Michael Kraske erklärt „Tatworte“

März 19, 2021

Das ist jetzt wieder eines meiner Klobücher. Nicht wegen des Inhalts. Sondern weil es sich um kurze Texte handelt, meistens so um die zwei Seiten, und man sie nicht wirklich in einem Rutsch lesen kann und soll. Schließlich liest auch kein Mensch eine Sammlung von Max-Goldt-Kolumnen in einem Rutsch durch.

Witzig sind die von Michael Kraske geschriebenen Texte allerdings nicht. Der Journalist nimmt sich in seinem neuen Sachbuch „Tatworte – Denn AfD & Co. meinen, was sie sagen“ einschlägige Aussagen von hochrangigen AfD-Politikern, wie Alexander Gauland, Björn Höcke un Andreas Kalbitz, und prominenten Sprechern aus dem Pegida- und verschwörungstheoretischem Umfeld, wie Michael Ballweg (Querdenken 711), Attila Hildman, Lutz Bachmann und Tatjana Festerling (beide Pegida), vor. In kurzen Texten erklärt Kraske, warum deren Aussagen menschen- und demokratieverachtend sind, warum sie rassistisch, faschistisch und nationalistisch sind.

Die Texte sind thematisch etwas sortiert in die Kapitel „Verrohung der politischen Kultur und offener Hass“, „Rassistische Feindbilder, Anti-Islam und Antisemitismus“, „Die Revision deutscher Geschichte“, „Zwischen rechter Verschwörungsideologie und völkischem Denken“, „NS-Sprache reloaded“ und „Ermächtigungsphantasien und unverhohlene Drohungen“. In „Bürgerlicher Rassimus und populistische Trittbrettfahrer“ analysiert Kraske dann Statements von Markus Söder, Alexander Dobrindt, Horst Seehofer, Andreas Scheuer (als die CSU versuchte, die AfD rechts zu überhohlen), Christian Lindner (FDP), Thilo Sarrazin (SPD) und Hans-Georg Maaßen (CDU, die beide von ihrer vorherigen Karriere profitieren) . Beim Lesen dieser Zitate, die damals für heftige Diskussionen sorgten, fällt auf, wie sehr die AfD und ihr Umfeld in den vergangenen Jahren den Diskurs verschoben haben. Im Vergleich zu den oft vulgären AfD-Aussagen („Entsiffung des Kulturbetriebs“, „Altparteien-Diarrhö“, „Messermänner“, „Bevölkerungsaustausch“) wirken sie harmlos.

Die kommentierte Zusammenstellung der meistens sattsam bekannten Zitate liest sich wie die handliche Kurzfassung des tausendseitigen, aus öffentlich zugänglichem Material zusammengestellten Dossiers des Verfassungsschutzes zur Beobachtung der Partei. Kraskes Buch ist deutlich kürzer, konzentriert sich auf die bekannten Fälle (was kein Nachteil ist, denn es sind Äußerungen von Meinungsführern in der Partei) und ist pointierter. Im Gegensatz zu einem amtlichen Bericht kann Kraske Aussagen einordnen und dabei auch pointiert zuspitzen. Er zeigt auch, dass einige sich nach außen harmlos gebende AfDler, wie Alexander Gauland und Alice Weidel, sich nicht vom rechten AfD-Flügel unterscheiden. Sie formulieren es nur manchmal etwas netter und, und das ist der Hauptunterschied, sie geben sich eine honorig-bürgerliche Fassade. Gauland mit seiner langjährigen CDU-Mitgliedschaft und Herausgeberschaft der „Märkischen Allgemeinen“; Weidel mit ihrer Karriere bei Allianz Global Investors. Jörg Meuthen mit seiner Professur. Andere Mitglieder tragen ihre frühere Arbeit in der Bundeswehr, der Polizei und der Justiz wie eine gegen jegliche Kritik immunisierende Monstranz vor sich her.

Und sie meinen, was sie sagen. Ihre manchmal, immer unwillig und nach vielen abstrusen Ausflüchten erfolgten Entschuldigungen können wir getrost ignorieren. Schließlich muss ein Politiker klar sagen, was er will. Wenn er dann öfter missverstanden wird, liegt die Schuld nicht beim Publikum, sondern beim Sprecher, der sich nicht klar ausdrücken kann. Und sie haben diese Gedanken öfter wiederholt. Of vor einem mit den einschlägigen Codes vertrautem Publikum. Daher meinen sie genau das, was sie sagen, was darunter verstanden wird und was Michael Kraske klar in „Tatworte“ analysiert.

Deshalt ist „Tatworte“ eine lohnenswerte Lektüre voller teils schon vergessener Äußerungen. Krakse erklärt die oft nur innerhalb der Szene bekannten Bedeutungen einzelner Worte und Gedanken. Er zeigt gleichzeitig, warum die AfD eine rechtsextreme, verfassungsfeindliche Partei ist.

Weil auf ein Glossar und eine Auflistung der Zitate und der Zitatgeber verzichtet wurde, ist „Tatworte“ kein Arbeits- und Nachschlagewerk. Aber auf dem Klo…

Michael Kraske: Tatworte – Denn AfD & Co. meinen, was sie sagen

Ullstein, 2021

160 Seiten

14 Euro

Hinweise

Michael Kraske beim Mediendienst Ost

Michael Kraske twittert

Ullstein über Michael Kraske

Meine Besprechung von Michael Kraskes „Der Riss“ (2020)


Über Michael Kraskes „Der Riss – Wie die Radikalisierung im Osten unser Zusammenleben zerstört“

April 2, 2020

Nach der Wende machte Michael Kraske sich von Iserlohn auf den Weg nach Osten. In Leipzig studierte er Politikwissenschaft und begann als Journalist zu arbeiten. In den vergangenen Jahren schrieb er für die Zeit, Spiegel Online und Reader’s Digest unzählige Reportagen über den Osten und wie er sich veränderte.

In „Der Riss – Wie die Radikalisierung im Osten unser Zusammenleben zerstört“ schreibt er jetzt ein ganzes Buch darüber. Er schreibt eindrücklich über seine Begegnungen mit Menschen, die im Osten leben. Viele von ihnen engagieren sich, oft gegen große Widerstände, in Demokratieprojekten. Andere, die zu Pegida-Aufmärschen gehen oder die AfD wählen, wollen nicht reden. Er schreibt über die bekannten Ost-Personen, deren Positionen entsprechend bekannt sind. Mit einigen traf er beim Schreiben von Reportagen zusammen, mit anderen saß er auf dem Podium.

So entsteht ein durchaus facettenreiches Bild des Ostens, das für den informierten Zeitungsleser nicht frei von Déjà-Vu-Erlebnissen ist.

Michael Kraske: Der Riss – Wie die Radikalisierung im Osten unser Zusammenleben zerstört

Ullstein, 2020

352 Seiten

19,99 Euro

Hinweise

Michael Kraske beim Mediendienst Ost

Michael Kraske twittert

Ullstein über Michael Kraske