Neu im Kino/Filmkritik: Mux ist zurück in „MuxmäuschenstillX“

Mai 2, 2025

2004 war „Muxmäuschenstill“ ein Überraschungserfolg. Jan Henrik Stahlberg spielte Mux in der Rolle seines Lebens. Dieser Mux war ein bieder aussehender junger Mann mit dem Charme eines Bankangestellten einer kleineren Provinzbank. Der potentielle Lieblingsschwiegersohn lebte in Berlin, geht gegen Regelbrecher vor und, wir befinden uns noch in den Anfängen von Social Media, stellt Videos seiner Aktionen online. Diese Videos lösen eine Bewegung aus. Denn endlich unternimmt jemand etwas gegen nervige Verbrecher wie Schwimmbadpinkler, Hundehalter, die sich nicht um die auf dem Bürgersteig liegende Kacke ihrer Hunde kümmern und um Menschen, die rote Ampeln ignorieren. Er überwacht auch die Müllentsorgung im Hinterhof. Kurz: Mux ist ein selbsternannter Ordnungswächter, den wir in der Realität als Blockwart hassen, aber in unserer Fantasie manchmal gerne für fünf Minuten wären. Gerade dieses Ausleben unserer niederen Gefühle im Kino macht den Charme und das damit verbundene Unbehagen von „Muxmäuschenstill“ aus.

Gegen die großen Ungerechtigkeiten und gegen echte Verbrecher unternahm der selbsternannte Ordnungsfanatiker nichts.

Am Ende von „Muxmäuschenstill“ läuft Mux in Italien vor ein zu schnell fahrendes Auto.

Am Anfang von „MuxmäuschenstillX“ erfahren wir, dass Mux diesen Unfall wider Erwarten überlebte und die nächsten Jahre im Koma verbrachte. Jetzt ist er zurück – und die Skepsis ist groß. Schließlich sind die meisten Fortsetzungen von früheren Erfolgen enttäuschend und oft auch überflüssig, weil das damals erfolgreiche Gericht einfach wieder aufgekocht wird. So als sei zwischen damals und heute keine Zeit vergangen.

Insofern erfreuen die ersten Minuten von „MuxmäuschenstillX“. Mux schreibt nämlich ein Manifest und er will in der ostdeutschen Provinz beginnen, Deutschland mit seiner Philosophie, dem Muxismus, und der von ihm gegründeten Partei zu verändern. Das Ziel ist der Bundestag. Sein revolutionäres Manifest liest sich, ohne Umsturzfantasien, wie ein linkes Parteiprogramm der Linkspartei. Das könnte der Beginn für einen ordentlichen Klassenkampf sein.

Aber dann zerfasert der Film in Wiederholungen von „Muxmäuschenstill“ und Pillepalle-Aktionen, wie das Stürmen der ersten Klasse im Zug. Das sind nette Sponti-Aktionen, die nichts bewirken.

Gleiches gilt für die von Mux forcierten Begegnungen zwischen Hartz-IV-Empfängern und Vermögenden, die sich gegenseitig versichern, dass sie Menschen seien. Das hat noch nicht einmal das Niveau eines „Wir sind alle Brüder“-Gottesdienstes.

Der am Anfang im Zentrum des Films stehende Wahlkampf wird atemberaubend schnell zu einer nebensächlichen Nebensache. Der tiefere Einblicks in die Mechanismen eines Wahlkampfs und eine umfassendere Gesellschaftsanalyse fehlen vollständig. Hier verbleibt auf theoretischer Ebene alles in etwas linker Revolutionsromantik und auf praktischer Ebene in einer durchgehend negativen Zeichnung der im Film gezeigten Hartz-IV-Empfänger als stumpf-dumme Masse. Das führt immerhin zu der ironischen Volte, dass Mux für Menschen kämpft, die er zutiefst verachtet.

