Tillie Walden, „Clementine“ und die Zombies

Oktober 4, 2023

Das Ende von Robert Kirkmans Comicserie „The Walking Dead“ und der „The Walking Dead“-TV-Serie (elf Staffeln, 177 Folgen) bedeutet nicht das Ende der Welt von „The Walking Dead“. Im Fernsehen gibt es aktuell vier Serien, die in der „The Walking Dead“-Welt spielen. Es gibt Romane und Videospiele. Und jetzt gibt es einen weiteren Comic, der in dieser Welt spielt, die eigentlich ziemlich schnell beschrieben werden kann: nach einer Zombieapokalypse brach die uns bekannte Zivilisation zusammen. Seitdem kämpfen die Menschen um ihr Überleben und sie versuchen, eine neue Gesellschaft aufzubauen. Meistens scheitern sie. Die Zombies sind in dieser Welt sich langsam bewegende Untote, die Menschenfleisch essen. Halt genauso wie bei George A. Romero.

In dieser Welt lebt Clementine, eine junge Frau, die bei einem Zombieangriff ihren linken Unterschenkel verlor. Sie will nach Norden, Richtung Kanada, gehen. Dort soll es besser sein.

Auf der Reise triff sie den gleichaltrigen Amos. Der Amish-Junge will ebenfalls Richtung Norden zur Siedlung Killington gehen. Sie soll in die Berge entstehen und sie ist schwer erreichbar. Clementine begleitet den naiven Jungen.

Als sie in der verschneiten, fast nicht erreichbaren Bergsiedlung sind, fragt Clementine sich, wie sehr sie den Gründern der Siedlung vertrauen kann.

Ihre Befürchtungen sind, wie fast immer, wenn im „The Walking Dead“-Universum auf eine andere Gruppe von Menschen getroffen wird, berechtigt.

Schon der Titel „Clementine – Buch Eins“ verrät, dass Tillie Walden nach dem Auftakt weitere Geschichten aus Clementines Leben erzählen will. Insgesamt sind drei Bücher mit Clementine geplant.

Ihren ersten Auftritt hatte Clementine 2012 als eine der Hauptfiguren in dem „The Walking Dead“-Computerspiel. Waldens Comic spielt chronologisch nach den Ereignissen in den Computerspielen. Einige kurze Rückblenden geben einen Einblick in ihr bisheriges Leben. Doch insgesamt erzählt Walden eine Geschichte, die problemlos ohne das Wissen über den Inhalt der Computerspiele und Clementines Leben gelesen werden kann.

Tillie Walden ist bekannt als Erzählerin queerer, teils autobiographischer und witziger Comics, wie „Piroutten“ und „Auf einem Sonnenstrahl“. Für ihre bisherigen Werke erhielt sie, oft mehrmals, den Ignatz Award, den Eisner-Award, den Los Angeles Times Book Prize, den Rudolph-Dirks-Award und den Luchs des Monats (vergeben von der „Zeit“ und Radio Bremen).

In „Clementine“ orientieren sich ihre Zeichnungen, im Gegensatz zu ihren früheren Werken, stärker an dem ins Detail gehenden Stil von „The Walking Dead“-Zeichner Charlie Adlard. Außerdem ist „The Walking Dead“-Colorist Cliff Rathburn auch bei ihr für die Grautöne zuständig. Das führt dazu, dass „Clementine“ wirklich wie ein „The Walking Dead“-Comic aussieht.

Ihre aus früheren Werke bekannten Themen kommen in „Clementine“ bestenfalls in homöopathischen Dosen vor. Insofern ist die sich stringent erzählte Survival-Story eine interessante Erweiterung ihres Œuvre. Für die Fans ihrer anderen Geschichten ist diese Fingerübung in einer von einem anderen Autor geschaffenen Welt allerdings nicht wirklich essenziell.

Das gesagt ist „Clementine“ eine spannende Zombie-Geschichte mit glaubwürdigen Figuren und Konflikten. Das liest sich sehr gut, kann aber nicht verhehlen, dass die einzelnen Elemente und Konflikte inzwischen sehr vertraut sind.

