TV-Tipp für den 26. Februar: Ein Prophet

Februar 25, 2025

ZDFneo, 23.15

Ein Prophet (Un Prophète, Frankreich/Italien 2009)

Regie: Jacques Audiard

Drehbuch: Jacques Audiard, Thomas Bidegain

Ein Bildungsroman der anderen Art: der 19-jährige Malik kommt in den Knast und lernt dort alles, was er für das Leben braucht. Dummerweise macht ihn nichts davon zu einem wertvollen Mitglied der Gesellschaft.

In Cannes erhielt „Ein Prophet“ den Großen Preis der Jury, bei den Cesars und den Étoiles d’Or (dem Preis der französischen Filmjournalisten) räumte er ab, er war den Oscar und Golden Globe als bester ausländischer Film nominiert, die Kritiker feiern den Film ab, Knackis (von denen etliche bei der Produktion beteiligt waren) loben die Authentizität des Films, es wurde über den Zustand und die Lebensbedingungen in den Knästen diskutiert und über 1,5 Millionen Franzosen lösten ein Kinoticket. In Deutschland war das Knastdrama nicht so erfolgreich.

mit Tahra Rahim, Nils Arestrup, Adel Bencherif, Reda Kateb

Hinweise

Moviepilot über „Ein Prophet“

Metacritic über „Ein Prophet“

Rotten Tomatoes über „Ein Prophet“

Wikipedia über „Ein Prophet“ (deutsch, englisch, französisch)

Meine Besprechung von Jacques Audiards „The Sisters Brothers“ (The Sisters Brothers, Frankreich/Spanien/Rumänien/USA/Belgien 2018)

Meine Besprechung von Jacques Audiards „Wo in Paris die Sonne aufgeht“ (Les Olympiades, Frankreich 2021)

Meine Besprechung von Jacques Audiards „Emilia Pérez“ (Emilia Pérez, Frankreich 2024)


Neu im Kino/Filmkritik: „Emilia Pérez“, früher Gangsterboss, jetzt Wohltäterin

November 28, 2024

Auf dem Papier kann Jacques Audiards neuer Film nicht funktionieren. Im Kino funktioniert diese Mischung aus Musical, Gangsterfilm, Drama über eine Geschlechtsumwandlung, realistischem Sozialdrama und soapige Geschichte einer Wohltäterin mit dunkler Vergangenheit dann überraschend gut.

Alles beginnt damit, dass der gefürchtete mexikanische Kartellboss Manitas del Monte aus dem Verbrecherleben aussteigen möchte. Lebendig. Dafür engagiert er die junge Anwältin Rita Mora Castro (Zoe Saldaña). Sie ist hochintelligent und als kleine Zuträgerin in einer großen Kanzlei sträflich unterfordert. Die dankbare Kundschaft der Kanzlei besteht vor allem aus Schwerverbrechern und Drogenbossen.

Rita organisiert, fürstlich bezahlt und ohne das Wissen ihrer Vorgesetzten, del Montes Ausstieg aus dem Gangsterleben. Sie ordnet Finanzen und organisiert für seine Familie ein neues Leben in der Schweiz.

Außerdem organisiert sie noch die Erfüllung eines speziellen Wunsches von del Monte. Er will sein Geschlecht ändern und so endlich die Person werden, die er schon immer sein wollte. Außerdem: wer würde vermuten, dass sich hinter dem Gesicht einer attraktiven Frau ein brutaler, allseits gefürchteter, hässlicher Macho-Gangster verbirgt? Als zusätzliche Sicherheit für seine Familie und für sich inszeniert er seinen Tod.

Nach der Geschlechtsumwandlung ist Manitas del Monte Emilia Pérez (Karla Sofía Gascón). Aber die Vergangenheit lässt sie nicht los. Sie will wieder Kontakt zu ihren Kindern und ihrer Frau Jessi (Selena Gomez) haben. Rita organisiert das.