Gleichzeitig beherrscht von der ersten Minute an eine übergroße Angst vor Kritik die Komödie. Diese Vorsicht ist in Stalbergs früheren Werken „Muxmäuschenstill“ und „Fikkefuchs“ (2017), wo er ebenfalls das Drehbuch schrieb, Regie führte und die Hauptrolle übernahm, nicht vorhanden. Da wurde jede Gelegenheit für eine Provokation genutzt. In „MuxmäuschenstillX“ ist es anders. Es ist eine Komödie, die behauptet, zu provozieren, es dann aber niemals tut. Exemplarisch können wir hier die Szene nehmen, in der Mux‘ übergewichtige, ältere Sekretärin zu ihm ins Bett geht und Sex mit ihm möchte. Mux lehnt panisch ab. Im Voice-Over erklärt er dann, dass er nichts gegen dicke Frauen habe, er aber als Parteiführer Beziehungen mit von ihm angestellten Menschen ablehne. Anstatt jetzt in der nächsten Szene seine von uns vermutete Bigotterie zu entlarven, indem er eine Beziehung mit einer den gängigen Schönheitsidealen entsprechenden Frau eingeht und dabei seine Macht als Parteiführer ausnutzt, beginnt er eine Beziehung mit einer ähnlich übergewichtigen Musikerin, die zu seiner Muse wird.

Zu dieser Ängstlichkeit passt, dass Mux in „MuxmäuschenstillX“ nicht mehr der selbsternannte Ordungsfanatiker und ressentimentgetriebene Kleinbürger des ersten Films ist. Jetzt will er die Welt mit Argumenten, einem Parteiprogramm und einer Partei verbessern, die ein normallinkes Programm hat. Dieser Mux provoziert nicht mehr.

Das macht „MuxmäuschenstillX“ zu einer überflüssigen Wiederauferstehung.

MuxmäuschenstillX (Deutschland 2024)

Regie: Jan Henrik Stahlberg

Drehbuch: Jan Henrik Stahlberg

mit Jan Henrik Stahlberg, Bettina Hoppe, Sophie Roeder, Tilman Vellguth, Henriette Simon

Länge: 103 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „MuxmäuschenstillX

Moviepilot über „MuxmäuschenstillX

Meine Besprechung von Jan Henrik Stahlbergs „Fikkefuchs“ (Deutschland 2017)


Neu im Kino/Filmkritik: Muxmäuschenstill ist jetzt „Fikkefuchs“

November 16, 2017

Vor dreizehn Jahren spielte Jan Henrik Stahlberg in dem von ihm mitgeschriebenen Film „Muxmäuschenstill“ Mux, einen gescheiterten Philosophiestudent, der jetzt den Menschen wieder Verantwortung beibringen will. Er geht gegen Ordnungswidrigkeiten und schlechtes Benehmen vor. Er stellt die über seine Aktionen gedrehten Filme ins Internet und wird zum Gründer einer Bewegung. Und so nett und sympathisch, wenn auch etwas rechthaberisch Mux am Anfang ist, so schnell wird auch das hinter seinen Aktionen stehende faschistoide und reaktionäre Gedankengut offensichtlich. Auch wenn jeder manchmal gerne wie Mux wäre und viele Szenen in der in schönster Guerilla-Manier gedrehte,n tiefschwarzen Berlin-Komödie unglaublich komisch sind.

Danach war Stahlberg auf diese Rolle festgelegt.

Für seinen neuesten, ähnlich kompromisslosen, aber deutlich weniger publikumsträchtigen Film griff er auf die aus „Muxmäuschenstill“ bewährten Strategien zurück. Auch „Fikkefuchs“ entstand als No-Budget-Produktion. Er musste keine Kompromisse mit irgendwelchen Geldgebern, Produzenten oder Redakteuren machen. Er geht, wieder, vollkommen in seiner Rolle auf. Er spielt Richard Ockers, genannt „Rocky“. Er nennt sich den „größten Stecher von Wuppertal“. Inzwischen lebt der End-Vierziger allein in Berlin in einer abgeranzten Wohnung. Überall prahlt er mit seinen wahrscheinlich schon immer imaginären Sex-Abenteuern mit jungen Frauen. Ebenso wortreich pflegt er seinen Hass auf Frauen und den Rest der Welt. Er ist, selten durch etwas Bildungsbürgertum getarnt, ein frauenfeindliches Arschloch, das sich für den Größten hält, immer noch sehr jungen Frauen hinterhersteigt und aussieht, wie ein ungewaschen aus dem Klo gezogener Zwillingsbruder von Michel Houellebecq. Ohne dessen intellektuelle Brillanz.

Eines Tages liegt Thorben (Franz Rogowski) vor seiner Tür. Er ist sein Sohn. Bis jetzt wusste Rocky nicht, dass er überhaupt einen Sohn hat. Zögernd nimmt er ihn bei sich auf und will ihm dann erklären, wie das so mit dem Aufreißen von Frauen geht. Denn Thorben floh aus der Psychiatrie. Dort war der Mittzwanziger wegen versuchter Vergewaltigung. Seine sexuellen Erfahrungen beziehen sich bis jetzt auf den maßlosen Konsum von Pornos, während seine Gedanken, die er normalerweise ungefiltert äußert, sich nur um Sex mit Frauen drehen.

