Wie verfilmt man ein dickleibiges, mit Zahlen gesättigtes Ökonomie-Sachbuch? Eine Möglichkeit ist die von Justin Pemberton gewählte: in einem großen historischen Bogen erzählt er, der Argumentation des Buches folgend, die Geschichte des Kapitalismus von der Französischen Revolution bis zur Gegenwart nach. Neben Thomas Piketty, dem Autor des hier verfilmten Bestsellers „Das Kapital im 21. Jahrhundert“, reden auch andere Wissenschaftler, wie Faiza Shaheen und Joseph Stiglitz, über den Kapitalismus. Dazu gibt es historische Aufnahmen und viele Bilder aus Spielfilmen, die uns die Vergangenheit, in der es noch eine Dokumentarfilme gab, nahe bringen.
Dieser Argumentation kann dann von bekannter gesellschaftlicher Umwälzung zu bekannter gesellschaftlicher Umwälzung gut gefolgt werden. Pemberton und Piketty zeigen, wie Kriege zu Umverteilungen des Kapitals führen und wie der Kapitalismus, wenn er nicht reguliert wird, zu einer Konzentration des Geldes bei der herrschenden Klasse führt. Diese Konzentration führt auch dazu, dass die Grundannahme kapitalistischer Gesellschaften, nach der es jeder nachkommenden Generation besser als der vorhergehenden Generation geht, nicht mehr stimmt. Falls, und darüber müsste gesondert diskutiert werden, sie jemals stimmte.
Diese These belegt Piketty in seinem Buch mit zahlreichen Statistiken. Im Film wird davon erzählt. Ebenfalls mit einem großen historischen Atem, der tagespolitische Gefühle und Ereignisse einordnet. Angesichts der knappen Zeit die ein zweistündiger Film gegenüber einem achthundertseitigem Buch hat, bleibt die Analyse notgedrungen oberflächlich.
Aber als, je nach Vorwissen, Einstieg in das Thema oder als bildgewaltige kapitalismuskritische Auffrischung funktioniert „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ gut.
Vor dem Kinostart war unklar, in welchen Fassungen Pembertons Film in unseren Kinos laufen wird. Wer den Franzosen Thomas Piketty im Original sprechen hören möchte, sollte sich daher unbedingt die untertitelte Originalfassung ansehen.
Das Kapital im 21. Jahrhundert (Capital in the twenty-first Century, Frankreich/Neuseeland 2019)
Regie: Justin Pemberton
Drehbuch: Thomas Piketty, Matthew Metcalfe, Justin Pemberton
LV: Thomas Piketty: Le Capital au XXIe siècle, 2013 (Das Kapital im 21. Jahrhundert)
mit Thomas Piketty, Faiza Shaheen, Gillian Tett, Joseph Stiglitz
„Wohnen ist vor allem ein Menschenrecht. Es ist der Mittelpunkt unseres Lebens. Es ist der Ort, an dem wir in Sicherheit, Frieden und Würde leben könne. Es ermöglicht uns, alle unsere anderen Rechte in Anspruch zu nehmen. (…)
Ich glaube, es gibt einen großen Unterschied zwischen Wohnraum als Ware und Gold als Ware. Gold ist kein Menschenrecht. Wohnen schon.“
Leilani Farha, UN-Sonderberichterstatterin für das Menschenrecht auf Wohnen
Weil wir von der Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union den Film im Rahmen von „One World Berlin“ präsentieren und ich den Abend moderiere, kann ich den Dokumentarfilm „Push – Für das Grundrecht auf Wohnen“ nicht besprechen. Denn wenn ich sage, der Film sei gut, heißt ich, ich müsse das ja sagen.
Und trage einige Fakten zusammen. Fredrik Gertten („Becoming Zlatan“, Bikes vs Cars“, „Big Boys gone Bananas!*“) begleitet in seinem neuen Film Leilani Farha, seit 2014 UN-Sonderberichterstatterin für das Menschenrecht auf Wohnen, bei ihren Besuchen in Großstädten, wie Berlin, London, New York und Toronto. Diese Städte sind alle mit erschreckend ähnlichen Problemen konfrontiert. Farha unterhält sich mit Mietern, sieht sich ihre Wohnungen an, erkundet den Wohnungsmarkt in den besuchten Großstädten (sofern es überhaupt noch einen Markt gibt) und redet mit Experten. Diese Einblicke zeigen eindrucksvoll, wie immer mehr Investmentgesellschaften Miethäuser kaufen und kein Interesse daran haben, Wohnungen zu vermieten. Ihr Geschäft ist nicht das Vermieten von Wohnungen, sondern die Geldvermehrung mit Spekulationen. Es handelt sich um eine Form der exorbitanten Verteuerung von Wohnraum, die nichts mit den seit langem bekannten Gentrifizierungen zu tun hat. Und die für die potentiellen Mieter noch erschreckender ist. Denn die Mietwohnungen werden überhaupt nicht mehr zur Vermietung angeboten.