Außerdem kehrt Emilia wieder an ihren alten Wirkungsort zurück (was ich für sehr unglaubwürdig halte) und beginnt sich als Wohltäterin für ihre Gemeinschaft einzusetzen. Das halte ich für noch unglaubwürdiger; also nicht, dass sie ihr Geld für Wohltaten ausgibt und für ihre früheren Taten büßen möchte, sondern dass sie ihr Geld für Wohltaten an dem Ort ausgibt, an dem es von alten Bekannten wimmelt und an jeder Ecke mindestens eine Person ist, die del Monte umbringen möchte.

Die Story von „Emilia Pérez“ ist reinster Pulp. Gesang und Tanz sind, auch wenn der Film dann nicht oder nur verschämt als Musical beworben wird, im Moment sehr beliebt bei Regisseuren. Aber Audiard nimmt nicht den Weg in Richtung Fantasie, sondern in Richtung Edel-Telenovela.

Seine Premiere hatte „Emilia Pérez“ im Hauptwettbewerb des 77. Filmfestivals von Cannes. Dort erhielt er unter anderem den Preis der Jury und den für die beste Schauspielerin, der in diesem Fall an Karla Sofía Gascón, Selena Gomez, Adriana Paz und Zoe Saldaña ging. Danach lief er erfolgreich auf mehreren Festivals. Aktuell ist er für mehrere Europäische Filmpreise noniniert, unter anderem als bester Film, beste Regie und beste Darstellerin. Und er ist Frankreichs Einreichung bei den Oscars als bester internationaler Film.

Emilia Pérez (Emilia Pérez, Frankreich 2024)

Regie: Jacques Audiard

Drehbuch: Jacques Audiard

LV (frei nach): Boris Razon: Ecoute, 2018

mit Zoe Saldaña, Karla Sofía Gascón, Selena Gomez, Adriana Paz, Mark Ivanir, Édgar Ramírez

Länge: 133 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

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Wikipedia über „Emilia Pérez“ (deutsch, englisch, französisch)

Meine Besprechung von Jacques Audiards „The Sisters Brothers“ (The Sisters Brothers, Frankreich/Spanien/Rumänien/USA/Belgien 2018)

Meine Besprechung von Jacques Audiards „Wo in Paris die Sonne aufgeht“ (Les Olympiades, Frankreich 2021)


TV-Tipp für den 30. Oktober: Ein Prophet

Oktober 29, 2024

ZDFneo, 23.15

Ein Prophet (Un Prophète, Frankreich/Italien 2009)

Regie: Jacques Audiard

Drehbuch: Jacques Audiard, Thomas Bidegain

Ein Bildungsroman der anderen Art: der 19-jährige Malik kommt in den Knast und lernt dort alles, was er für das Leben braucht. Dummerweise macht ihn nichts davon zu einem wertvollen Mitglied der Gesellschaft.

In Cannes erhielt „Ein Prophet“ den Großen Preis der Jury, bei den Cesars und den Étoiles d’Or (dem Preis der französischen Filmjournalisten) räumte er ab, er war den Oscar und Golden Globe als bester ausländischer Film nominiert, die Kritiker feiern den Film ab, Knackis (von denen etliche bei der Produktion beteiligt waren) loben die Authentizität des Films, es wurde über den Zustand und die Lebensbedingungen in den Knästen diskutiert und über 1,5 Millionen Franzosen lösten ein Kinoticket. In Deutschland war das Knastdrama nicht so erfolgreich.

mit Tahra Rahim, Nils Arestrup, Adel Bencherif, Reda Kateb

Hinweise

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Wikipedia über „Ein Prophet“ (deutsch, englisch, französisch)

Meine Besprechung von Jacques Audiards „The Sisters Brothers“ (The Sisters Brothers, Frankreich/Spanien/Rumänien/USA/Belgien 2018)

Meine Besprechung von Jacques Audiards „Wo in Paris die Sonne aufgeht“ (Les Olympiades, Frankreich 2021)


TV-Tipp für den 13. Juni: Das Auge

Juni 12, 2024

Arte, 00.30

Das Auge (Mortelle randonnée, Frankreich 1983)

Regie: Claude Miller

Drehbuch: Michel Audiard, Jacques Audiard

LV: Marc Behm: The eye of the beholder, 1980 (Das Auge)

Ein Privatdetektiv soll eine Frau beschatten. Dummerweise ist sie eine Serienmörderin und er entwickelt väterliche Gefühle für sie.