Tillie Walden: Clementine – Buch Eins

(übersetzt von Frank Neubauer)

Cross Cult, 2023

240 Seiten

26 Euro

Originalausgabe

Clementine: Book One

Image Comics, 2022

Hinweise

Homepage von Tillie Walden

Wikipedia über Tillie Walden (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Tillie Waldens „Pirouetten“ (Spinning, 2017)

Meine Besprechung von Tillie Waldens „ Auf einem Sonnenstrahl“ (On a Sunbeam, 2018)

zu „The Walking Dead“

Kriminalakte: Meine Gesamtbesprechung der ersten zehn „The Walking Dead“-Bände

 Meine Besprechung von Robert Kirkman/Charlie Adlard/Cliff Rathburns „The Walking Dead 11: Jäger und Gejagte“ (The Walking Dead Vol. 11: Fear the hunters)

Meine Besprechung von Robert Kirkman/Charlie Adlard/Cliff Rathburns „The Walking Dead 12: Schöne neue Welt“ (The Walking Dead Vol. 12: Life among them)

Meine Besprechung von Robert Kirkman/Charlie Adlard/Cliff Rathburns „The Walking Dead 13: Kein Zurück“ (The Walking Dead Vol. 13: Too far gone, 2011)

Meine Besprechung von Robert Kirkman/Charlie Adlard/Cliff Rathburns „The Walking Dead 14: In der Falle“ (The Walking Dead Vol. 14: No way out, 2011)

Meine Besprechung von Robert Kirkman/Charlie Adlard/Cliff Rathburns “The Walking Dead 15: Dein Wille geschehe” (The Walking Dead Vol. 15: We find ourselves, 2012)

Meine Besprechung von Robert Kirkman/Charlie Adlard/Cliff Rathburns „The Walking Dead: Eine größere Welt (Band 16)“ (The Walking Dead, Vol. 16: A larger world, 2012)

 Meine Besprechung von Robert Kirkman/Charlie Adlard/Cliff Rathburns „The Walking Dead: Fürchte dich nicht (Band 17)“ (The Walking Dead, Vol. 17: Something to Fear, 2013)

Meine Besprechung von Robert Kirkman/Charlie Adlard/Cliff Rathburns „The Walking Dead: Grenzen (Band 18)“ (The Walking Dead, Vol. 18: What comes after, 2013)

Meine Besprechung von Robert Kirkman/Charlie Adlard/Cliff Rathburns „The Walking Dead: Auf dem Kriegspfad (Band 19)“ (The Walking Dead, Vol. 19: March to War, 2013)

Meine Besprechung von Robert Kirkman/Charlie Adlard/Stefano Gaudiano/Cliff Rathburns „The Walking Dead: Krieg – Teil 1 (Band 20)“ (The Walking Dead, Vol. 20: All Out War, Part One, 2014)

Meine Besprechung von Robert Kirkman/Tony Moore/Charlie Adlard/Cliff Rathburns „The Walking Dead – Die Cover, Volume 1“ (The Walking Dead: The Covers, Vol. 1, 2010)

Meine Besprechung der TV-Serie „The Walking Dead – Staffel 1“ (USA 2010)

Meine Besprechung der TV-Serie „The Walking Dead – Staffel 2“ (USA 2011/2012)

Meine Besprechung der TV-Serie “The Walking Dead – Staffel 3″ (USA 2013)

Kriminalakte: das Comic-Con-Panel zur TV-Serie

“The Walking Dead” in der Kriminalakte 


Tillie Walden dreht(e) „Pirouetten“

September 8, 2021

Bevor Tillie Walden „Auf einem Sonnenstrahl“ durch das Weltall flog, erzählte sie in „Pirouetten“ von ihrer damals nur wenige Tage zurückliegenden Jugend. Die äußerst produktive Walden wurde 1996 geboren. Nach der fünften Klasse zogen ihre Eltern mit ihr von New Jersey nach Austin, Texas. Auch dort trainiert sie weiter Eiskunstlauf und nimmt weiter an Wettbewerben im Einzel- und Synchronlauf teil.

Walden erzählt von der Tortur des Trainings auf dem Eis, den Schwierigkeiten, neue Freundinnen zu finden, der Erkenntnis, dass sie zwar gerne Eiskunstläuferin ist, aber nicht gut genug für die Spitze und wie sie ihre Sexualität entdeckt. Dabei entdeckt sie, dass sie Frauen liebt.

Als Siebzehnjährige hört sie, wie sie schon im ersten Satz von „Pirouetten“ verrät, mit dem Eislaufen auf. Kurz darauf beendet sie ihre Schule und kann auf ein College gehen. Nur welches? Und was soll sie studieren?

Pirouetten“ beschäftigt sich mit den zwölf Jahre, in denen Tillie Walden Eisläuferin war, in Austin die Schule besuchte und erwachsen wurde, mit all den Selbstzweifeln, positiven und negativen Erfahrungen, die die Pubertät begleiten. Sie fasst dabei ihr bisheriges Leben und wichtige Erlebnisse äußerst konzentriert zusammen. Eine plakative Botschaft oder ein alles beherrschendes Thema hat „Pirouetten“ nicht. So steht das Eiskunstlaufen als wichtiger Teil ihres Lebens nicht unbedingt im Mittelpunkt des Buches. Die Entdeckung ihrer Homosexualität und wie sie damit in Texas (!) umgeht, ist nur ein Nebenthema; fast schon ein Nicht-Thema. Und das ist gut so.

