Nach diesem Wochenende ist Heribert Prantls schmales Buch „Glanz und Elend der Grundrechte“ leider nötiger denn je. Denn die Bundesregierung erklärte, dass der Whistleblower Edward Snowden nicht in Deutschland aussagen soll, weil die deutschen Staatsinteressen höher stünden als eine Aufklärung über eine millionenfache tägliche Grundrechtsverletzung deutscher Staatsbürger durch den US-amerikanischen Geheimdienst NSA. Der Verfassungsschutz erklärte, dass er dem NSA-Untersuchungsausschuss nicht alle Akten liefern werde. Es würde die Arbeit des Verfassungsschutzes beeinträchtigen – und man habe eh keine Ahnung. Naja, dass sagte der Chef des Verfassungsschutzes nicht wörtlich, aber dieses Amt hat ja nichts von den Morden des NSU und dem Abhören der NSA mitbekommen und da wäre eine Herausgabe von Akten wohl ein Zeugnis der eigenen Unfähigkeit oder der hemmungslosen Zusammenarbeit.
Während die Regierung sich gerade höchst erfolgreich im Neusprech übt und erklärt, dass sie Whistleblower für Straftäter hält (was nicht für die Menschen gilt, die für gutes Geld Steuerdaten-CDs an den deutschen Staat verkaufen) und ihr das Brief- und Postgeheimnis egal ist, weil die Regierung ja so gute Beziehungen zur USA habe, dass eine Telefonüberwachung überflüssig sei, weil man keine Geheimnisse vor den USA habe (Frau Merkel, es geht nicht um ihr Terror-Handy, sondern um die Grundrechte der Deutschen, die Sie schützen sollen!). Dass gleichzeitig die Pressefreiheit, vor allem wenn es um den Schutz von Informanten geht, und die Verschwiegenheitspflicht von Anwälten, Ärzten und Seelsorgern durch die unterschiedlos alles speichernde Datenüberwachung verletzt wird, ist für diese Regierung wohl ein lässlicher Kollateralschaden.
Ehe ich jetzt etwas Beleidigendes über eine Regierung, die auf unsere Grundrechte kackt, sage, konzentriere ich mich lieber auf Heribert Prantls Buch.
Denn in dem Essay „Glanz und Elend der Grundrechte – Zwölf Sterne für das Grundgesetz“ erklärt der Leiter der innenpolitischen Redaktion der „Süddeutschen Zeitung“ in einem breiten historischen Bogen von der Formulierung des Grundgesetzes bis zur Gegenwart warum die Grundrechte so wichtig sind. Unmittelbar nach dem Ende des zweiten Weltkriegs und am Anfang des Kalten Krieges schrieben die Väter und Mütter ein aus wenigen Worten bestehendes Grundgesetz, das in den folgenden 65 Jahren seine Wirkung entfaltete. Bei der Gleichberechtigung von Frauen und Homosexuellen. Bei der individuellen Lebensgestaltung. Bei dem Versammlungsrecht. Bei der Pressefreiheit. Und auch beim Schutz der Privatsphäre – bis es nach 9/11 aufgrund einer diffusen Bedrohung durch Terroristen zu einem massiven Abbau der Bürgerrechte kam.
Er schreibt auch über die Europäische Union als ein Friedensprojekt, das weiter ausgebaut werden soll. Während, so Prantl, das Bundesverfassungsgericht in den vergangenen Jahrzehnten beim Ausbau und Schutz der Bürgerrechte innerhalb Deutschland eine progressive Rolle spielte, blockert es in Bezug auf die EU. Da müsste der Bundestag das Grundgesetz ändern.
Eine zur Revolution auffordernde Kampfschrift ist Heribert Prantls neues Buch „Glanz und Elend der Grundrechte“ nicht. Es steht auch wenig neues drin. Es ist ein Lobgesang auf das Grundgesetz und die Europäische Union, der beides emphatisch gegen seine Kritiker verteidigt, wobei die Kapitel zum Grundgesetz und den Grundrechten eindrücklicher als die zur Europäischen Union sind. Diese Zeilen lesen sich wie ein zur anstehenden EP-Wahl am 25. Mai geschriebenes Appendix.
Prantls das Positive bei den Grundrechten betonende Streitschrift erinnert an den Wert der Grundrechte und es ist ein fulimanter Angriff auf eine Regierung, denen sie egal sind. Prantl Position ist dagegen klar: „Ich wünsche mir Grundrechte, auf die sich die Bürgerinnen und Bürger verlassen können; dazu Staatsgewalten, Gerichte, Parlamente und eine couragierte Gesellschaft, die diese Grundrechte verteidigen – gegen Entsolidarisierung, Ökonomisierungsexzesse und Datensammelwahnsinn; gegen Rassisten und Ausländerhasser; und auch gegen die Geheimdienste des NATO-Partners USA.“
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Heribert Prantl: Glanz und Elend der Grundrechte – Zwölf Sterne für das Grundgesetz
Droemer, 2014
192 Seiten
18 Euro
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Hinweise
Perlentaucher über Heribert Prantl
Wikipedia über Heribert Prantl

Veröffentlicht von AxelB