Hinweis zum Umgang mit Zombies: „Shoot ‚em in the Head“

Juni 14, 2023

Schon vor George A. Romeros „Die Nacht der lebenden Toten“ (Night of the Living Dead) tauchten Zombies in Horrorfilmen auf. Aber diese, zugegeben wenigen, lebenden Toten haben nichts mit den von Romero und seinem Drehbuchautor John A. Russo erfundenen lebenden Toten zu tun. Romero und Russo erfanden in dem Moment auch die Regeln, nach denen Zombies Menschen töten. Nämlich stumpf, mal einzeln, mal in Gruppen, auf ihr Opfer zuschlurfen und dann zubeißen. Und wie sie getötet werden. Mit einem Kopfschuss oder einer Enthauptung. Der Film wurde 1968 in den USA und drei Jahre später, 1971, in Deutschland veröffentlicht. Ihr Werk war auch eine äußerst rabiate Kritik am Vietnamkrieg und der US-Gesellschaft. Es sorgte für Kontroversen und war ein Hit, dem viele weitere, ähnliche Filme folgten. Die meisten dieser Filme sind inzwischen vergessen. Romero selbst drehte, teil mit jahrelangen Pausen, weitere Zombiefilme, von denen vor allem „Zombie“ (Dawn of the Dead; das ist der Zombiefilm, in dem die Menschen sich in einer Shopping-Mall vor den angreifenden Zombies verstecken) einflussreich war.

Die erste große Zombiewelle, die damals durch die Kinos schwappte, ebbte in den ausgehenden achtziger Jahren ab.

Mit „28 Days later“, „Shaun of the Dead“ und Robert Kirkmans Comicserie „The Walking Dead“ kehrten die Zombies in den frühen Nuller-Jahren zurück in das öffentliche Bewusstsein. Mit der erfolgreichen TV-Serie „The Walking Dead“ (die Niasseri nicht gefällt) eroberten sie 2010 sogar das Fernsehen. Das diee und andere Zombieserien im Fernsehen gezeigt wurden, sagt einiges über den gesellschaftlichen Wandel in den vergangenen fünfzig Jahren. Denn ein richtiger Zombiefilm ist ein blutiges Massaker, das nicht von Kindern gesehen werden sollte.

Mit „Shoot ‚em in the Head“ schrieb „Rolling Stones“-Redakteur Sassan Niasseri jetzt „Eine Film- und Seriengeschichte der Zombies“. Beginnend mit der „Nacht der lebenden Toten“ rekapituliert er die Geschichte des Zombiefilms in den vergangenen über fünfzig Jahren. Ausführlich geht er selbstverständlich auf Romeros Zombiefilme und die unmittelbar mit diesen Filmen zusammenhängenden Filme ein.

Er streift auch die mit den Zombiefilmen und anderen harten Horrorfilmen aus den Siebzigern und Achtzigern untrennbar verbundene Zensurgeschichte. Mit dem Aufkommen der Videocassette gab es erstmals die Möglichkeit, problemlos in der eigenen Wohnung ungeschnittene Fassungen von Filmen zu gucken, die im Kino nur von Erwachsenen gesehen werden durften. Moral- und Sittenwächter, die eine Verrohung der Kinder befürchteten, begannen panisch diese Filme großflächig zu verbieten. In Großbritannien gab es die „Video Nasties“; in Deutschland Listen verbotener Filme. Für Jugendliche waren diese Listen, auch das erzählt Niasseri, Einkaufslisten.

Für das Buch hat er sich mit John A. Russo, Judith O’Dea, Gaylen Ross, Lori Cardille, Terry Alexander, Eugene Clark (alle in Romeros erste vier Zombie-Filmen involviert) und Matthias Schweighöfer (der in Zack Snyders Netflix-Zombiefilm „Army of the Dead“ mitspielt) unterhalten.

Das klingt vielversprechend, aber „Shoot ‚em in the Head“ ist dann doch eine enttäuschende Lektüre. Niasseri strukturiert sein Buch mild chronologisch von Romeros „Die Nacht der lebenden Toten“ bis hin zur Gegenwart. In den einzelnen Kapiteln springt er immer wieder, mehr assoziativ und essayistisch als analytisch, hin und her. Da geht es, auf wenigen Seiten, von den britischen Video Nasties über die 1984er ZDF-Dokumentation „Mama, Papa, Zombie“ und Niasseris Leben auf dem Dorf zu Michael Jacksons Musikvideo „Thriller“. Da wird von Film zu Film und wieder zurück gesprungen.

Er verzichtet auf präzisere Inhaltsangaben, weil die Fans des Zombiefilms die Klassiker in- und auswendig kennen. Nicht-Fans müssen dann halt öfter die Lektüre unterbrechen und bei Wikipedia nachgucken.

Und er benutzt die deutschen Filmtitel. Heute sind bei einigen Filmen die Originaltitel bekannter. Und bei einigen Filmen herrscht ein munteres Titel- und Fassungskuddelmuddel, das ganze Promotionen inspirieren kann. So wurde Lucio Fulcis „Paura nella città dei morti viventi“ in Deutschland unter dem Kinotitel „Ein Zombie hing am Glockenseil“ (das ist immer noch der bekannteste Titel), „Die Stadt der lebenden Toten“, „Ein Toter hing am Glockenseil“, „Eine Leiche hängt am Glockenseil“, „Ein Kadaver hing am Glockenseil“, „Eine Leiche hing am Glockenseil“ und „City of the Living Dead“ veröffentlicht und verboten.

