Das Neue Evangelium(Deutschland/Schweiz/Italien 2020)
Regie: Milo Rau
Drehbuch: Milo Rau
TV-Premiere. Milo Rau erzählt die Geschichte von Jesus Christus. Mit Laiendarstellern in der süditalienischen Stadt Matera, wo Pier Paolo Pasolini seinen Jesus-Film „Das erste Evangelium – Matthäus“ aufnahm. Auf diesen Film bezieht Rau sich immer wieder. Gleichzeitig verknüpft er seine Inszenierung des Evangeliums mit aktuellen Problemen.
Marcello betreibt in einer süditalienischen Küstenstadt, deren besten Jahre schon einige Jahrzehnte zurückliegen, an der Strandpromenade einen Hundesalon. Zu seinen Nachbarn und Besucher gehören Kleingangster, die ihn in ihre Verbrechen hineinziehen.
TV-Premeire. Handlungsarmes Noir-Drama über einen gutmütigen Mann, der in einem normalen Gangsterfilm höchstens eine klitzekleine Nebenrollen hätte.
Zu Matteo Garrones vorherigen Filmen gehören „Gomorrha – Reise in das Reich der Camorra“ und „Das Märchen der Märchen“.
Ein richtiger Kinostart ist es natürlich nicht, weil im Moment alle Kinos geschlossen sind. Es ist auch vollkommen unklar, wann sie wieder eröffnen. Ich würde eher auf Mitte Februar oder Anfang März tippen und ich bin damit nicht allein. So werden im Moment die Kinostarts in Richtung Frühjahr verschoben. Oft ohne, dass ein Starttermin genannt wird. Und die für Mitte Februar geplante Berlinale wird, wenig überraschend, nicht im gewohnten Rahmen stattfinden.
Soweit das Umfeld, in dem der Film startet, und die technische Seite. Kommen wir jetzt zum Film.
In „Das Neue Evangelium“ inszeniert Theaterregisseur Milo Rau ein Stück über Jesus, vor allem über seine letzten Tage, filmt die Proben und das Stück, lässt sich dabei von Pier Paolo Pasolinis „Das erste Evangelium – Matthäus“ inspirieren und sieht sich, teilweise mit seinen Schauspielern, in der Gegend, in der sie drehen, um und unterhält sich mit Einheimischen. Insofern ist „Das Neue Evangelium“ ein Making of – und ein Experiment, das nach der Bedeutung von Jesus Christus für die Gegenwart fragt. Denn Milo Raus Jesus wird von Yvan Sagnet gespielt. Der Kameruner Sagnet kam 2008 zum Studium nach Italien, arbeitete als Farmarbeiter und organisierte Landarbeiterstreiks. Auch in Matera startet der Politaktivist eine politische Kampagne. Die „Revolte der Würde“ soll das Leben der Tomatenpflücker, die als Flüchtlinge nach Europa kamen, und der dort ansässigen Kleinbauern verbessern. Sagnet macht also in der Gegenwart das, was Jesus zu Lebzeiten getan hätte. Rau vermischt hier immer wieder die verschiedenen Ebenen, bis nicht mehr erkennbar ist, was jetzt die Inszenierung des Stücks und was die triste Realität ist, in der Arbeiter für eine Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse kämpfen. Die Frage nach der Aktualität von Jesus‘ Botschaft wird dagegen mit jedem Bild deutlicher.
„Das Neue Evangelium“ ist auch eine Auftragsarbeit. Der Drehort, die süditalienische Stadt Matera war 2019 „Kulturhauptstadt Europas“. Die Veranstaltungskuratoren fragten Milo Rau, ob er im Rahmen der Festveranstaltungen etwas inszenieren möchte. Seine Idee war ein Jesus-Film, der sich auf vorher dort gedrehte Jesus-Filme bezieht und sie mit der Gegenwart mischt.
In Matera entstand nämlich, um nur die beiden für „Das Neue Evangelium“ wichtigen Filme zu nennen, 1964 Pasolinis Jesus-Film „Das erste Evangelium – Matthäus“ und, deutlich unwichtiger, 2003 Mel Gibsons „Die Passion Christi“. Gibsons Maria-Darstellerin Maia Morgenstern spielt bei Rau wieder die Maria. Auch Pasolinis am 16. September 2020 verstorbener Jesus-Darsteller Enrique Irazoqui ist dabei. Er spielt Johannes, den Täufer. Dieses Mal ist er auch ein Lehrer, der den anderen bei der richtigen Interpretation ihrer Rolle hilft. Die Schauspieler sind wieder Laien. Gemeinsam sehen sie sich Ausschnitte aus Pasolinis nach seiner Premiere heftig diskutiertem und von ungefähr allen Seiten angefeindeten Jesus-Film an.
