Die Geschmäcker sind verschieden. Teilweise sogar fundamental. Denn zu dem von Barbara Grieshaber und Siegmund Kopitzki herausgegebenen Sammlung von Kurzkrimis „Tod am Bodensee“ wurden ein Publikumspreis und, vergeben von einer dreiköpfigen Jury (Oswald Burger, Dietlind Karasek, Hermann Kinder), der Krimipreis der Stadt Singen vergeben. Den Krimipreis teilen sich Uta-Maria Heim für „Plan D – Das todsicher Allensbacher Rezept“ und Arnold Stadler für „Gleich hinter Zizenhausen, die Gegend hieß Mesopotamien“. Der Publikumspreis ging an Christof Hamann für „Der Fall des Mörders“.
Keine dieser Kriminalgeschichten stand auf meiner Favoritenliste.
Uta-Maria Heim erzählt in „Plan D – Das todsichere Allensbacher Rezept“ von einer Allensbacher Ehefrau, die ihren Mann umbringen will. Die vorherigen Mordpläne scheiterten. Jetzt startet sie ihren dritten Versuch. Das klingt gut. Aber es dauert unglaublich lange, bis dieser Plot erahnbar wird, denn die Erzählerin bereitet zuerst über fünf Seiten – wir reden hier von einer fünfzehnseitigen Kurzgeschichte – das Abendessen zu. Erst dann sagt sie, sie wolle ihren Mann umbringen. Auch das offene Ende irritiert. Denn es ist einfach unklar, ob überhaupt jemand gestorben ist.
Arnold Stadler erzählt in seinem Krimidebüt „Gleich hinter Zizenhausen, die Gegend hieß Mesopotamien – Kleine Kriminalkomödie und Blödsinn“ von dem Tod der Tante des Amateurermittlers Johannes Maria K., Karla Pyritz. JM soll ihren Mörder finden. Aber es könnte auch ein natürlicher Tod gewesen sein. Eine auch nur halbwegs nacherzählbare Geschichte entwickelt sich aus diesem Anfang nicht. Denn Stadler stellt nur episch seine Figuren, die natürlich auch alle verdächtig sind, vor und hört dann nach dreißig Seiten einfach mit dem Satz „Wie die Geschichte endete, steht in den hier fehlenden circa 20 Seiten“ auf. Damit ist Stadler ein Fall für Watching the Detectives (denn dpr überlegt, ob es Krimis geben könne, in denen am Ende kein Täter präsentiert wird). Für mich ist so ein Vorgehen einfach eine Missachtung des Lesers.
Christof Hamanns „Der Fall des Mörders“ ist als Überlegung zu Realität und Fiktion gelungen. Denn Hamann präsentiert keine klassische Geschichte, sondern die Überlegungen des Autors, wenn er einen wirklichen Fall als Inspiration für eine Geschichte nimmt. Was muss verändert werden? Was nicht? Wie ändere ich die Charaktere? Wie ändert sich dadurch der wahre Fall?
Das waren die Preisträger aus neunzehn Geschichten, die von wenigen altbekannten Krimiautoren, wie Peter Zeindler und Paul Lascaux (der unter seinem richtigen Namen Paul Ott das lesenswerte Sachbuch „Mord im Alpenglühen – Der Schweizer Kriminalroman: Geschichte und Gegenwart“ schrieb), und vielen bekannten Autoren, die hier teilweise ihr Krimidebüt vorlegen, wie Gaby Hauptmann, Arnold Stadler und Martin Walser, geschrieben wurden.
In diesem Potpourri wäre meine unumstrittene Gewinnerin Gaby Hauptmann mit „Stürmisch und heiter“.
Während eines Sturms wird vor Allensbach ein herrenloses Schiff gefunden. Auf ihm soll eine Leiche sein. Von dieser findet die Polizei keine Spur, aber dafür einen Koffer voller Geld. Die Yacht gehört einem Schweizer Investor, der in Allensbach einen Swingerklub eröffnen will.
Hauptmanns spannende Geschichte mit ihrer überraschenden Pointe ist eine gelungene Satire auf das kleinstädtische Leben und die nicht nur am Bodensee herrschende Doppelmoral.
Gelungen mit Traum und Realität spielt Peter Höner in „Miss Bodensee“. Ein Medium hat einen Alptraum. Er träumt, wie er eine Frau umbringt. Am nächsten Tag ist sie tot und er fragt sich, ob er die Frau umgebracht hat oder das Geschehen nur durch die Augen des Mörders gesehen hat.
Walter Wolter erzählt in „Keine Verjährung“ von einem von der Polizei gesuchten Verbrecher, der bei einem alten Schulkameraden Unterschlupf findet. Schnell werden alte Geheimnisse gelüftet und alles steuert auf das erwartbare Ende zu.
Außer Konkurrenz ist Martin Walser mit der über dreißig Jahre alten Thassilo S. Grübel-Geschichte „Requiem in Langenargen“. Damals schrieb er mehrere längere Kurzgeschichten und Hörspiele mit dem Privatdetektiv Grübel, der sich seine Fälle verschafft, indem er zuerst ein Verbrechen begeht. So auch in „Requiem in Langenargen“. Grübel stiehlt die Tasche, die er später suchen muss. Dabei stochert er in dem gar nicht so perfekten Leben der Bodensee-High-Society herum. „Requiem in Langenargen“ ist eine nette, etwas verwirrende Detektivgeschichte. Im Gegensatz zu den neueren Ergüssen des Bodensee-Dichters ist die Geschichte auch gut geschrieben.
1991 entstand die sechsteilige, lange nicht mehr gezeigte Serie „Tassilo – Ein Fall für sich“ mit Bruno Ganz als Tassilo S. Grübel (Das „h“ ging in der Produktion verloren). Damals gefiel sie mir. Der Spiegel schrieb über die Serie: „Tassilo fungiert in Walsers Handlungskonstruktion als Katalysator, der die Verderbtheit der Reichen und Mächtigen in ihrer schmutzigen Reinheit hervortreibt, ohne dass sich der Detektiv je von klassenkämpferischem Ernst überwältigen ließe – ein Hofnarr unter reichen Narren.“ Für die in „Tod am Bodenee“ abgedruckte Grübel-Geschichte gilt das auch.
Die restlichen Geschichten sind, trotz aller Unterschiede, mehr oder weniger missglückte Versuche eine Kriminalgeschichte zu erzählen.
Barbara Grieshaber, Siegmund Kopitzki (Hrsg.): Tod am Bodensee
Gmeiner Verlag, 2007
384 Seiten
9,90 Euro
Enthält folgende Kurzgeschichten:
Uta-Maria Heim: Plan D – Das todsichere Allensbacher Rezept
Marc Buhl: Hammer
Jan Christ: Als der Pfau schrie
Gaby Hauptmann: Stürmisch und heiter
Jürgen Lodemann: Bergmörder
Christof Hamann: Der Fall des Mörders
Petra Gabriel: Boxnacht
Arnold Stadler: Gleich hinter Zizenhausen, die Gegend hieß Mesopotamien
Walter Wolter: Keine Verjährung
Reinhard Gröper: Ekkehards Tod
Otto Jägersberg: Der Maisfeldschläfer
Martin Walser: Requiem in Langenargen
Jutta Motz: Die Lichtung
Paul Lascaux: Zufällige Berührungen
Peter Zeindler: Komm, lieber Mai…
Keller + Kuhn: Julias Nachlass
Peter Höner: Miss Bodensee
Ulrike Längle: Sherlock Holmes in Schoppernau
Wolfgang Hermann: SPAM