Farha und auch Gertten bemühten sich während der Dreharbeiten auch um ein Gespräch mit einem Vertreter dieser Gesellschaften. Das Gespräch fand nicht statt. Vor diesem Problem stand auch Bettina Borgfeld in ihrer ebenfalls sehenswerten Doku „Was kostet die Welt“ über den Aufkauf der Ärmelkanal-Insel Sark durch die Barclay-Zwillingsbrüder.
Dafür traf „Push“-Regisseur Gertten die Soziologin Saskia Sassen, den Wirtschafts-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und den Schriftsteller Roberto Saviani („Gomorrha“, „Paranza – Der Clan der Kinder“ [Verfilmung ab dem 22. August im Kino]).
Zugunsten der Konzentration auf Farhas Arbeit vor Ort vernachlässigt Gertten Farhas sonstige Arbeit als UN-Sonderberichterstatterin. Es gibt kaum Bilder und Informationen über von ihr besuchte Konferenzen und Tagungen und geführte Hintergrundgesprächen. Wie sie ihr auf den Reisen gesammeltes Wissen in Resolutionen und für von Entmietungen Betroffene versucht in konkrete Politik umzusetzen und welche Probleme es dabei gibt, wird kaum gezeigt.
Wer nur daran interessiert ist, wie Politik funktioniert, sieht sich daher besser David Bernets Dokumentarfilm „Democracy – Im Rausch der Daten“ über die Arbeit an der Datenschutz-Grundverordnung (DGSVO) an. Als Ästhet empfehle ich die im Kino gezeigte SW-Version.
Für die Berliner gibt es in „Push – Für das Grundrecht auf Wohnen“ auch einige Bilder aus Deutschland schönster Stadt.
Push – Für das Grundrecht auf Wohnen (Push, Schweden 2019)
Regie: Fredrik Gertten
Drehbuch: Fredrik Gertten
mit Leilani Farha, Saskia Sassen, Joseph Stiglitz, Roberto Saviani
Diskussion in der Rosa-Luxemburg-Stiftung am 8. Mai 2019 mit Leilani Farha, Fredrik Gerrten, Katalin Gennburg (Sprecherin für Stadtentwicklung, Tourismus, Smart City aus dem Berliner Abgeordnetenhaus, Die Linke) und Dr. Ulrike Hamann (Soziologin an der HU Berlin und Aktivistin bei Kotti & Co.)
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Die Veranstaltungen zum Film (soweit bis jetzt bekannt):
Preview in Kooperation mit der Humanistischen Union und das One World Berlin Human Rights Film Festival mit anschließender Diskussion mit Aktivist*innen vom Bündnis Zwangsräumung verhindern, in Rahmen der Reihe »One World Berlin – Menschenrechte aktuell«
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Berlin | Dienstag, 4. Juni 2019 | 21:00 Uhr | Freiluftkino Insel im Cassiopeia
Sondervorführung mit anschließender Diskussion. In Kooperation mit dem Human Rights Film Festival Berlin.
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Berlin | Mittwoch, 5. Juni 2019 | 21:30 Uhr | Griessmühle
Preview mit Filmgespräch mit Klaus Lübke von der SPD, Stadtteilkümmerer auf der Veddel und Christoph Winkler, Architekt und Vorstand des Hamburger Architektursommers
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München | Donnerstag, 6. Juni 2019 | 20:30 Uhr | Monopol Kino
Sondervorführung mit anschließender Diskussion. In Kooperation mit #ausspekuliert und MUCBOOK
Sonderveranstaltung mit anschließender Diskussion. In Anwesenheit von Josef Wirges (Bezirksbürgermeister Ehrenfeld) Martin Schmittseifer (Vorstand JACK IN THE BOX e.V.), Hawe Möllmann (Sprecher der Bürgerinitiative Helios) und weiteren Gästen
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Bochum | Mittwoch, 12. Juni 2019 | 19:00 Uhr | Endstation Kino
Sonderveranstaltung mit Filmgespräch in Kooperation mit dem Mieterverein Bochum
Sondervorführung mit anschließendem Filmgespräch. In Anwesenheit von Dr. Norbert Gestring, Uni Oldenburg – Institut für Sozialwissenschaften, Stadtforschung. In Kooperation mit dem Ökumenische Zentrum Oldenburg
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Bonn | Mi., 26. Juni 2019 | 20 Uhr | Rex Kino
Sondervorführung mit anschließendem Filmgespräch. In Anwesenheit von Bernhard von Grünberg, Vorsitzender des Deutscher Mieterbund Bonn/Rhein-Sieg/Ahr e.V. und weiteren Gästen. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe #100JahreDMBBonn.
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Frankfurt a.M. | 10. Juli 2019 | 20 Uhr | Mal Seh’n
Sondervorführung in Kooperation mit Mietentscheid Frankfurt.