Für Robert Eggers war „Nosferatu“ ein lange gehegtes Herzensprojekt. Schon als Kind war er von Murnaus „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ fasziniert. An der Highschool schrieb er eine Bühnenadaption, die auch aufgeführt wurde. Nach seinem Regiedebüt schrieb er ein Drehbuch für eine damals geplante Verfilmung. Die Pläne für eine Verfilmung zerschlugen sich in den folgenden Jahren immer wieder. Eine Zeit lang dachte Eggers auch, dass er niemals seine Nosferatu-Version verfilmen könnte. 2023 konnte er sie dann doch verfilmen.
Cineasten kennen und lieben Eggers für „The Witch“ (2016), „Der Leuchttum“ (2019) und „The Northman“ (2022), den ich optisch überzeugend, storytechnisch mehr als enttäuschend fand.
Jetzt läuft seine Version der bekannten Dracula-Geschichte im Kino und nachdem Bram Stokers Roman seit den ersten Tagen des Kinos unzählige Male verfilmt wurde, stellen sich natürlich sofort zwei Fragen: Wie überzeugend ist die Neuinterpretation? Und wie gut kann sie gegen die bekannten Versionen der Geschichte bestehen? Das wären unter anderem Tod Brownings „Dracula“ (1930 mit Bela Lugosi als Dracula), Terence Fishers „Dracula“ (1958 mit Christopher Lee als Dracula) und Francis Ford Coppolas „Bram Stoker’s Dracula“ (1992 mit Gary Oldman als Dracula).
Es gibt auch Friedrich Wilhelm Murnaus „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ (1922, mit Max Schreck als, nun Dracula, der hier Orlok bzw. Nosferatu heißt) und Werner Herzogs eigenständiges Remake „Nosferatu – Phantom der Nacht“ (1979, mit Klaus Kinski als Blutsauger). „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ bediente sich der „Dracula“-Geschichte, hatte aber die Rechte an Bram Stokers Roman nicht erworben. Das führte kurz nach dem Filmstart zu einer letztendlich erfolgreichen Klage von Bram Stokers Witwe.
Und dann gibt es noch zahlreiche mehr oder weniger freie, mehr oder weniger gelungene Erzählungen der Dracula-Geschichte. Genannt seien hier Dario Argentos misslungener „Dracula“ (2012) und der sehr gelungene BBC-Dreiteiler „Dracula“ von 2020. Die „Sherlock“-Macher Steven Moffat und Mark Gattis interpretierten die Geschichte für die Gegenwart und verlegten sie teilweise auch in die Gegenwart. Jonny Campbell, Damon Thomas und Paul McGuigan übernahmen die Regie. Claes Bang verkörperte den überaus charismatischen und verführerischen Grafen mit spürbarer Lust am Verführen, Beißen und Aussagen seiner Opfer.
Eine Sonderstellung hat E. Elias Merhiges „Shadow of the Vampire“ (2000), das als „Making of“ gleichzeitig eine Hommage und liebevolle Satire über Murnaus „Nosferatu“ ist. Mit Willem Dafoe als Max Schreck.
Nun präsentiert Robert Eggers seine Version der bekannten Geschichte. Er bezieht sich in seinem Dracula-Film explizit auf Murnaus Stummfilm, der „vor allem ein expressionistischer Gegenentwurf zum ‚Dracula‘ aus der Zeit nach der schwarzen Romantik“ (Georg Seeßlen, epd film 1/2025) ist. Die Geschichte darf nach all den Verfilmungen und dem heute immer noch populärem Roman als bekannt vorausgesetzt werden.
1838 wird der in der Ostsee-Hafenstadt Wisborg lebende junge, glücklich verheiratete Immobilienmakler Thomas Hutter (Nicholas Hoult) beauftragt, nach Transsylvanien zu reisen. Dort soll er Graf Orlok (Bill Skarsgård) treffen und den Vertrag für den Kauf eines Herrenhauses in Wisborg abschließen.
Der ziemlich seltsame Graf Orlok unterzeichnet den Vertrag und kurz darauf erkundet der Vampir nach Sonnenuntergang sein neues Jagdrevier Wisborg. Besonders interessiert er sich für Hutters Frau Ellen (Lily-Rose Depp).
Eggers inszeniert seine top besetzte Dracula-Variante sehr Stummfilm-Stilbewusst. Die von seinem Stamm-Kameramann Jarin Blaschke gemachten Bilder und das gewählte Bildformat erfreuen das Auge des Cineasten, der während des gesamten Films viele Anspielungen entdecken kann. Es gibt also genug Material für einige Universitätsseminare.
Aber hinter den Bildern ist nichts. In Vampirgeschichten geht es immer um Sex, Begehren und der Austausch von Körperflüssigkeiten, der bevorzugt durch einen Biss in den Hals erfolgt. Davon ist bei Eggers nichts zu spüren. Zugegeben: er zeigt viel nackte Haut. Aber Nacktheit hat – auch wenn wir uns Eggers‘ Nosferatu ansehen – nicht unbedingt etwas mit Erotik und Begehren zu tun.
Eigentlich sagt schon ein Bild am Filmanfang alles über den Film und sein größtes Problem. Eggers zeigt in einer Totalen eine junge Frau, die Mitten in der Nacht in einem Garten in einem Nachthemd auf der Wiese liegt und sich selbst befriedigt. Das kann auch über den Film gesagt werden: künstlerische, von sich und seiner Bedeutung bedingungslos überzeugte Selbstbefriedigung, die genau das vermissen lässt, was Dracula/Nosferatu ausmacht.
„Nosferatu – Der Untote“ ist prüdes lustfeindliches Ausstattungskino und so aufregend wie der längliche Besuch in einem Museum, in dem der Führer einem noch ein Schmuckstück der historischen Sammlung zeigen will.

Nosferatu – Der Untote (Nosferatu, USA 2024)
Regie: Robert Eggers
Drehbuch: Robert Eggers
LV (neben Murnaus „Nosferatu“): Bram Stoker: Dracula, 1897 (Dracula)
mit Bill Skarsgård, Nicholas Hoult, Lily-Rose Depp, Willem Dafoe, Aaron Taylor-Johnson, Emma Corrin, Simon McBurney, Ralph Ineson
Länge: 133 Minuten
FSK: ab 16 Jahre
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Hinweise
Moviepilot über „Nosferatu – Der Untote“
Metacritic über „Nosferatu – Der Untote“
Rotten Tomatoes über „Nosferatu – Der Untote“
Wikipedia über „Nosferatu – Der Untote“ (deutsch, englisch)
Meine Besprechung von Robert Eggers‘ „Der Leuchtturm“ (The Lighthouse, USA 2019)
Meine Besprechung von Robert Eggers‘ „The Northman“ (The Northman, USA 2022)
zu Graf Dracula und seinen Umtrieben
Meine Besprechung von Dario Argentos „Dario Argentos Dracula“ (Dracula 3D, Italien 2012)
Meine Besprechung von Gary Shores „Dracula Untold“ (Dracula Untold, USA 2014)
Meine Besprechung von Chris McKays „Renfield“ (Renfield, USA 2023)
Veröffentlicht von AxelB