in dieser Isolation leben, ist sie auch statisch. Es gibt keine Entwicklung in ihrer Beziehung zur Umwelt.

In einem Interview sagt Gröning: „Das ist eine Geschichte über Nähe, Liebe, Abhängigkeit und Angst.“ In einem Publikumsgespräch sagte er, dass es in dem Film um Nähe und nicht um häusliche Gewalt gehe.

Aber die Macher recherchierten vorher viel zum Thema „häusliche Gewalt“, sie bedanken sich im Abspann bei zahlreichen Frauenhäusern und Beraterinnen, die Werbung konzentriert sich vor allem auf dieses Thema und die Produzenten Bavaria Film, Philip Gröning Filmproduktion und 3L Filmproduktion spenden in der Startwoche von allen Vorstellungen einen Euro pro Kinokarte an die Frauenhäuser der jeweiligen Stadt.

Diese Isolation könnte daher auch die Isolation von Christine reflektieren. Denn die Opfer von häuslicher Gewalt fühlen sich oft einsam. Sie glauben, dass sie mit niemand reden können. Gröning zeigt dabei auch verschiedene Facetten einer Beziehung und die Macht- und Abhängigkeitsstrukturen. Wobei die Frau des Polizisten die traditionelle Geschlechterrolle mit Kind und Küche vollkommen übernimmt, während er der ängstliche, anscheinend von seiner Arbeit frustierte Polizist ist, der sie schlägt. Und er wechselt immer wieder, ansatzlos, zwischen wenigen Szenen, in denen er Gewalt ausübt, vielen, in denen wir die Auswirkungen von Gewalt sehen können, und Szenen reinen Glücks.

Dieses sehr offene Beziehungsdrama, das vieles nur andeutet, nichts erklärt oder analysiert, auch kaum Informationen über die Charaktere anbietet, keine Lösung und ein sehr offenes Ende anbietet, wird von Gröning in eine fast schon meditative Struktur von 59 Kapiteln, die manchmal nur wenige Sekunden lang sind, gepresst. Wahrscheinlich ergibt sich sogar, wenn man sich die Inhalte der einzelnen Kapitel genau ansieht, eine wunderschöne, von der Minimal-Musik inspirierte Struktur. Weil jede Szene mit Schwarzblenden und Zwischentiteln an- und abgekündigt wird, beansprucht allein die Bekanntgabe der Kapitel gute zwanzig Minuten. Dann gibt es noch zusammenhanglose Landschaftsaufnahmen und einen alten Mann, der so etwas wie der griechische Chor ist, allerdings kommentiert er nicht die Geschichte, sondern er bleibt stumm. Wer oder was der Mann ist, wird im Film nicht beantwortet. Auch Gröning kann – oder will – ihn nicht erklären.

Stattdessen liefert er nur ein dreistündiges, fast stummes und fast geräuschloses Diskursangebot, in das vieles, viel zu vieles hineininterpretiert werden kann und das letztendlich eine Übung im Stilwillen bleibt.

Die Frau des Polizisten - Plakat

Die Frau des Polizisten (Deutschland 2013)

Regie: Philip Gröning

Drehbuch: Philip Gröning

mit Alexandra Finder, David Zimmerschied, Pia Kleemann, Chiara Kleemann, Horst Rehberg, Katharina Susewind, Lars Rudolph

Länge: 179 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Film-Zeit über „Die Frau des Polizisten“

Moviepilot über „Die Frau des Polizisten“

Rotten Tomatoes über „Die Frau des Polizisten“

Wikipedia über „Die Frau des Polizisten“ (deutsch, englisch)

Die sehr italienische Pressekonferenz zum Film während des Filmfestivals Venedig