Von der Kritik hochgelobtes, düster-humorvolles Roadmovie mit Hitchcock-Anleihen über eine obsessive Liebe.

Claude Miller über seinem vierten Spielfilm: „Das ist wie in den großen Erziehungsromanen, in denen die Personen reisen, um sich am Ende ihres Lebens mit einer Fülle von Erfahrungen in ihrem eigenen Garten wiederzufinden. Diese innerliche Reise gibt es im Film – sie ist etwas, das ich auf der Reise der männlichen Hauptfigur, des ‚Auges’, wie eine Art von Therapie behandeln möchte.“

Mit Michel Serrault, Isabelle Adjani, Guy Marchand, Stéphane Audran, Geneviève Page, Sami Frey, Jean-Claude Brialy

Hinweis

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Rotten Tomatoes über „Das Auge“

Wikipedia über „Das Auge“ (deutsch, englisch, französisch)

Kriminalakte: Nachruf auf Marc Behm


TV-Tipp für den 21. Dezember: Wo in Paris die Sonne aufgeht

Dezember 20, 2023

Servus TV, 22.15

Wo in Paris die Sonne aufgeht (Les Olympiades, Frankreich 2021)

Regie: Jacques Audiard

Drehbuch: Céline Sciamma, Léa Mysius, Jacques Audiard

LV: Adrian Tomine: Amber Sweet, Killing and Dying, Hawaiian Getaway (3 Comics)

TV-Premiere. Wunderschöner SW-Ensemblefilm im Stil der Nouvelle Vague. Jacques Audiard verfolgt vier junge Menschen, die zutiefst verunsichert über sich und ihre Lebenspläne sind, in Paris durch das 13. Arrondissement stolpern und sich dabei immer wieder begegnen.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Lucie Zhang, Makita Samba, Noémie Merlant, Jehnny Beth, Camille Léon-Fucien, Océane Cairaty, Anaïde Rozam, Pol White, Geneviève Doan

Wiederholung: Freitag, 22. Dezember, 01.50 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Homepage zum Film

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Meine Besprechung von Jacques Audiards „The Sisters Brothers“ (The Sisters Brothers, Frankreich/Spanien/Rumänien/USA/Belgien 2018)

Meine Besprechung von Jacques Audiards „Wo in Paris die Sonne aufgeht“ (Les Olympiades, Frankreich 2021)


Neu im Kino/Filmkritik: Jacques Audiard verrät „Wo in Paris die Sonne aufgeht“

April 7, 2022

Nein, das ist nicht das 13. Arrondissement, das wir aus Léo Malets Nestor-Burma-Roman „Die Brücke im Nebel“ kennen. Der Roman spielt in den Fünfzigern und Nestor muss den Mord an einem alten Freund, den er während seiner Zeit als Anarchist kennen lernte, aufklären. In Jacques Audiards, fast siebzig Jahre später, ebenfalls in diesem Pariser Viertel spielendem Film „Wo in Paris die Sonne aufgeht“ geht es um die Liebe und die Gefühle von Thirty-Somethings auf der Suche nach dem Sinn des Lebens.

Émilie hat die Elite-Schule Sciences Po erfolgreich abgeschlossen. Aber anstatt jetzt ihre berufliche Karriere zu beginnen, treibt sie von einem Gelegenheitsjob zum nächsten.

Sie wohnt im 13. Arrondissement in einer Wohnung, die sie sich leisten kann, weil sie ihrer im Heim liegenden Großmutter gehört. Um die Kosten weiter zu senken, nimmt sie regelmäßig Untermieter bei sich auf.