Vater und Sohn sind also ein Traumgespann der Misogynie, mit dem man im echten Leben nicht mehr Zeit als nötig verbringen möchte. Stahlberg, der auch die Regie übernahm und zusammen mit Krimiautor Wolfram Fleischhauer das Drehbuch schrieb, und Franz Rogowski, der seinen Sohn spielt, werfen sich hundertfünfzigprozentig in ihre Rollen und die daraus permanent entstehenden, abstoßenden Fremdschäm-Momente.

Das ist der große Unterschied zwischen „Muxmäuschenstill“ und „Fikkefuchs“. In „Muxmäuschenstill“ konnte man mit Mux mitfühlen und auch Gemeinsamkeiten erkennen. Man konnte über das Thema des Films miteinander ins Gespräch kommen. Die Satire und die daraus resultierenden Überspitzungen waren immer erkennbar.

In „Fikkefuchs“ ist der satirische Aspekt unklar. Damit ist auch unklar, wie sehr Stahlberg sich selbst darstellt beziehungsweise seine eigenen Gefühle und Ansichten äußerst; – diese Frage stellt sich ja auch bei den Werken von Michel Houellebecq, der – wahrscheinlich – genau die Ansichten hat, die seine Figuren haben.

Es gibt in „Fikkefuchs“ auch keine Möglichkeit zur Identifikation. Man kann und will sich nicht mit den gezeigten Männern, vor allem dem Vater-und-Sohn-Gespann identifizieren. Sie sind sex- und notgeile, unbefriedigte, ihre Unsicherheit durch frauenfeindliche Sprüche tarnende Männlein. Da ist während des gesamten Films keine Entwicklung und auch keine zweite Ebene spürbar.

Es gibt auch nie eine filmische Überhöhung. Das liegt weniger an dem schmalen Budget, sondern daran, dass der quasi-dokumentarische, schäbige, mit seinen blassen Farben fast schon krank aussehende Look gewollt ist.

In „Fikkefuchs“ gibt es ein, zugegeben, kompromissloses und in sich geschlossenes Gemisch von Frauenhass, selten getarnt als Vergötterung der jungen, quasi jungfräulichen Frau, Dummheit und Selbstverblendung.

Dass Stahlberg nicht davor zurückschreckt, dem Publikum diesen Brocken vor die Füße zu werfen und dass er dabei einer Vision folgt, ist ihm hoch anzurechnen. Aber wirklich sehenswert oder erkenntnisreich ist der polarisierende Film nicht.

Fikkefuchs (Deutschland 2017)

Regie: Jan Henrik Stahlberg

Drehbuch: Jan Henrik Stahlberg, Wolfram Fleischhauer

mit Jan Henrik Stahlberg, Franz Rogowski, Thomas Bading, Susanne Bredehöft, Jan Pohl, Hans Ullrich Laux, Roald Schramm, Saralisa Volm

Länge: 104 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Fikkefuchs“

Moviepilot über „Fikkefuchs“

Wikipedia über „Fikkefuchs“

Homepage von Wolfram Fleischhauer


TV-Tipp für den 11. September: Muxmäuschenstill

September 11, 2013

ARD, 00.20

Muxmäuschenstill (D 2004, R.: Marcus Mittermeier)

Drehbuch: Jan Henrik Stahlberg

Mux ist jung. Mux sieht aus wie ein braver Student. Mux hat eine Mission. Er will den Menschen wieder Ideale und Verantwortungsbewusstsein beibringen. Gnadenlos geht er in Berlin gegen Schwarzfahrer, Hundehalter, Graffiti-Sprayer und Schwimmbad-Pinkler vor, bricht Gesetze und wird immer mehr zum Volkshelden.

Die schwarze, mit wenig Geld hergestellte, grandiose Satire war 2004 mit über 292.000 Besuchern der Überraschungserfolg im Kino.

Mit Jan Henrik Stahlberg, Ritz Roth

Hinweise:

Homepage zum Film „Muxmäuschenstill“

Wikipedia über „Muxmäuschenstill“

Bundeszentrale für politische Bildung: Filmheft „Muxmäuschenstill“ (2004)