Neu im Kino (mit Kinotour)/Filmkritik: „California City“ ist ein verlassener Ort

August 19, 2015

Howe Gelb, der Kopf der Alternative-Countryrock-Band „Giant Sand“, schrieb die grandios spartanische Musik zu Bastian Günthers „California City“, einer herrlich unverkrampft zwischen Spiel-, Dokumentar- und Essayfilm pendelnden allzu realen Fantasie über einen Kammerjäger, der in den nach der Finanzkrise verlassenen Wohnhäusern von California City in den Swimmingpools nach Moskitos sucht und sie vernichtet. Während seiner Fahrt durch die menschenleere Gegend trifft er einige Menschen, die noch in der Einöde leben, hängt seinen Erinnerungen an seine Freundin nach und fragt sich, ob es die Welt überhaupt noch gibt.
In Bastian Günthers Film, der vorher „Houston“ über einen Headhunter dem in der Fremde die Kontrolle über sein Leben entgleitet, inszenierte, wird in einer Endzeitlandschaft Kalifornien zu einem Sehnsuchtsort, deren Versprechen auf ein besseres Leben sich nicht erfüllten. Der amerikanische Traum ist in „California City“, zwischen verlassenen, uniformen Fertighäusern und Ruinen, schon lange ausgeträumt und die Menschen, die noch in California City leben, vor allem gesellschaftliche Außenseiter und Aussteiger, suchen nicht mehr danach.
Und weil Günther immer um diesen thematischen Kern kreist, wird „California City“ zu einer interessanten Fallstudie eines Stillstandes, der nach einem umfassenden Scheitern, das für California City das Blatzen der Immobilienblase war, kommt. Dabei sieht sich keiner der Porträtierten als gescheitert, sondern als jemand, der einen Traum hat (wie der Teilnahme an einem Flug zum Mars), oder, frei von allen gesellschaftlichen Zwängen, seine Nische gefunden hat. Zum Beispiel auf einem abgesperrtem Militärgelände Schrott auf der Suche nach Verkäuflichem auszuschlachten. Insofern und auch wegen der Americana-Bilder und Musik (wobei Howe Gelbs Soundtrack noch reduzierter als Ry Cooders spartanischer „Paris, Texas“-Soundtrack ist) verbreitet der Essayfilm, der natürlich nur ein begrenztes Publikum anspricht, eine fast schon positive Botschaft.
„’California City‘ ist für mich eine Meditation über Verlust, Krise und deren Auswirkungen an deren Ende ein Aufbruch steht. Eine Reflexion über uns und unser Leben, immer auch mit einem Sinn für Humor und mit einem Auge für bizarre Momente und Begegnungen.“ (Bastian Günther)
Gedreht wurde der Film in der realen, in der Mojave-Wüste liegenden Stadt California City, die von Nat Mendelsohn als eine aus dem Nichts entstehende Utopie einer neuen Stadt geplant wurde. 1958 kaufte er dort Land. California City sollte die größte Stadt Kaliforniens werden. 1970 lebten dort 1300 Menschen. Heute leben dort etwas über dreizehntausend Menschen, aber von der Fläche her ist California City mit über 527,401 km² die zweitgrößte Stadt des Bundesstaates; – zum Vergleich: Berlin hat 891,68 km², Hamburg 755,29 km² und Köln, als drittgrößte deutsche Stadt 405,01 km², bei deutlich höheren Einwohnerzahlen.

California City - Plakat - 4

California City (Deutschland 2014)
Regie: Bastian Günther
Drehbuch: Bastian Günther
mit Jay Lewis, Daniel C. Peart, Chelsea Williams
Länge: 84 Minuten
FSK: ab 0 Jahre

Gespräche mit Bastian Günther
Mittwoch, 19. August, um 20.00 Uhr im filmkunst 66 Kino in Berlin
Donnerstag, 20. August, um 20.00 Uhr im Mal Seh´n Kino in Frankfurt
Freitag, 21. August, um 21.00 Uhr in der Filmpalette Köln
Samstag, 22. August, um 20.00 Uhr im Lichtblick Kino in Berlin
Sonntag, 23. August, um 19.00 Uhr im 3001 Kino in Hamburg
Dienstag, 25. August, um 20.30 Uhr Central Kino Berlin

