Am 19. September 2018 stirbt Steffen Meyn. Als er sich, entgegen seinem normalen Verhalten ungesichert von einem Baumhaus über eine teils zerstörte Hängebrücke auf den Weg zu einem anderen Baumhaus macht, stürzt er fünfzehn Meter in die Tiefe. Er ist sofort tot. Seine Kamera läuft nach seinem Sturz weiter.
Es ist der siebte Tag der Räumung des Hambacher Forst. Das Gelände war damals besetzt. Die Besetzer wollten verhindern, dass der Wald gerodet wird, damit die RWE dort im Tagebau Braunkohle abbauen konnte. Sie hatten sich in mehrere Meter über dem Boden liegenden Baumhäusern verschanzt. Die Polizei räumte, weil die Häuser nicht den Bauvorschriften entsprächen. So die offizielle Begründung. Allgemein wurde es damals als Machtdemonstration der Landesregierung angesehen.
Im September 2021 stufte das Verwaltungsgericht Köln die Räumung als rechtswidrig ein. Davor, im Oktober 2018, war bereits auf Antrag des Bund für Umwelt- und Naturschutz ein vorläufiger Rodungsstopp verhängt worden. Im Januar 2020 vereinbarten die Bundesregierung und der vom Kohleausstieg betroffenen Bundesländer, dass der Hambacher Forst nicht gerodet wird.
Dieser Erfolg der Umweltbewegung ist allerdings nicht das Thema des Film.
Fabiana Fragale, Kilian Kuhlendahl und Jens Mühlhoff, die mit Meyn befreundet waren und, wie er, an der Kunsthochschule für Medien Köln studierten, haben für ihren Film „Vergiss Meyn nicht“ die Aufnahmen von Meyn ausgewertet und um aktuelle Interviews mit ehemaligen Hambi-Bewohnern ergänzt. Es ist ein Erinnerungswerk.
Steffen Meyn war als teilnehmender Beobachter bei der Besetzung dabei. Mit seiner 360-Grad-Kamera, die er auf einem Fahrradhelm befestigt hatte und die für ungewöhnliche Bilder sorgt, dokumentierte er bis zu seinem Tod die Proteste und das Leben der Hambi-Bewohner. Er unterhielt sich mit ihnen über ihr Leben. Er ließ sich ihre engen Baumwohnungen zeigen. Er sympathisierte mit ihnen, aber er fragte sich auch, ob diese Form des Protestes, bei der man seinen Tod riskiert, der richtige Weg ist.
Diese Frage stellen sich in den aktuellen Interviews die ehemaligen Bewohner des Hambacher Forst auch. Außerdem erzählen sie rückblickend vom Leben im Wald. Sie sprechen über den Anspruch, den sie damals an ihr Zusammenleben hatten und welche Probleme sich daraus ergaben.
Insgesamt ergeben Meyns Bilder und die aktuellen Interviews einen parteiischen Blick in das Leben im Hambacher Forst. „Vergiss Meyn nicht“ fragt auch, ohne eine endgültige Antwort zu geben, welcher persönliche Einsatz für einen Protest gerechtfertigt ist. Diese Frage stellt sich bei jedem Protest.
Gefragt werden sollte allerdings auch, ob die eingesetzten Mittel geeignet sind, das Ziel zu erreichen – und ob dieses Ziel überhaupt erreicht werden soll.

Vergiss Meyn nicht (Deutschland 2023)
Regie: Fabiana Fragale, Kilian Kuhlendahl, Jens Mühlhoff
Drehbuch: Fabiana Fragale, Kilian Kuhlendahl, Jens Mühlhoff
mit Steffen Meyn, Alaska, Diam, Frodo, Lilie, Lola, Tuk, Wo
Länge: 102 Minuten
FSK: ab 12 Jahre
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Hinweise
Berlinale über „Vergiss Meyn nicht“
Filmportal über „Vergiss Meyn nicht“
Movieportal über „Vergiss Meyn nicht“
Veröffentlicht von AxelB