Es dauert nur wenige Minuten. Dann hat Alice Koffis Haare von einem imposanten, über viele Jahre gewachsenen Afro zu einer unauffälligen Kurzhaarfrisur geschnitten. Der Haarschnitt ist nötig, weil Koffi zu einer Familienfeier fahren, seine schwangere Frau, eine Weiße, der Familie vorstellen und ihren Segen für eine Heirat erhalten will. Sein Versuch, sich nach jahrelanger Abwesenheit in Belgien wieder mit seiner in einem Minendorf lebenden Familie zu versöhnen, schlägt fehl. Als er ein Baby im Arm hat, bekommt er Nasenbluten. Das Blut tropft auf das Baby. Seine gläubige Familie interpretiert das als böses Omen.
Ausgehend von diesem Ereignis entfaltet der 1978 in Lubumbashi (Demokratische Republik Kongo) geborene, seit vielen Jahren in Belgien lebende Musiker und Künstler Baloji eine breite Meditation über das Verhältnis von (Aber)glaube und Moderne im heutigen Kongo. Grob konzentriert er sich dabei auf vier Figuren, die unterschiedlich von der Hexerei betroffen sind und unterschiedlich mit ihr umgehen. Verbunden werden die miteinander verwobenen Geschichten und die verschiedenen Aspekten des Themas durch die Musik und die assoziative Montage der farbenfrohen, teils surrealen Bilder.
Das macht „Omen“ dann zu einem Experimentalfilm, bei dem die Oberfläche ansprechender als der nacherzählbare Inhalt ist. Eine herkömmliche Geschichte ist kaum erkennbar. Die Figuren, ihre Motive und ihre Beziehungen zueinander bleiben weitgehend rätselhaft. Und die Geschichte(n) entwickeln sich oft arg sprunghaft. Aber, wie gesagt, die Montage rettet einiges und als Experimentalfilm hat „Omen“ durchaus seinen Reiz.
Omen (Augure, Belgien/Deutschland/Frankreich/Niederlande/Südafrika/Demokratische Republik Kongo 2023)
Regie: Baloji
Drehbuch: Baloji, Thomas van Zuylen
mit Marc Zinga, Yves-Marina Gnahoua, Marcel Otete Kabeya, Eliane Umuhire, Lucie Debay, Denis Mpunga
Wenige Wochen nach „Black Panther: Wakanda forever“ läuft mit „Neptune Frost“ ein weiterer Film an, der ohne Ideen des Afrofuturismus nicht denkbar ist. Dabei könnten die beiden Filme nicht gegensätzlicher sein. Der eine Film ist ein Multimillionen-Dollar-Projekt, das in unzähligen großen Sälen gezeigt wird und auf dem ersten Platz der Kinocharts steht. Der andere Film ist das Gegenteil. Das Budget von „Neptune Frost“ ist wahrscheinlich geringer als die Kosten für die wöchentliche Ration Desinfektionsmittel bei „Black Panther: Wakanda forever“. In Berlin läuft „Neptune Frost“ aktuell in einem Minikino.
Trotzdem ist „Neptune Frost“, vom Verleih als „afrofuturistische Vision eines queeren Sci-Fi-Punk-Musicals“ angekündigt, der aufregendere Film.
In Burundi wird in Minen das für elektronische Geräte wichtige Coltan abgebaut. Aus einer diser Minen flüchtet eine Gruppe Bergleute. Sie treffen ein antikolonialistisches Hacker-Kollektiv. Zusammen bilden sie auf einer aus Elektroschrott bestehenden Müllhalde eine Gemeinschaft. Manchmal gelingt es ihnen, eine Verbindung zum Internet herzustellen. Sie versuchen, das autoritäre Regime zu stürzen. In dieser Kommune treffen eine intersexuelle Ausreißerin und ein Bergarbeiter aufeinander.
Doch diese Geschichte verschwindet immer wieder hinter der Inszenierung, die eine Sinfonie aus Bild und Ton ist. Sie ist, auch weil „Neptune Frost“ ein Musical ist, näher an Videoclips, die nach teuer aussehenden Bildern und schnell abrufbaren Emotionen suchen, als an einem konventionellem Spielfilm.
Saul Williams und Anisia Uzeyman begreifen Afrofuturismus dabei als ein betont offenes Gedankengebäude, in dem sich Grenzen zwischen Geschlechtern und Zuständen permanent verändern. Kosmische Kräfte, die nie genauer erklärt werden, führen zu Veränderungen des Seins und jede Identität und jeder Zustand ist veränderbar. Dazu verbinden sich auf der Müllkippe Tradition und Moderne. Tänze, Gesänge, Computerprogramme und der Cyberspace (der als eine andere Form kosmischer Energie verstanden werden kann) verbinden sich miteinander. Das mag jetzt ziemlich verschwurbelt klingen, ergibt aber beim Ansehen des Films, ohne dass eine Interpretation vorgegeben wird, Sinn.
„Neptune Frost“ präsentiert dabei einen Afrofuturismus, der sich radikal von dem in den beiden „Black Panther“-Filmen unterscheidet. In den „Black Panther“-Filmen wird Afrofuturismus primär als ein farbiges Update der Welt von „Flash Gordin“ (dem Serial aus den Dreißigern) verstanden. Die präsentierte utopische Gesellschaft ist eine krude Mischung aus Gottesstaat und Königreich. Dagegen zeigt „Neptune Frost“ eine Gesellschaft, die aus Ausgestoßenen und Outsidern besteht. Sie probieren für eine kurze Zeit eine egalitäre Gesellschaft aus. Wenn sie eine Verbindung zum Internet haben, wird, wie wir es aus dem Cyberpunk kennen, auch der Cyberspace als erweitertes Bewusstsein integriert.
Vieles bleibt im Dunkeln und Ungefähren, aber Saul Williams und Anisia Uzeyman geht es nie um eine nacherzählbare Story, sondern um eine Sinfonie aus Bildern und Tönen, um Assoziationen und Statements. Das ist herausfordernd, regt zum Nachdenken an und besitzt immer eine Offenheit die sich gut als Initialzündung für Diskussionen eignet.
Neptune Frost(Neptune Frost, Ruanda/USA 2021)
Regie: Saul Williams, Anisia Uzeyman
Drehbuch: Saul Williams
mit Cheryl Isheja, Bertrand Ninteretse, Eliane Umuhire, Elvis Ngabo, Rebecca Mucyo, Trésor Niyongabo, Eric Ngangare, Cecile Kayiregawa, Natasha Muziramakenga, Ekaterina Baker
Länge: 105 Minuten
FSK: –
Auf Kinyarwanda, Kirundi, Swahili, Französisch und Englisch mit deutschen Untertiteln