Neu im Kino/Filmkritik: „Jeder schreibt für sich allein“, jeder stirbt für sich allein

August 26, 2023

2020 veröffentlichte Anatol Regnier sein Sachbuch über bekannte deutsche Schriftsteller, die während der Nazi-Diktatur in Deutschland blieben und weiter Romane veröffentlichten.

Jetzt verfilmte Dominik Graf, mit Felix von Boehm als Co-Regisseur, das Sachbuch als formal konventionellen Dokumentarfilm. Die Kamera begleitet Anatol Regnier, wenn er sich Archive zeigen lässt und in historischen Dokumenten blättert. Dazwischen gibt es historische Aufnahmen und aktuelle Interviews mit Menschen, die etwas zu den porträtierten Schriftstellern sagen können.

Porträtiert werden, in der Reihenfolge ihrer Behandlung im Film, Gottfried Benn, Erich Kästner, Jochen Klepper, Hans Fallada, Hans Zöberlein, Ina Seidel, Hannes Johst und Will Vesperh. Sie gingen nicht, wie der im Film erwähnte Klaus Mann, ins Exil. Sie blieben in Deutschland. Ihre Motive unterschieden sich. Ebenso ihre Begeisterung für die neuen Machthaber. Und damit auch ihr Umgang mit der Nazi-Diktatur. Die ersten und auch bekannteren Autoren werden ausführlich behandelt. Später werden die Segmente kürzer. Trotzdem dauert der Film gut drei Stunden.

Es geht um ihr Leben während des Nationalsozialismus, warum sie im Land blieben, wie sie sich fühlten und arbeiteten. Es geht auch darum wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg mit ihren Handlungen umgingen. Und bei Will Vesper geht es auch um seinen Sohn Bernward Vesper und die Frage, wie die Kinder mit der Schuld ihrer Väter umgingen. Graf, von Boehm und Regnier wollen in ihrem Film verstehen, warum die Schriftsteller taten, was sie taten.

Das ist durchaus interessant, informativ und gut gemacht. Aber durch die Struktur, in der einfach Porträts hintereinander gereiht werden und die Porträtierten zunehmend unbekannter sind, auch zunehmend langweilig. Jedenfalls im Kino. Im Fernsehen als Zweiteiler oder in noch kleineren Häppchen, mag das anders sein.

Jeder schreibt für sich allein (Deutschland 2023)

Regie: Dominik Graf, Felix von Boehm (Co-Regie)

Drehbuch: Anatol Regnier, Dominik Graf, Constantin Lieb

LV: Anatol Regnier: Jeder schreibt für sich allein, 2020

mit Anatol Regnier, Gabriele von Armin, Florian Illies, Günter Rohrbach, Albert von Schirnding, Christoph Stölzl, Heinrike Stolze, Julia Voss, Géraldine Mercier, Ursula Käß, Helmuth Mojem, Willy Kristen, Wendelin Neubert, Carlo Paulus, Simon Strauß, Clemens von Lucius, Lena Winter

Länge: 169 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Jeder schreibt für sich allein“

Moviepilot über „Jeder schreibt für sich allein“

Meine Besprechung von Dominik Grafs „Schläft ein Lied in allen Dingen“ (2009)

Meine Besprechung der von Dominik Graf inszenierten TV-Serie  „Im Angesicht des Verbrechens“ (2010)

Meine Besprechung von Johannes F. Sieverts Interviewbuch „Dominik Graf – Im Angesicht des Verbrechens: Fernseharbeit am Beispiel einer Serie“ (2010)

Meine Besprechung von Chris Wahl/Jesko Jockenhövel/Marco Abel/Michael Wedel (Hrsg.) “Im Angesicht des Fernsehens – Der Filmemacher Dominik Graf” (2012)

Meine Besprechung von Dominik Grafs “Die geliebten Schwestern” (Deutschland/Österreich 2014)

Meine Besprechung von Dominik Grafs Erich-Kästner-Verfilmung „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ (Deutschland 2021)

Dominik Graf in der Kriminalakte


TV-Tipp für den 20. Juni: Mephisto

Juni 19, 2018

RBB, 23.00

Mephisto (Ungarn/Deutschland 1981)

Regie: István Szabó

Drehbuch: Péter Dobai, István Szabó

LV: Klaus Mann: Mephisto, 1936 (erste Veröffentlichung in Deutschland 1966, dann bis 1981 verboten, in der DDR seit 1956 erhältlich)

Hendrik Höfgen ist ein erfolgssüchtiger Schauspieler. Deshalb schmeichelt sich bei den Nazis ein.

Mit dem Oscar als bester ausländischer Film ausgezeichnetes Psychogramm, das auf dem lange verbotenen Roman „Mephisto“ von Klaus Mann basiert. Denn Mann porträtierte, nicht sehr vorteilhaft, Gustaf Gründgens, den er Hendrik Höfgen nannte.

Mit Hilfe der beiden hervorragenden Charakterdarsteller Rolf Hoppe und Klaus Maria Brandauer gelang Szabó ein glutvoller, nicht überlauter Film, kühl in den Emotionen, doch auch voll glanzvoller, reißerischer Rhythmik in der Bewegung der Szenen, in denen sich die Schauspieler und die Schausteller des Dritten Reichs ihre Auftritte liefern.“ (Heiko R. Blum/Sigrid Schmitt: Klaus Maria Brandauer, 1996)

Es ist ein Film, der durch die exemplarische Studie eines exemplarischen Charakters ein wahrhaftiges, ein beklemmendes Bild einer Zeit schafft, die Probleme aufgeworfen hat, die fortdauern – [der Ungar] Szabó weiß, wovon sein Film handelt. (…) Mit dem ‚Mephisto‘ ist ihm sein Meisterwerk gelungen.“ (Fischer Film Almanach 1982)

Am Freitag wird Klaus Maria Brandauer 75. Heute zeigt der RBB den Film, mit dem er seinen Durchbruch als Filmschauspieler hatte. Danach war er in „Sag niemals nie“ der Gegenspieler von James Bond und auch in Hollywood war er „Jenseits von Afrika“ gut beschäftigt. Danach kehrte er wieder, auch als Regisseur, sehr erfolgreich zum Theater zurück. In den vergangenen über zwanzig Jahren spielte er nur in wenigen Filmen mit.

mit Klaus Maria Brandauer, Krystyna Janda, Rolf Hoppe, Karin Boyd

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Mephisto“

Wikipedia über „Mephisto“ (deutsch, englisch)