Heute ist „The Program“ etwas überflüssig. Immerhin haben wir den Aufstieg und Fall von Lance Armstrong, der nach einer schweren Krebserkrankung, sieben Mal hintereinander die Tour de France gewann, mitbekommen. Wir wissen, wie dopingverseucht die Tour de France und der internationale Radsport damals war (und noch immer ist). Deshalb wurde sie ja auch einige Jahre bei uns im Fernsehen nicht mehr übertragen. Wir haben auch Lance Armstrongs großes Mea Culpa, nachdem er jahrelang jegliches Doping abstritt, mitbekommen. Und wir wissen, dass ihm seine Tour-de-France- und weitere Titel aberkannt wurden. Das wissen wir aus der Tageszeitung, den Nachrichten, den Reportagen, einigen Büchern und Dokumentarfilmen, wie Alex Gibneys „Die Armstrong Lüge“ (The Armstrong Lie, 2013).
Was soll uns da ein Spielfilm noch Neues verraten? Nun, weil es ein Spielfilm ist, kann er, während er den bekannten Fakten folgt, auch einen Blick hinter die Kulissen werfen. Er zeigt uns Bilder von Ereignissen, bei denen keine Kamera dabei ist. Er bezieht Position und interpretiert auch die Ereignisse. So erscheint Lance Armstrong zunächst als ein äußerst ehrgeiziger Sportler, der Doping zielgerichtet als Methode einsetzt, um seine Leistung zu steigern – und das wird von Stephen Frears (zuletzt „Philomena“) zunächst auch wie ein Lausbubenstreich inszeniert. Armstrong und seine Mitradler im Team sind sich keiner Schuld bewusst. Immerhin dopen die anderen Radfahrer auch und EPO ist die Droge der Stunde. Der erste Kauf von EPO in einer Apotheke erinnert dann auch eher an den Kondomkauf von Pennälern. Aber dann wird Armstrong, grandios gespielt von Ben Foster, von dem ehrgeizigen Sportler immer mehr zu einem egozentrischen Karrieristen, der für sein Ziel über Leichen geht. Wer nicht für ihn ist, fliegt aus dem Team. Sein Ehrgeiz, dem er alles unterordnet, ist grenzenlos und, so zeigt es „The Program“, er bringt ihn auch zu Fall.
Auf der anderen Seite ist David Walsh, der als Sportreporter der Sunday Times an einen sauberen Radsport glaubt. Als er schreibt, dass Armstrong aufgrund seines Körperbaus und seiner Krankheitsgeschichte nicht zu den Leistungen imstande sein könne, die er für seinen Gewinn der Tour de France erbrachte, wird er von dem Klüngel aus Radlern, Veranstaltern, Promotern und Journalisten, die alle von der Tour de France, die inzwischen ja ein großes Spektakel ist, als Nestbeschmutzer beschimpft.
Aber Walsh hat, auch wenn der Film auf seinem Buch basiert, in dieser Chronik von Lance Armstrongs Aufstieg und Fall nur eine fast schon verzichtbare Nebenrolle. Denn der Sportjournalismus ist im Radsport nur ein Hintergrundrauschen.
Weil „The Program“ die bekannte Geschichte von Lance Armstrong von seiner ersten Tour-de-France-Teilnahme 1993 bis zu seinem selbst verschuldetem Ende brav nacherzählt, ist er heute ein gut gemachter, aber auch etwas überflüssiger Film, der in den kommenden Jahren, wenn wir uns nicht mehr an die Reportagen und Dokumentationen erinnern, wichtiger wird und dann auch – bei Rotten Tomatoes hat er derzeit nur eine unverdient schlechte Bewertung von 50 % – positiver gesehen wird.
The Program – Um jeden Preis(The Program, Großbritannien 2015)
Regie: Stephen Frears
Drehbuch: John Hodge
LV: David Walsh: Seven Deadly Sins: My Pursuit of Lance Armstrong, 2012
mit Ben Foster, Chris O’Dowd, Guillaume Canet, Jesse Plemons, Denis Ménochet, Lee Pace, Edward Hogg, Dustin Hoffman