Die Biologiestudentin Rona (Saoirse Ronan) ist in London nach jahrelangem Feiern und Drogenkonsum an einem toten Punkt angelangt. Sie kehrt zurück in ihre alte Heimat, die zu Schottland gehörenden Orkney-Inseln. Dort will sie zu sich finden und ausnüchtern.
In ihrem dritten Spielfilm, nach dem sensationellem „Systemsprenger“ und der Netflix-Produktion „The Unforgivable“, verfilmte Nora Fingscheidt, mit einigen Freiheiten, Amy Liptrots „The Outrun“ (Nachtlichter). In dem Buch erzählt Liptrot ihre Geschichte und wie sie den Alkolismus besiegte.
Fingscheidt verfilmte diese Geschichte eines langsamen Entzugs assoziativ zwischen Gegenwart und Vergangenheit springend und indem sie Rona immer mehr in die Einsamkeit schickt. Für die Royal Society for the Protection of Birds sucht sie auf den Orkney-Inseln nach einer inzwischen seltenen Vogelart, den Wachtelkönig. Bei der Arbeit trifft sie kaum Menschen. Sie genießt diese Einsamkeit.
Später fährt sie auf die Orkney-Insel Papa Westray. Auf der 7 km langen und 2 km breiten Insel lebten 2011 90 Menschen. Dort zieht sie in ein einsam gelegenes kleines Vogelwärterhaus und beginnt ihr Leben zu bilanzieren.
„The Outrun“ ist eine vor Ort, teils mit Ortsansässigen gedrehte Charakterstudie mit einer gewohnt überzeugenden Saorsie Ronan. Sie ist auch eine der Produzentinnen des Films und sie beteiligte sich intensiv an der Entwicklung des Drehbuchs, das Regisseurin Fingscheidt mit Amy Liptrot schrieb.
The Outrun (The Outrun, Deutschland/Großbritannien 2024)
Regie: Nora Fingscheidt
Drehbuch: Nora Fingscheidt, Amy Liptrot
LV: Amy Liptrot: The Outrun, 2016 (Nachtlichter)
mit Saoirse Ronan, Paapa Essiedu, Stephen Dillane, Saskia Reeves, Nabil Elouahabi, Izuka Hoyle, Lauren Lyle
Harper will einige Tage allein in Cotson Manor verbringen und den Tod ihres kürzlich verstorbenen Ehemannes verarbeiten. Sie fühlt sich für James‘ Tod wenigstens mitverantwortlich. Nach einem Streit stürzte er in London vom Balkon des Hauses, in dem sie wohnen. Die genaueren Umstände erzählt Alex Garland in seinem neuen Film „Men – Was dich sucht, wird dich finden“ in mehreren kurzen Rückblenden. Im Zentrum des Horrorfilms stehen Harpers Tage in Cotson. Sie streift durch den menschenleeren Wald, sieht in einer Ruine einen nackten Mann, der später in ihr Haus eindringen will. Und sie trifft andere Männer, wie den Vermieter, einen Pfarrer, Polizisten und einen einen eine Maske tragenden Jungen, die sich alle etwas seltsam und bedrohlich verhalten.
Nach zwei überzeugenden Science-Fiction-Spielfilmen – „Ex Machina“ (Ex Machina, USA/Großbritannien 2014) und „Auslöschung“ (Annihilation, USA 2018) – widmet Alex Garland sich in „Men“ dem Horrorfilm. Vor allem dem Folk-Horrorfilm und dem psychologischen Horrorfilm. Garland übernimmt vollständig den Blick seiner Hauptperson. Er erzählt seine Geschichte eindeutig aus Harpers Perspektive. Ihre Trauer, Schuldgefühle und Ängste bestimmen die Geschichte. Deshalb ist es nur konsequent, Rory Kinnear (Tanner in den Daniel-Craig-James-Bond-Filmen) fast alle Männer spielen zu lassen. Für Harper sind nach dem Tod ihres gewalttätigen Ehemannes alle Männer bedrohlich und sie sehen auch alle, mehr oder weniger, gleich aus. Sie werden auch, mehr oder weniger schnell, mehr oder weniger eindeutig, übergriffig. Der überaus servile Besitzer von Cotson Manor ist zu höflich, macht unpassende Anspielungen und stellt, als er ihr sein Haus zeigt, unverschämte Fragen, der Grüne Mann ist aufdringlich nackt und bedrohlich, der Pfarrer ist schon bei der ersten Begegnung zu besorgt und, anstatt Harper Trost zu spenden, verstärkt er ihre Schuldgefühle, der neunjährige Samuel verströmt hinter seiner Maske eine irritierende Mischung aus Unverschämtheit und Höflichkeit, der Polizist und die im Pub Bier trinkenden Männer scheinen nur daran interessiert zu sein, Harper die Schuld für ihre Probleme zuzuschieben. Wie es schon ihr tödlich verunglückter Mann getan hat.
Sie ist ein Opfer, sie soll sich als Opfer fühlen und wird von den Männern als passives Objekt ihrer Begierden betrachtet. Für Harper sollen die Tage in Cotson Manor, jedenfalls hat sie das so geplant, auch dazu dienen, sich aus dieser passiv duldenden Rolle zu befreien. Also vom Objekt zum Subjekt ihres Lebens zu werden; – wobei, je mehr wir über James‘ Tod erfahren, diese eindeutige Zuordnung diffuser wird.
Garland lotet in seiner Folk-Horror-Geschichte geduldig, mit einem präzisen Blick für religiös und mythologisch aufgeladene Details (wie die Äpfel und der Grüne Mann), in langen stummen Szenen und wenigen Dialogen Harpers Gefühlsleben aus. Dabei vertraut er auf Jessie Buckley („The lost Daughter“), die Harper spielt, ihren von Rory Kinnear gespielten Antagonisten und die Bilder von seinem Stamm-Kameramann Rob Hardy. Mit ihren intensiven Farben und dem präzise komponiertem Bildaufbau verstärken sie schon von der ersten Minute an die beunruhigende Atmosphäre.
So gelungen dieser Spannungsaufbau ist, so schnell ist auch klar, in welche Richtung sich die Geschichte entwickeln wird. Außerdem ist das Body-Horror-Finale etwas zu lang geraten.
Men – Was dich sucht, wird dich finden (Men, Großbritannien 2022)
Regie: Alex Garland
Drehbuch: Alex Garland
mit Jessie Buckley, Rory Kinnear, Paapa Essiedu, Gayle Rankin, Sarah Twomey, Zak Rothera-Oxley, Sonoya Mizuno