Hinweise
Homepage zum Film
Filmportal über „California City“
Film-Zeit über „California City“
Moviepilot über „California City“
All Music über Howe Gelb
Homepage von Howe Gelb

Howe Gelbs 2014er Sea-Rock-Konzert


Neu im Kino/Filmkritik: Über das Feelgood-Roadmovie „Jackie – Wer braucht schon eine Mutter“

Juli 18, 2013

Sofie und Daan, zwei gegensätzliche, 33-jährige Zwillingsschwestern, könnten eigentlich mit ihren Eltern zufrieden sein. Denn sie haben richtige Traumeltern, die dummerweise homosexuell sind. Zweimal Papa, keinmal Mama. Ihre Mutter haben sie nie gekannt. Sie war damals nur eine Samenspenderin, die aus den USA kam und wieder dorthin verschwand.

Jetzt erhalten die Holländerinnen eine Nachricht aus New Mexico: ihre Mutter liegt in einem Krankenhaus und benötigt ihre Hilfe. Sie hat einen komplizierten Knochenbruch (ihr rechtes Bein ist komplett eingegipst) und sie soll vom Krankenhaus in das Reha-Zentrum am anderen Ende des Staates gebracht werden. Während Sofie das herzlich egal ist, immerhin ist sie der pragmatisch-realistische Teil der Geschwister, die auch erfolgreich im Job ist, ist die leicht spleenig-verträumte Daan begeistert. Endlich kann sie ihre Mutter kennen lernen.

In New Mexico entpuppt sich Jackie als arg schwierige Persönlichkeit. Eigenbrötlerisch, schweigsam, störrisch und, wenigstens bei den ersten Begegnungen eine unausstehliche Nervensäge, die jede Hilfe ablehnt, obwohl sie auf Hilfe angewiesen ist. Und sie weigert sich, in ein Flugzeug zu steigen.

Also lassen die beiden Schwestern sich breitschlagen, ihre Mutter in ihrem alten Trailer von dem einen Ende New Mexicos zum anderen zu fahren – und auf der Fahrt nähern die drei Frauen sich an, lernen voneinander und verändern sich.

Das ist mit vielen herrlich abgedrehten Episoden, wie dem Auftritt der Bikerinnen-Gang in der Wüste, einer ordentlichen Portion Alternative-Country-Musik und einer überflüssigen Pointe am Ende schön erzählt und unterhält als leichtgewichtiges, konventionelles Feelgood-Roadmovie auch kurzweilig.

Es ist auch schön, dass man Holly Hunter („Das Piano“, „Crash“, „Copykill“, „Arizona Junior“, „O Brother, Where Art Thou?“), die zuletzt die Hauptrolle in der TV-Serie „Saving Grace“ (noch nicht im deutschen TV gezeigt) hatte, mal wieder im Kino sieht und dann noch in einer so dankbaren Rolle als eigensinnige, auf ihre Unabhängigkeit bedachte Mutter, die immer ihren Kopf durchsetzen muss.

Jackie – Wer braucht schon eine Mutter“ ist ein Frauenfilm, der auch Männern gefallen kann, viel Americana hat, in der zweiten Hälfte immer musikalischer wird und im dritten Akt, wenn sie zu Jackies Familie fahren, mit dem Auftritt von Alternative-Country-Musiker Howe Gelb (Giant Sand) auch etwas für den Rockfan bietet.

Jackie - Plakat

Jackie – Wer braucht schon eine Mutter (Jackie, Niederlande/USA 2012)

Regie: Antoinette Beumer

Drehbuch: Marnie Blok, Karen van Holst Pellekaan

mit Carice van Houten, Jelka van Houten, Holly Hunter, Mary Woods, Howe Gelb (Yeah, der „Giant Sands“-Musiker), Chad E. Brown

Länge: 98 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Film-Zeit über „Jackie“

Rotten Tomatoes über „Jackie“

Wikipedia über „Jackie“ (englisch, niederländisch)