Ihr neuester Untermieter ist Camille. Der von seiner Arbeit frustrierte Literaturlehrer wird ihr Liebhaber. An einer längerfristigen Beziehung haben beide zunächst kein Interesse.

Da lernt er, inzwischen als heillos überforderter Immobilienmakler arbeitend, Nora kennen. Sie hat ihre Arbeit als Immobilienmaklerin in der Provinz aufgegeben. Sie will ihr Studium fortsetzen. Aber als Anfang-Dreißigjährige fremdelt sie mit dem Studienbetrieb und ihren jüngeren Mitstudierenden.

Als sie für eine Party eine Perücke aufzieht, wird sie von ihren Kommilitonen für das Cam-Girl Amber Sweet gehalten. Verstört verläßt sie die Party und nimmt später, via Webcam, Kontakt zur echten Amber Sweet auf.

Jacques Audiards neuer Film ist das Gegenteil von seinem Western „The Sisters Brothers“. „Wo in Paris die Sonne aufgeht“ ist nämlich ein kleiner SW-Film im Nouvelle-Vague-Stil. Audiard erzählt seinen lockeren Reigen von Liebe, Verlassenwerden, Enttäuschungen, Erwartungen und Verunsicherungen als einen lyrischen Ensemblefilm, in dem sich die Wege der vier jungen Menschen immer wieder kreuzen. Sie sind alle immer noch nicht Erwachsen, sondern zutiefst verunsichert über sich und ihre Lebenspläne. Sie stolpern von einer kurzen Beziehung zur nächsten. Sie wechseln ziellos zwischen Jobs und Studium. Nur Amber Sweet scheint ihren Platz gefunden zu haben. Deshalb ist das mit viel Humor gewürzte Drama auch ein Film über das Erwachsenwerden im 21. Jahrhundert. In der Großstadt.

Wo in Paris die Sonne aufgeht (Les Olympiades, Frankreich 2021)

Regie: Jacques Audiard

Drehbuch: Céline Sciamma, Léa Mysius, Jacques Audiard

LV: Adrian Tomine: Amber Sweet, Killing and Dying, Hawaiian Getaway (3 Comics)

mit Lucie Zhang, Makita Samba, Noémie Merlant, Jehnny Beth, Camille Léon-Fucien, Océane Cairaty, Anaïde Rozam, Pol White, Geneviève Doan

Länge: 106 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

AlloCiné über „Wo in Paris die Sonne aufgeht“

Moviepilot über „Wo in Paris die Sonne aufgeht“

Metacritic über „Wo in Paris die Sonne aufgeht“

Rotten Tomatoes über „Wo in Paris die Sonne aufgeht“

Wikipedia über „Wo in Paris die Sonne aufgeht“ (deutsch, englisch, französisch)

Meine Besprechung von Jacques Audiards „The Sisters Brothers“ (The Sisters Brothers, Frankreich/Spanien/Rumänien/USA/Belgien 2018)


TV-Tipp für den 6. Januar: The Sisters Brothers

Januar 5, 2021

Servus TV, 20.15

The Sisters Brothers (The Sisters Brothers, Frankreich/Spanien/Rumänien/USA/Belgien 2018)

Regie: Jacques Audiard

Drehbuch: Jacques Audiard, Thomas Bidegain

LV: Patrick deWitt: The Sisters Brothers, 2011 (Die Sisters Brothers)

TV-Premiere. Schön schwarzhumoriger Neowestern über zwei Kopfgeldjäger, die titelgebenden Angst und Schrecken verbreitenden und noch auf der geistigen Entwicklunsstufe eines Kindes stehenden Sisters Brothers, die quer durch den Wilden Westen einen Goldsucher jagen. Der soll im Besitz einer Zauberformel zum effektiven Goldwaschen sein.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit John C. Reilly, Joaquin Phoenix, Jake Gyllenhaal, Riz Ahmed, Rutger Hauer, Rebecca Root, Carol Kane

Die lesenswerte Vorlage

Patrick deWitt: Die Sisters Brothers

(übersetzt von Marcus Ingendaay)