Ihre schnell gezeichneten Panels erinnern an sich auf das wesentliche konzentrierende Cartoons. Sie heben die für die Geschichte wichtige Dinge hervor. Die Hintergründe bleiben oft abstrakt oder werden, weil sie nicht wichtig sind, ganz weggelassen.

Pirouetten“ erhielt 2018 den Eisner Award in der Kategorie Best Reality-Based Work.

Tillie Walden: Pirouetten

(übersetzt von Sven Scheer)

Reprodukt 2021

400 Seiten

9,90 Euro

Originalausgabe

Spinning

First Second/Roaring Brook Press, 2017

Hinweise

Perlentaucher über „Pirouetten“

Reprodukt über Tillie Walden

Homepage von Tillie Walden

Wikipedia über „Pirouetten“ und Tillie Walden (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Tillie Waldens „ Auf einem Sonnenstrahl“ (On a Sunbeam, 2018)


Tillie Walden schickt uns „Auf einen Sonnenstrahl“

April 19, 2021

Eine leichte Lektüre ist Tillie Waldens „Auf einem Sonnenstrahl“ nicht. Das liegt vor allem am Gewicht des Buches, Mit 544 Seiten liegt der Comic wirklich schwer in den Händen. Die von Walden erzählte Geschichte ist dann leichter, aber nicht leichtgewichtig. Im Mittelpunkt steht Mia. Sie ist das neueste Mannschaftsmitglied auf einem Raumschiff, das durch den Weltraum fliegt und alte Gebäude restauriert. Und erkundet. Manchmal auch abseits der erlaubten Pfade.

Mia freundet sich schnell mit den Gleichaltrigen an. Gleichzeitig erinnert sie sich an ihre zurückliegende Zeit in einem Internat. Dort verliebte sie sich vor fünf Jahren in Grace. Kurz darauf wurde Grace von ihrer Familie wieder in ihrer alten Heimat, der Großen Treppe, dem gefährlichsten und abgelegensten Ort der Galaxis, zurückgeholt. Mia ist immer noch in sie verliebt. Allerdings hat sie seit Graces Verschwinden nichts mehr von ihr gehört.

Als ihre neuen Freunde davon erfahren, wollen sie ihr helfen. Sie meutern gegen ihre neue Schiffskapitänin, die sie nicht mögen, weil sie sie respektlos behandelt. Danach fliegen sie zur Großen Treppe, um Mia dort wieder mit Grace zusammenzubringen. Falls sie das Abenteuer überleben.

Tillie Waldens im Weltraum spielende queere Coming-of-Age-Geschichte „Auf einem Sonnenstrahl“ erschien zuerst als Webcomic. Anschließend erstellte sie eine überarbeitete Buchversion. 2018 erhielt „Auf einem Sonnenstrahl“ den Los Angeles Times Book Prize und war für den Eisner Award for Best Digital Comic nominiert.

Walden erzählt Mias Geschichte oft ohne Dialoge und in seitenfüllenden Panels. Das führt dazu, dass die Geschichte trotz der über fünfhundert Seiten überschaubar bleibt. Stattdessen konzentriert sie sich auf Stimmungen und die durchgehend freundschaftlichen Interaktionen der fast ausschließlich weiblichen Figuren. Ein Besatzungsmitglied definiert sich als nicht-binär. In diesen Momenten entwirft sie das Bild einer sehr freundlichen Zukunft, in der Jugendliche für uns sehr vertraute Probleme haben.

Die erst fünfundzwanzigjährige US-amerikanische Künstlerin hat bereits sechs Comics veröffentlicht. Zwei davon, „Pirouetten“ und „West, West Texas“, erschienen ebenfalls bei Reprodukt. Ihre Werke wurden, mehrmals, mit dem Ignatz Award, dem Eisner Award und dem Rudolph-Dirks-Award ausgezeichnet.

Tillie Walden: Auf einem Sonnenstrahl

(übersetzt von Barbara König)

Reprodukt, 2021

544 Seiten

29 Euro

Originalausgabe

On a Sunbeam

First Second/Roaring Book Press, 2018

Hinweise

Perlentaucher über „Auf einem Sonnenstrahl“

Reprodukt über Tillie Walden

Homepage von Tillie Walden

Wikipedia über „Auf einem Sonnenstrahl“ und Tillie Walden (deutsch, englisch)