Neu im Kino/Filmkritik: Stiefmutter „Victoria muss weg“, mit allen Mitteln

April 3, 2025

Während Hendrik und Hedvig noch ihrer unlängst verstorbenen Mutter hinterhertrauern, hat ihr Vater schon eine neue Ehefrau gefunden. Victoria heißt sie. Sie ist eine alles mit ihrem Smartphone fotografierende Influencerin. Und sie nervt mit ihren pompösen Plänen für eine Hochzeitsfeier im Sommerhaus am See, neuen Tischsitten und Vorschriften. Ihr Vater ist inzwischen vollständig ins Lager Victoria gewechselt.

Als Victoria die beiden halbwüchsigen Geschwister auf Handy-Entzug setzt, finden sie in einem alten Comic die Lösung für ihr Victoria-Problem: Ein Auftragskiller bringt ihre neue Stiefmutter um. Dummerweise ist Carl, den sie wegen seiner Herkunft für einen erfahrenen Killer halten, kein Killer.

Trotzdem lassen die beiden verwöhnten Reichenkinder nicht ab von ihrem Plan.

Nach einem von ihnen durchgeführtem Mordanschlag, der mit einem kurzen Krankenhausaufenthalt ihre geliebten Großmutter endet, beichten sie ihr ihre Pläne. Die Großmutter ist nicht empört darüber, sondern, ohne auch nur eine Anstandssekunde zu zögern, erklärt sie sich bereit, Hedvig und Hendrik bei ihrem Mordplan tatkräftig zu helfen.

So könnte eine Zusammenarbeit von Ingmar Bergman und einem Nordic-Noir-TV-Regisseur aussehen. Gunnbjörg Gunnarsdóttirs „Victoria muss weg“ ist eine herrlich respektlose, präzise und sehr stilbewusst inszenierte Schwarze Komödie, die ihre weitgehend vollkommen amoralische und unter der harmlosen Oberfläche äußerst gemeine Geschichte so harmlos zwischen skandinavischer Bullerbü-Gemütlichkeit, Spitzen gegen das vermögende Großbürgertum – vor allem die beiden Kinder Hedvig und Hendrik sind ein Ausbund von moralbefreitem „Mir stehen alle Privilegien zu“-Klassenbewusstsein – und dem gelungenem Spiel mit Klischees und Vorurteilen erzählt, dass die Komödie als Kinderfilm beworben wird. Sie lief auf mehreren Kinderfilmfestivals, wie dem SCHLINGEL-Festival, und gewann dort Preise. Beim Kristiansand International Children’s Film Festival erhielt sie den Publikumspreis. Bei den Nordischen Filmtagen Lübeck gab es eine Lobende Erwähnung der Kinderjury.

Dabei ist „Victoria muss weg“, wenn man etwas genauer hinsieht, keine harmlose, kindgerechte Komödie, sondern eine auf exzessiv präsentierte Gewalt verzichtende, sich harmlos-bieder gebende Abrechnung mit der norwegischen Gesellschaft, der Klassengesellschaft und wie Menschen sich fröhlich und höflich gegenseitig das Leben zur Hölle machen.

Victoria muss weg (Victoria må dø, Norwegen 2024)

Regie: Gunnbjörg Gunnarsdóttir

Drehbuch: Gunnbjörg Gunnarsdóttir, Rolf-Magne G. Andersen

mit EIne Marie Wilmann, Leo Ajkic, Morten Svartveit, Agnete Haaland, Mille Sofie Rist Dalhaug, Sverre Thornam

Länge: 86 Minuten

FSK: ab 6 Jahre (vom Verleih ab 8 Jahe empfohlen)

Hinweise

Homepage zum Film

Moviepilot über „Victoria muss weg“

Rotten Tomatoes über „Victoria muss weg“

Wikipedia über „Victoria muss weg“


Neu im Kino/Filmkritik: „The Innocents“ sind Kinder mit besonderen Fähigkeiten

April 17, 2022

Vier Kinder – die neu zugezogene neunjährige Ida, ihre ältere autistische Schwester Anna, Ben und Aisha – lernen sich in Norwegen im Sommer in einer malerisch am Wald gelegenen Hochhaussiedlung kennen. Beim Spielen entdecken sie, dass sie über besondere Fähigkeiten verfügen, die sie kindlich unschuldig und neugierig erforschen. Untereinander, an Tieren und auch an Menschen. Sie können Gedanken lesen, stumm über große Entfernungen miteinander kommunizieren, Gegenstände bewegen, Knochen brechen und das Verhalten von anderen Menschen beeinflussen. Sie können sogar Menschen dazu bringen, zu töten. Und da hört der Spaß auf.

The Innocents“ ist wegen seiner Atmosphäre und einer Geschichte, die von Stephen King sein könnte, eindeutig ein Horrorfilm. Allerdings ist Eskil Vogts Film keiner dieser Horrorfilme, in denen Kinder von teuflischen Mächten besessen sind und sie die Erwachsenen in Angst und Schrecken versetzen. Die Erwachsenen, die im Film eh nur eine Nebenrolle haben, haben keine Ahnung, von den Fähigkeiten dieser vier Kinder. Und besessen sind Ida, Anna, Ben und Aisha auch nicht. Eher schon haben sie, wie Superhelden, besondere Fähigkeiten, die sie ausprobieren. Ohne einen moralischen Kompass. Aber begeistert, wenn eines ihrer Experiment funktioniert. So wollen sie keine Menschen töten, aber sie wollen herausfinden, ob sie es mit der Kraft ihrer Gedanken könnten.

Vogt erzählt seine Geschichte mit wenigen Dialogen. Oft wirkt der Film sogar wie ein Stummfilm. Er beobachtet die vier Kinder bei ihren zunehmend weniger unschuldigen und naiven Experimenten. Denn sie können ihre Kräfte zunehmend besser kontrollieren. Ben wächst dabei schnell in die Rolle des Bösewichts. Denn er scheut sich nicht, seine Kräfte für seine Ziele einzusetzen und Menschen, die sich ihm in den Weg stellen, zu töten.

Das Finale ist ein Aufeinandertreffen der „Superhelden“ (jedenfalls von ihren Fähigkeiten), das hochdramatisch und realistischer als jedes Superheldenfinale ist. Denn hier bleibt der Spielplatz der Superhelden in Ordnung.

Nach „Blind“ ist „The Innocents“ Eskil Vogts zweiter Spiefilm. Er arbeitet regelmäßig mit Joachim Trier zusammen. Zusammen verfassten sie die Drehbücher für Triers Filme „Auf Anfang“, „Oslo, 31. August“, „Louder than Bombs“, „Thelma“ und, demnächst, „Der schlimmste Mensch der Welt“. In dem breit abgefeiertem Film gibt es keinerlei übernatürliche Elemente und auch keine Horrorelemente. Es ist eine Komödie über eine junge Frau und ihrer Suche nach ihren Platz in der Welt.

The Innocents (De uskyldige, Norwegen 2021)

Regie: Eskil Vogt

Drehbuch: Eskil Vogt

mit Rakel Lenora Fløttum, Alva Brynsmo Ramstad, Mina Yasmin Bremseth Asheim, Sam Ashraf, Ellen Dorrit Petersen, Morten Svartveit, Kadra Yusuf, Lisa Tønne

Länge: 117 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Moviepilot über „The Innocents“

Metacritic über „The Innocents“

Rotten Tomatoes über „The Innocents“

Wikipedia über „The Innocents“ (deutsch, englisch)