Neu im Kino/Filmkritik: „Alle lieben Touda“, die gerne eine Sheikha wäre

Mai 30, 2025

Touda lebt in der Provinz, ist alleinerziehende Mutter eines stummen Kindes und sie hat einen Traum: sie will eine Sheikha sein und so als traditionelle marokkanische Künstlerin mit ihren Liedern über starke und selbstbewusste Frauen die Menschen in großen und guten Locations begeistern.

Jetzt singt sie noch in billigen Provinz-Nachtclubs und sie wird in den ersten Minuten von Nabil Ayouchs Drama „Alle lieben Touba“ nach einem Auftritt vergewaltigt. Diese Vergewaltigung hat – und das ist eines der Probleme des Films – keinerlei Auswirkung auf die Geschichte. Es handelt sich nur um einen Schockmoment, der Interesse wecken soll.

Ein anderes Problem ist die Geschichte. Ayouch wechselt zwischen Toubas ausführlich gezeigten Gesangsnummern auf der Bühne und wenig informativen Szenen aus ihrem Leben. So plätschert die erste Stunde der Charakterstudie, bis zu ihrer Ankunft in Casablanca, ereignislos vor sich hin. Auf dem Weg nach Casablanca besucht Touda ihre Eltern und gibt ihren Sohn in deren Obhut. Sie will ihn später nachholen.

Und es gibt immer wieder ärgerliche Schlampereien im Drehbuch. So wird Toubas Sohn lange Zeit als taubstumm präsentiert. Aber er ist nur stumm. Sonst wäre ein Telefonat, bei dem sie mit ihm redet, er aber nicht antworten kann, vollkommen unsinnig. So will sie nach ihrer Ankunft in Casablanca zu einem legendären Theater gefahren werden und dort vorsingen. Dummerweise ist das Cabaret, wie ihr der Taxifahrer verrät, seit dreißig Jahren geschlossen. Umgekehrt hat sie eine Schule für ihren Sohn ausgesucht, die es gibt und in der sie auch – erfolglos – vorstellig wird. Beides, also das Wissen über eine Schule, die speziell für die Bedürfnisse ihres stummen Sohnes ausgerichtet ist, und die komplette Unwissenheit über ein seit Jahrzehnten geschlossenes Theater geht nicht. Weil dieses Theater für Sheikas der heilige Gral sein soll, sollte sie doch über das aktuelle Programm und die dort auftretenden Künstler informiert sein.

In Casablanca, immerhin ist bereits die erste Stunde des knapp hundertminütigen Films (ohne Abspann) rum, geht für Touba dann alles ziemlich schnell und mühelos von Auftritten in kleinen Bars, die sich nicht von den ihr bekannten Provinzbars unterscheiden, bis zu einem großen Auftritt in einem Luxushotel. Fast ist es, als ob die Stadt nur auf Touba gewartet hätte.

Alle lieben Touba“ ist eine spannungsfrei vor sich hin plätschernde Charakterstudie, die uns wenig über den porträtierten Charakter verrät. Immerhin erfahren wir, dass es eine Kluft gibt zwischen ihrem Wunsch, eine ernste und ernstgenommene Künstlerin zu sein und der tristen Wirklichkeit, in der sie fröhliche Schlager für betrunkene Männer singt, die Sex haben wollen.

Vielleicht wäre ein Konzertfilm die bessere Wahl gewesen.

Alle lieben Touda (Everybody loves Touda, Frankreich/Marokko/Dänemark/Niederlande/Belgien 2024)

Regie: Nabil Ayouch

Drehbuch: Nabil Ayouch, Maryam Touzani

mit Nisrin Erradi, Joud Chamihy, El Moustafa Boutankite Jalila Tlemsi, Lahcen Razzougui

Länge: 102 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

AlloCiné über „Alle lieben Touda“

Moviepilot über „Alle lieben Touda“

Metacritic über „Alle lieben Touda“

Rotten Tomatoes über „Alle lieben Touda“

Wikipedia über „Alle lieben Touda“ (englisch, französisch)


Neu im Kino/Filmkritik: Über Maryam Touzanis „Adam“

Dezember 10, 2021

Weil ihre achtjährige Tochter Warda sie darum bittet, lässt Abla Samia für eine Nacht bei ihnen übernachten. Samia kommt aus einem Dorf und ist hochschwanger. In Casablanca versucht sie, unbehelligt von ihrer Familie, die von ihrer Schwangerschaft nichts weiß und nichts erfahren soll, die Zeit bis zur Geburt zu verbringen. Danach will sie ihr Kind weggeben und wieder in ihr altes Leben zurückkehren.

Natürlich bleibt es nicht bei dieser einen Nacht. Die alleinerziehende, verwitwete Abla gewährt ihrem Gast immer wieder einen Aufschub. Sie tut das widerwillig, aber sie sieht auch Samias Not, die sonst auf der Straße übernachten müsste. Und Samia versucht sich im Haus nützlich zu machen. So stellt sie Teig für Gebäck her, das Abla in ihrer kleinen Bäckerei verkaufen kann.

Ablas Kunden sind begeistert von dem gut schmeckendem Gebäck.

Maryam Touzani erzählt in ihrem Debütfilm „Adam“ sehr feinfühlig, wie sich in einem Haus in Casablanca die Beziehung zwischen den drei Frauen entwickelt. Und wie sie sich verändern. Gleichzeitig zeichnet sie ein Bild der marokkanischen Gesellschaft, der Traditionen und der Stellung der Frau in ihr.

Touzanis Inspiration für den Film war ein wahres Erlebnis. Ihre Eltern hatten vor Jahren eine schwangere Frau, die sie nicht kannten, bei sich aufgenommen. Sie blieb bis nach der Geburt ihres Kindes. Diese Frau war das Vorbild für Samia.

Adam“ ist ein kleiner, ein intimer Film, der dann doch von der ganzen Welt erzählt.

Adam (Adam, Marokko/Frankreich 2019)

Regie: Maryam Touzani

Drehbuch: Maryam Touzani, Nabil Ayouch (Mitarbeit)

mit Lubna Azabal, Nisrin Erradi, Douae Belkhaouda, Aziz Hattab, Hasnaa Tamtaoui

Länge: 101 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Moviepilot über „Adam“

Metacritic über „Adam“

Rotten Tomatoes über „Adam“

Wikipedia über „Adam“ (deutsch, englisch, französisch)