Goldmann, 2013

352 Seiten

9,99 Euro

Deutsche Erstausgabe

Manhattan/Goldmann, 2012

Originalausgabe

The Sisters Brothers

ecco/HarperCollins Publishers, New York 2011

Hinweise

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Rotten Tomatoes über „The Sisters Brothers“

Wikipedia über „The Sisters Brothers“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Jacques Audiards „The Sisters Brothers“ (The Sisters Brothers, Frankreich/Spanien/Rumänien/USA/Belgien 2018)


Neu im Kino/Buch- und Filmkritik: „The Sisters Brothers“ reiten durch den Wilden Westen

März 12, 2019

Wir sind die Sisters Brothers“ rufen sie durch die Nacht und normalerweise reicht die Nennung ihres Namens, um für klare Verhältnisse zu sorgen. Wenn nicht helfen einige Kugeln nach.

Eli (John C. Reilly) und Charlie Sisters (Joaquin Phoenix) sind psychopathische Killer, die für den Commodore (Rutger Hauer) im Wilden Westen Männer jagen und normalerweise töten. Warum sie diese Männer töten sollen, ist ihnen egal. Jetzt sollen sie Hermann Kermit Warm (Riz Ahmed) töten. Davor soll er ihnen seine Wunderformel zum Goldwaschen verraten. John Morris (Jake Gyllenhaal), der ebenfalls für den Commodore arbeitet, hat sich bereits auf die Suche nach Warm gemacht. Er soll herausfinden, wo Warm sich aufhält und das den Sisters-Brüder sagen. Die Jagd geht dabei von Oregon bis nach Kalifornien, wo um 1851 gerade unzählige Goldsucher und Strauchdiebe nach dem kostbaren Metall suchen.

Beginnen wir mit den netten Paradoxien. In Interviews betont Jacques Audiard, er habe keine Beziehung zu dem Genre. Gedreht wurde der Film in Spanien, Rumänien und Frankreich. Das Geld für den Film stammt aus Frankreich, Spanien, Rumänien, Belgien und, immerhin auch, den USA. Und die Vorlage für den Film schrieb ein Kanadier.

Gestandene Westernfans wird nichts davon sonderlich irritieren. Denn der Western gehört schon lange nicht mehr exklusiv Hollywood und den USA. Wenn gewisse Elemente erhalten bleiben, kann ein Western auch im Weltall spielen. Und spätestens seit den Spaghetti-Western ist klar, dass bei einem Western die Optik wichtiger als der Drehort ist.

Und die stimmt in „The Sisters Brothers“. Der mit dem Silbernen Löwen für die beste Regie bei den Filmfestspielen von Venedig 2018 ausgezeichnete Film hat alles, was zu einem Western dazu gehört: fotogene Landschaften, viel Sand, Goldsucher, dreckige Männer und Schießereien. Nur die Indianer fehlen. Aber die fehlen auch in fast jedem Hollywood-Western.

Im Roman noch mehr als in Film erscheint der Wilde Westen als eine fast schon überbevölkerte Gegend. Denn ständig treffen die Sisters-Brüder auf andere Menschen. Fast immer enden diese Begegnungen, aus den verschiedensten Gründen, tödlich für die Menschen, die die Sisters-Brüder treffen. Mal weil sie die Sisters-Brüder umbringen wollen, mal weil sie ihnen etwas nicht geben wollen.

Während Charlie Alkohol und andere Drogen in rauen Mengen konsumiert, ist sein älterer Bruder Eli der sensiblere. Er trägt einen Schal, den er von einer Frau erhielt und, nachdem ihm ein Händler eine Zahnbürste verkaufte, pflegt er mit der Sorgfalt eines Kindes, das gerade etwas Faszinierendes entdeckte, seine Zähne. Diese Zahnpflege ist gleichzeitig ein Bote der Zivilisation. Ein Zeichen, dass die gesetzlose Zeit des Wilden Westens langsam endet.

