Neu im Kino/Filmkritik: „Perfect Days“ – ein Weihnachtsgeschenk von Wim Wenders

Dezember 21, 2023

Es begann mit einem Brief, in dem er gefragt wurde, ob er in Tokio etwas zu einem sozialen und architektonischem Projekt machen wolle. Bekannte Architekten hatten in der Großstadt ein gutes Dutzend prächtig aussehender, in Parks stehender öffentlicher Toiletten gebaut. Ihm wurde vollkommene künstlerische Freiheit und beste Arbeitsbedigungen zugesichert.

Mit dem Angebot rannte Krreativdirektor Takuma Takasaki, der jetzt auch Co-Autor von „Perfect Days“ ist, bei dem bekennenden Japan-Fan Wenders offene Türen ein.

Wenders verliebte sich in den spätern Siebzigern in Tokio und Japan. Seitdem hielt er seine Liebe zu dem Land und der Kultur in mehreren Filmen fest. Erstmals tat er das in seinem Dokumentarfilm „Tokyo-Ga“ (1985), der sich auch mit dem von ihm bewunderten Yasujiro Ozu, seinem Meister, beschäftigt. In „Aufzeichnungen zu Kleidern und Städten“ (1989) porträtierte er den japanischen Modeschöpfer Yohji Yamamoto.

Ausgehend von dem Angebot besuchte Wenders Tokio einige Tage. Danach schlug er vor, mit dem Geld, das ihm zur Verfügung stehen sollte, nicht mehrere Kurzfilme sondern einen Spielfilm zu drehen. Und dieser Spielfilm, gedreht an sechzehn Tagen in Tokio, ist sein schönster, vollendester, geschlossenster und zugleich offenster Film seit Ewigkeiten. „Perfect Days“ ist ein Wim-Wenders-Film ohne all das Prätentiöse und Verkopfte, das bei seinen Filmen immer wieder nervt.

Im Mittelpunkt steht Hirayama (Kôji Yakusho), ein schweigsamer Mann mit einer Vergangenheit, über die er nicht redet. Er ist ein typischer Wim-Wenders-Mann und zugleich das Gegenteil. Hirayama führt ein auf den ersten Blick eintöniges Leben. Er fährt morgens zur Arbeit und hört dabei alte Musikkassetten mit den Hits, die auch auf einer Wim-Wenders-All-Time-Favourite-Playlist wären.

Danach putzt er öffentliche, im Park stehende Toiletten. Die im Film gezeigten Toiletten sind kleine architektonische Kunstwerke, die wirklich zum Verweilen einladen.

Seine Pause verbringt Hirayama im Park. Er ißt seine Mahlzeit und fotografiert mit einer Pocketkamera Komorebis, also Bilder in denen das Sonnenlicht durch Blätter fällt und Schatten wirft. Es sind poetische Zufallsbilder von Ästen, Blättern, Licht und Schatten.

Nach seiner Arbeit kauft er ein und verbringt einige Zeit in einem Imbiss. Er wäscht sich in einer öffentlichen Badeanstalt. Vor dem Einschlafen liest er in seiner frugal eingerichteten Wohnung Bücher, die bereits von anderen Menschen gelesen und weggeben wurden. Beispielsweise ein Roman von Patricia Highsmith.

Für die Schilderung des ersten Tages nimmt Wenders sich eine halbe Stunde Zeit. Die nächsten Tage schildert er etwas kürzer und durch die Wiederholungen bemerken wir auch die kleinen Abweichungen in Hirayamas Tagesablauf. Hier ein kurzes Gespräch. Da ein Besuch seiner Nichte und, später, seiner Schwester. Bei der Arbeit gibt es auch kleine Veränderungen.

Gerade diese Monotonie sorgt für ein genaues Hinsehen und auch ein angenehm entspanntes, friedfertiges Gefühl.

In „Perfect Days“ porträtiert Wim Wenders einen Menschen, der mit sich selbst im Reinen ist. Dabei fragt er auch nach dem Sinn des Lebens, regt zum Nachdenken darüber an und zeigt Tokio als einen poetischen Ort, an dem man gerne einige Tage verbringen möchte. In der Stadt und in den städtischen Toiletten.

Es endet, jedenfalls vorläufig, damit, dass „Perfect Days“ inzwischen für Japan auf der Shortlist für den Oscar als „Bester internationaler Spielfilm“ steht. Damit steigen die Chancen weiter, dass Wim Wenders für Japan den Preis für den besten Film erhält. Es wäre sein erster Oscar. Nominiert wurde er bereits dreimal. Immer für den Dokumentarfilm-Oscar.

P. S.: Neben „Perfect Days“ stehen „Das Lehrerzimmer“ (für Deutschland) und „The Zone of Interest“ (für Großbritannien, aber in dem in Deutschland spielendem Drama wird nur Deutsch gesprochen) auf der Shortlist. Da stehen die Chancen für eine Oscar doch ganz gut.

Perfect Days (Japan/Deutschland 2023)

Regie: Wim Wenders

Drehbuch: Takuma Takasaki, Wim Wenders

mit Kôji Yakusho, Tokio Emoto, Arisa Nakano, Aoi Yamada, Yumi Asô, Sayuri Ishikawa, Tomokazu Miura, Min Tanaka

Länge: 125 Minuten

FSK: ab 0 Jahre

Hinweise

Filmportal über „Perfect Days“

Moviepilot über „Perfect Days“

Metacritic über „Perfect Days“

Rotten Tomatoes über „Perfect Days“

Wikipedia über „Perfect Days“ (deutsch, englisch) und über Wim Wenders (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Eric Fiedlers „It must schwing – The Blue Note Story“ (Deutschland 2018)

Meine Besprechung von Wim Wenders’ “Hammett” (Hammett, USA 1982)

Meine Besprechung von Wim Wenders/Juliano Ribeiro Salgados “Das Salz der Erde” (The Salt of the Earth, Frankreich/Deutschland 2013)

Meine Besprechung von Wim Wenders‘ „Every thing will be fine“ (Deutschland/Kanada/Norwegen/Schweden 2015)

Meine Besprechung von Wim Wenders‘ „Die schönen Tage von Aranjuez“ (Les beaux jours d‘ Aranjuez, Deutschland/Frankreich 2016)

Meine Besprechung von Wim Wenders‘ „Papst Franziskus – Ein Mann seines Wortes“ (Pope Francis: A Man of his Word, Deutschland 2018)

Meine Besprechung von Wim Wenders‘ „Grenzenlos“ (Submergence, USA 2017)

Meine Besprechung von Wim Wenders‘ “Anselm – Das Rauschen der Zeit” (Deutschland/Frankreich 2023)

Mein Gespräch mit Wim Wenders über „Anselm – Das Rauschen der Zeit“ (Deutschland/Frankreich 2023)

Wim Wenders in der Kriminalakte

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