Die Zahl der Auszeichnungen für John Harts Debüt „Der König der Lügen“ ist imponierend. Publishers Weekly zählte es zu den Büchern des Jahres. Es stand mehrere Wochen auf der New York Times Bestsellerliste. Die Filmrechte sind verkauft (was allerdings nicht so viel heißt). Es wurde als Bestes Debüt für den Anthony, Barry, Edgar, Macavity und SIBA Preis (für gute Bücher aus den Südstaaten) nominiert. Es erhielt den Gumshoe Preis als bestes Debüt. Entsprechend hoch sind die Erwartungen. Denn John Hart scheint für das Genre die neue Stimme aus den Südstaaten zu sein und sogar über die Genregrenzen hinweg akzeptiert zu werden. Immerhin verbindet Hart einen Kriminalroman mit einem Südstaatenfamiliendrama und einer nachgeholten Entwicklungsgeschichte.
Die ersten Zeilen sind auch gelungen. Auf der vierten Seite erfährt der Ich-Erzähler Jackson Workman Pickens, dass sein Vater Ezra nach achtzehn Monaten gefunden wurde. Er wurde ermordet. In diesem Moment schaltet John Hart mehrere Gänge zurück und bewegt sich durch die folgenden über vierhundert dichtbedruckten Seiten im Kriechgang. Denn der Strafverteidiger Jackson Workman Pickens ist letztendlich ein Trottel. Einer, der sich von allen herumstoßen lässt und fast mit Waffengewalt zu irgendwelchen Aktionen getrieben werden muss. Dabei sitzt Pickens ziemlich in der Patsche.
Sein Vater, der titelgebende „König der Lügen“, war ein Tyrann, der für den Tod seiner Frau verantwortlich war. Er besaß viel Geld und in der kleinen Stadt in North Carolina entsprechend viel Einfluss. Feinde hatte er also genug.
Aber Detective Mill hält sich an die alte Polizistenregel, dass der Hauptprofiteur eines Verbrechens der Täter ist. Pickens erbt das Millionenvermögen seines Vaters. Er wird damit für Mill zum Hauptverdächtigen und ihre Ermittlungen erhärten ihren Verdacht immer mehr.
Entsprechend den Genrekonventionen müsste der Hauptverdächtige versuchen seine Unschuld zu beweisen. Das tut er auch irgendwie. Aber auf eine so verschnarchte und bescheuerte Art, dass er sich in den Augen von Detective Mill nur noch verdächtiger und uns Leser immer wieder fassungslos macht. Er sucht auf eigene Faust am Tatort die Tatwaffe, fasst sie mit bloßen Händen an und wirft sie in einen Fluss. Dümmer geht’s nicht. Auch nicht für einen Anwalt. Der Grund für sein dämliches Verhalten – so erzählt Pickens uns – ist, dass er glaubt, seine Schwester Jean habe Ezra Pickens umgebracht. Beweise – immerhin ist er Strafverteidiger – braucht er nicht. Dass sie nicht die Mörderin ist, ist nahe liegend und Pickens hätte es in einem Gespräch herausfinden können. Aber dann hätte er den richtigen Mörder suchen müssen.
Pickens entdeckt sogar den im Boden der Kanzlei versteckten Safe auf Seite 69. Er ist sich sicher, dass irgendetwas Wichtiges in dem Safe versteckt ist. Immerhin hat er vorher einen Einbrecher, der unerkannt flüchten konnte, in dem Zimmer erwischt. Doch erst auf Seite 400 öffnet er ihn und entdeckt das Mordmotiv. Wenige Seiten später ist der Mörder, dank eigener Mithilfe, überführt.
Viel mehr Zeit als mit dem Kriminalfall füllt John Hart mit Nichtigkeiten über das Leben seines passiven Erzählers. Er schreibt, immer in epischer Breite, dass Pickens sich gerne mit einem Bier in der Hand die Sonnenuntergänge ansieht, die Ehe mit seiner ehrgeizigen Frau Barbara hoffnungslos zerrüttet ist, er immer wieder Sex mit seiner wahren Liebe Vanessa hat, seine Schwester Jean mit einer Frau zusammenlebt, sie nichts von ihm wissen willen, er in Ezra Pickens mit Auflagen gespicktem Testament der Hauptbegünstigte ist und mehrere Menschen raten ihm, teils mehrmals, sein Schicksal endlich in die eigenen Hände zu nehmen. Pickens braucht diese ständigen Wiederholungen vielleicht, aber als Leser haben wir das bereits nach dem ersten Mal verstanden und langweilen uns. Denn nichts davon bringt die Handlung voran oder gibt uns einen tieferen Einblick in den Charakter von Pickens.
Außerdem ist „Der König der Lügen“ eine Variante des Idiotenplots. Wenn zu irgendeinem Zeitpunkt einer der wichtigen Charaktere geredet hätte, wäre die Geschichte vorbei gewesen.
John Hart: Der König der Lügen
(übersetzt von Rainer Schmidt)
Bertelsmann, 2007
448 Seiten
19,95 Euro
Originalausgabe
The King of Lies
Thomas Dunne Books, 2006