„Das Neue Evangelium“ ist ein zugleich zugängliches und sperriges Werk, das im Presseheft als „eine Verschmelzung von Dokumentarfilm, Spielfilm, politischer Aktionskunst und Passionsspiel“ beschrieben und „ein Manifest für die Opfer des westlichen Kapitalismus“ genannt wird. Es ist auch ein zum Nachdenken anregendes Werk.
Das Neue Evangelium(Deutschland/Schweiz/Italien 2020)
Regie: Milo Rau
Drehbuch: Milo Rau
mit Yvan Sagnet, Marcello Fonte, Enrique Irazoqui, Maia Morgenstern, Papa Latyr Faye, Samuel Jacobs, Yussif Bamba, Jeremiah Akhere Ogbeide, Mbaye Ndiaye, Kadir Alhaji Nasir
„Dogman“ steht auf dem altmodischen, ziemlich verblassten Ladenschild des kleinen Ladengeschäfts. Es ist in einem Betonbau an der Strandpromenade einer süditalienischen Küstenstadt, deren besten Jahre schon einige Jahrzehnte zurückliegen.
Das Geschäft gehört Marcello. Er ist geschieden und hat eine kleine Tochter, zu der er ein gutes Verhältnis hat. Er ist ein Hundefriseur, der sich liebevoll um seine tierische Kundschaft kümmert. Die Besitzer nimmt er, und damit die Kamera, kaum wahr. Nebenbei verkauft er in kleinen Mengen Drogen. Marcello ist ein sanftmütiger, guter Mensch, der nicht nein sagen kann. Das wissen wir schon nach seiner ersten Begegnung mit Simone.
Simone ist ein Ex-Boxer, der die Geschäftsleute am Strand terrorisiert und der, wie ein kleines Kind, zunehmend unberechenbar agiert. Vor allem, wenn die anderen nicht sofort tun, was er will.
„Dogman“ ist der neue Film von Matteo Garrone, dem Regisseur von „Gomorrha – Reise in das Reich der Camorra“ (dem Spielfilm) und „Das Märchen der Märchen“. Mit „Dogman“ kehrt er wieder in die Welt von „Gomorrha“ zurück. Allerdings konzentriert er sich dieses Mal auf einen Charakter, der in einem Gangsterfilm zwischen all den Gangstern und Polizisten höchstens eine Nebenfigur ist.
Diesen Charakter bettet er in ein in schönster neorealistischer Tradition gezeichnete Welt ein. Garrone beobachtet Marcello und sein Umfeld, das vor allem aus seiner Tochter und den anderen Geschäftsleuten am Strand besteht, genau. Oft gelingt es ihm, in einer Szene ganze Lebensgeschichten und Beziehungen zusammenzufassen. Zum Beispiel wenn wir Simone mit seiner Mutter sehen.
Dummerweise steht im Zentrum des handlungsarmen Noirs ein Mann, über den wir nach fünf Minuten schon alles wissen. Marcello ist ein guter Mann. Sein einziger Fehler ist, dass er nicht nein sagen kann. Und vielleicht, dass er zu sehr an das Gute im Menschen glaubt. Denn warum sollte die bedingungslose Zuneigung, mit der er die Hunde pflegt, nicht auch bei Menschen helfen?
Diese Situation, in der Marcello um etwas gebeten wird, es zuerst ablehnt und dann doch tut, wird uns, ohne große Variation, immer wieder und wieder gezeigt. Bis zur letzten Filmminute.
Diese vielen, schnell ermüdenden Wiederholungen in einer kaum vorhandenen Geschichte mit einem weitgehend passiven Protagonisten führen dazu, dass Garrones düstere, formal geschlossene Parabel trotz ihren kurzen Laufzeit von unter hundert Minuten deutlich länger wirkt.
Es ist nämlich keine Entwicklung vorhanden. Auch ein längerer Gefängnisaufenthalt, von dem wir nur sehen, wie Marcello das Gefängnis betritt und verlässt, hinterlässt bei Marcello keine Spuren. Nur seine Stellung in der Gemeinschaft der Geschäftsleute hat sich geändert. Danach wird er von ihnen geschnitten. Denn er hat Simone bei einem Einbruch geholfen und danach die gesamte Schuld auf sich genommen. Seltsamerweise kommen die Geschäftsleute nicht auf die Idee, dass Marcello von Simone zu dem Einbruch gezwungen wurde und nur mithalf, weil er nicht nein sagen konnte.
Das handlungsarme Noir-Drama „Dogman“ beschreit in jeder Beziehung einen Stillstand. Es gibt keine Veränderungen. Und wenn doch, dann zum Schlechteren.
Marceollo Fonte, der Marcello spielt, wurde in Cannes für seine Darstellung als bester Schauspieler ausgezeichnet.