Die beiden Brüder sind dabei wie kleine Kinder, die zwar auf dem Weg von Oregon nach Kalifornien unglaublich viele Menschen umbringen, aber auch immer wieder naiv-staunend durch den Wilden Westen reiten. Man muss diese beiden Psychopathen, wundervoll gespielt von Joaquin Phoenix und John C. Reilly, einfach ins Herz schließen.

Während der Roman von Eli erzählt wird, erhalten im Film John Morris und Hermann Kermit Warm ein größeres Gewicht. Warm ist nicht mehr nur die Person, die Charlie und Eli Sisters jagen, sondern Teil eines eigenen Plots. Gleichzeitig ist Warm als Entrepreneur, der mit seiner Intelligenz und seinen Händen auf ehrliche Weise ein Vermögen aufbauen will, die Verkörperung eines neuen Geistes, der sich deutlich von der Raubrittermentalität des Commodore unterscheidet.

Und so erzählt Jacques Audiard („Ein Prophet“, „Der Geschmack von Rost und Knochen“, „Dämonen und Wunder“) nur auf den ersten Blick eine typische Western-Geschichte mit Pferden und Killern. Auf den zweiten Blick ist es eine vielschichtige, sehr vergnügliche, kurzweilige und witzige Abhandlung über das Erwachsenwerden von zwei Brüdern und einer Gesellschaft. Mit unklaren Erfolgsaussichten, aber einem großen Vergnügen am Unterlaufen der Zuschauererwartungen an einen typischen Western.

The Sisters Brothers (The Sisters Brothers, Frankreich/Spanien/Rumänien/USA/Belgien 2018)

Regie: Jacques Audiard

Drehbuch: Jacques Audiard, Thomas Bidegain

LV: Patrick deWitt: The Sisters Brothers, 2011 (Die Sisters Brothers)

mit John C. Reilly, Joaquin Phoenix, Jake Gyllenhaal, Riz Ahmed, Rutger Hauer, Rebecca Root, Carol Kane

Länge: 121 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Die lesenswerte Vorlage

Patrick deWitt: Die Sisters Brothers

(übersetzt von Marcus Ingendaay)

Goldmann, 2013

352 Seiten

9,99 Euro

Deutsche Erstausgabe

Manhattan/Goldmann, 2012

Originalausgabe

The Sisters Brothers

ecco/HarperCollins Publishers, New York 2011

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

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Metacritic über „The Sisters Brothers“

Rotten Tomatoes über „The Sisters Brothers“

Wikipedia über „The Sisters Brothers“ (deutsch, englisch)

 


TV-Tipp für den 26. April: Ein Prophet

April 26, 2017

Arte, 22.30

Ein Prophet (Un Prophète, Frankreich/Italien 2009)

Regie: Jacques Audiard

Drehbuch: Jacques Audiard, Thomas Bidegain

Ein Bildungsroman der anderen Art: der 19-jährige Malik kommt in den Knast und lernt dort alles, was er für das Leben braucht. Dummerweise macht ihn nichts davon zu einem wertvollen Mitglied der Gesellschaft.

In Cannes erhielt „Ein Prophet“ den Großen Preis der Jury, bei den Cesars und den Étoiles d’Or (dem Preis der französischen Filmjournalisten) räumte er ab, er war den Oscar und Golden Globe als bester ausländischer Film nominiert, die Kritiker feiern den Film ab, Knackis (von denen etliche bei der Produktion beteiligt waren) loben die Authentizität des Films, es wurde über den Zustand und die Lebensbedingungen in den Knästen diskutiert und über 1,5 Millionen Franzosen lösten ein Kinoticket. In Deutschland war er nicht so erfolgreich und heute ist die TV-Premiere des Knastdramas.

mit Tahra Rahim, Nils Arestrup, Adel Bencherif, Reda Kateb

Hinweise

Film-Zeit über „Ein Prophet“

Moviepilot über „Ein Prophet“

Metacritic über „Ein Prophet“

Rotten Tomatoes über „Ein Prophet“

Wikipedia über „Ein Prophet“ (deutsch, englisch, französisch)