Eine Filmographie, die hier Abhilfe schaffen könnte, gibt es nicht. Es gibt nur ein Titelregister, das einem immerhin hilft, den Film im Text zu finden.

Das alles erschwert beim Lesen die Orientierung und verleidet einem nach der Lektüre ein wiederholtes Blättern in dem faktenreichen Werk.

Sassan Niasseri: Shoot ‚em in the Head – Eine Film- und Seriengeschichte der Zombies

Schüren, 2023

200 Seiten

28 Euro

Hinweise

Wikipedia über Zombiefilme (deutsch, englisch)

Zum Nachgucken: die legendäre TV-Doku „Mama, Papa, Zombie“ (das sollte das Werk ohne Schnitte sein)

Inszeniert von John Landis tanzt Michael Jackson den „Thriller“


DVD-Kritik: „Doc of the Dead“ und die Zombies

Dezember 1, 2014

https://www.youtube.com/watch?v=gZHLS2PwMKs

Zombies – seit einigen Jahren, naja, ziemlich genau seit Danny Boyles „28 Days Later“ (2002), den ersten „The Walking Dead“-Comicheften (in den USA ab Oktober 2003) und Edgar Wrights Zombie-Parodie „Shaun of the Dead“ (2004) sind Zombies anscheinend überall in der Popkultur, im US-TV sogar in der Werbung, und, bei Zombie Walks, auch auf der Straße.

Höchste Zeit also für eine Dokumentation. Alexandre O. Philippe, der bekannt für „The People vs. George Lucas“ ist, in der er sich mit den Fans von „Krieg der Sterne“ und ihrem Ärger über George Lucas beschäftigte, lieferte sie jetzt mit „Doc of the Dead“. Die Doku richtet sich gleichzeitig an Neueinsteiger, die einen ersten, aber ziemlich umfassenden Einblick in das Zombie-Phänomen bekommen wollen, und Fans, die sich über die Statements wichtiger Zombie-Schöpfer freuen.

Alexandre O. Philippe verortet, wenig überraschend, den Ursprung der heutigen Zombies in George A. Romeros „Die Nacht der lebenden Toten“ (Night of the Living Dead, 1968) und dem Nachfolger „Zombie“ (Dawn of the Dead, 1978), der in einem Einkaufzentrum spielt,bei uns in Dario Argentos europäischer Schnittfassung bekannt ist und in zahlreichen, mehr oder weniger lieblosen Ausgaben in verschiedenen Schnittfassungen auf Video, DVD und Blu-ray erschien.

Philippe erwähnt in seiner Dokumentation auch die filmischen Vorläufer, wie „White Zombie“, und die realen Ursprünge. Aber im Mittelpunkt von Philippes Doku stehen Romeros Zombie-Filme, die Comicserie „The Walking Dead“, aus der eine erfolgreiche TV-Serie wurde, die Zombiefilme der letzten Jahre und die damit verbundenen Entwicklungen („World War Z“ als PG-13-Zombie-Film mit Blockbuster-Budget [bei uns FSK-16], „Warm Bodies“ als Zombie-Date-Movie), die Frage, ob Zombies schlurfen oder rennen, warum Zombies für uns Menschen so furchtbar sind und wie die Filme die Wirklichkeit beeinflussen. Denn abgesehen vom Zombie-Fantum gibt es auch – absurd, aber wahr – Beratungs- und Sicherheitsfirmen, die einem erklären, was man im Fall eines Zombie-Angriffs tun muss, inclusive Überlebenswochenenden und Übungsausstattung. Dazu gibt es noch einige überflüssige Mockumentary-Sequenzen.

Doc of the Dead“ gibt einen kurzweiligen, kundigen und informativen Einblick in das Zombie-Phänomen, der allerdings auch, wie man es von anderen US-Dokumentationen kennt, den Zuschauer mit einem Dauerfeuer aus Bild und Ton bombardiert. So darf kaum ein Interviewter mehr als drei Sätze am Stück sagen.

Es ist auch ein sehr amerikanischer Blick, der den europäischen Zombiefilm (ich sage nur „Ein Zombie hing am Glockenseil“) komplett ignoriert und, angesichts der präsentierten Stofffülle, notgedrungen an der Oberfläche bleibt.

Doc of the Dead - DVD-Cover 4

 

Doc of the Dead (Doc of the Dead, USA 2014)

Regie: Alexandre O. Philippe

Drehbuch: Chad Herschberger, Alexandre O. Philippe

mit Charlie Adlard, Max Brooks, Robert Kirkman, Greg Nicotero, Simon Pegg, George A. Romero, Russ Streiner, Bruce Campbell, Tom Savini, John A. Russo, Alex Cox

DVD

Entertainment One

Bild: 2,35:1

Ton: Englisch (Dolby Digital 5.1)

Untertitel: Deutsch

Bonusmaterial: –

Länge: 77 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Rotten Tomatoes über „Doc of the Dead“

Wikipedia über „Doc of the Dead“

Publikumsgespräch nach der Weltpremiere am 27. April 2014 in Toronto mit Regisseur Alexandre O. Philippe und Thea Munster (Toronto Zombie Walk)