Film Noir Collection 3: Schwarzer Engel

„Schwarzer Engel“ war 1946 eines der zahlreichen B-Pictures in denen verdiente Nebendarsteller und aufstrebende Schauspieler wichtige Rollen übernahmen. Doch „Schwarzer Engel“ ist außerhalb der Fankreise ein fast unbekannten Noir.

Zu Unrecht.

Denn „Schwarzer Engel“ ist sehr gut gealtert und das Ende ist – vor allem in der Präsentation von Roy William Neill – auch nach über sechzig Jahren immer noch schockierend.

Die Geschichte beginnt mit dem Mord an der erfolgreichen Sängerin Marvis Marlowe (Was für ein Namen! Constance Dowling). Auf ihrem Plattenspieler dreht sich das von ihrem Ex Martin Blair (Dan Duryea) geschriebene Lied „Heartbreak“. Die Ermittlungen der Polizei führen schnell zu Kirk Bennett (John Phillips). Er wurde am Tatort gesehen, die Beweise sprechen gegen ihn und er wird, obwohl er die Tat leugnet, zum Tode verurteilt. Seine Frau Catherine Bennett (June Vincent) beginnt auf eigene Faust den Mörder zu suchen. Ihre einzige Spur ist eine Rubin-Brosche, die ihr Mann auf der Leiche gesehen hatte und die verschwunden ist. Ihre Ermittlungen führen sie zu Martin Blair, der seine Tage hauptsächlich betrunkenen im Selbstmitleid verbringt. Als sie ihm ein Bild ihres verurteilten Mannes zeigt, sagt Blair, er habe an diesem Abend einen anderen Mann gesehen. Gemeinsam beginnen sie den Mörder von Marvis Marlowe zu suchen. Sie glauben, dass es der zwielichtige Nachtclubbesitzer Marko (Peter Lorre) ist. Als Gesangsduo schleichen sie sich in seinen Club Rio’s ein.

Cornell Woolrich (1903 – 1968 ) war mit seinen düsteren Visionen über von echter und falscher Schuld getriebene Menschen der Noir-Autor par excellence. Entsprechend oft wurden seine Werke verfilmt. Die IMDB listet über einhundert Verfilmungen auf. Die bekanntesten sind „Rear Window“ (Das Fenster zum Hof), „La mariée était en noir“ (Die Braut trug schwarz), „La sirène du mississippi“ (Das Geheimnis der falschen Braut), „Martha“ (weil Fassbinder eine Woolrich-Geschichte verfilmte, ohne die Rechte zu haben, durfte der Film lange Zeit nicht gezeigt werden) und natürlich die in den Vierzigern gedrehten Noirs, wie „The night has a thousand eyes“ (Die Nacht hat tausend Augen; Du stirbst um Elf), „Phantom Lady“ (Zeuge gesucht; Das Geheimnis der Lady X), „Deadline at dawn“ und “The Mark of the Whistler” (Das Zeichen des Whistler). Etliche Verfilmungen gingen ziemlich frei mit Woolrichs Geschichten um. Auch „Schwarzer Engel“ macht da keine Ausnahme.

Drehbuchautor Roy Chanslor (1899 – 1964) hat im Filmgeschäft vor allem als Romanautor seine Spuren hinterlassen. Denn er schrieb die Vorlagen für „Johnny Guitar“ und „Cat Ballou“. Außerdem schrieb er, neben zahlreichen Drehbüchern zu inzwischen vergessenen Filmen, auch das Buch zu dem von Roy William Neill inszenierten Sherlock-Holmes-Film „The House of Fear“ (Das Haus des Schreckens). Für „Schwarzer Engel“ – sagen wir mal – straffte Chanslor Woolrichs Roman von einem Rachefeldzug in der Unterwelt auf einen verdächtigen Nachtclubbesitzer. Doch den Woolrichsen Kosmos von Verzweiflung und Getriebensein übertrug er in sein Drehbuch.

In den kundigen Händen von Regieveteran Roy William Neil (1887 – 1946) wurde aus der Geschichte ein effektvoller Noir mit zahlreichen erinnerungswürdigen Szenen und guten Leistungen des Ensembles. Neill begann als Stummfilmregisseur und ist heute vor allem für seine regelmäßig nachmittags oder nachts laufenden Sherlock-Holmes-Filme mit Basil Rathbone und Nigel Bruce bekannt. Das B-Picture „Schwarzer Engel“ war sein letzter Film und es ist ein würdiger Abschluss eines kurzen Lebens. Das geringe Budget gestatte es, Themen anzusprechen, die in einem Film mit bekannten Schauspielern und Stars nicht mehr möglich gewesen wären. Denn Catherine Bennetts Suche nach dem Mörder ist gleichzeitig eine Emanzipationsgeschichte (aus der braven Hausfrau wird eine Nachtclubsängerin) und eine Liebesgeschichte. Dass sie am Ende die Unschuld ihres Mannes beweisen kann, lässt ihre Mission auf den ersten Blick erfolgreich enden. Doch es ist ein Phyrrussieg. Denn jetzt ist wieder in den Armen ihres ehebrechenden Trottels.

Catherine-Bennett-Darstellerin June Vincent sollte als Blondine eine zweite Veronika Lake werden, doch der große Durchbruch gelang ihr nicht. Dan Duryea hatte damals als charismatischer Nebendarsteller, vor allem auf der Seite der Bösen, bereits einen Namen. In „Schwarzer Engel“ spielt er glaubwürdig einen Alkoholiker, der sich an jeden Strohhalm klammert und durch seine Beziehung zu Catherine Bennett wieder neuen Lebensmut fasst. Dass diese Beziehung auf der Prämisse aufbaut, dass ihr Mann bald sterben wird und er daher eigentlich kein Interesse an einer erfolgreichen Mörderjagd haben kann, wirft schon früh ein schlechtes Licht auf den charmanten Musiker (jedenfalls wenn er nüchtern ist).

Diesem seltsamen Paar gegenüber stehen etliche charismatische Männer. Peter Lorre ist wieder einmal der mit halbgeschlossenen Lidern und hängender Zigarette durch den Film schleichende, allwissende Bösewicht, der sich mit seinem Schicksal abgefunden hat. Ex-Boxer Freddie Steele spielt Lucky, den Manager vom Rio’s, als einen kultivierten Schläger, dem ein kaltblütiger Auftragsmord ohne weiteres zuzutrauen ist. Broderick Crawford (für „All the King’s men“ [Der Mann, der herrschen wollte] erhielt er einen Oscar) spielt seine Rolle als ermittelnder Captain Flood so entspannt, dass an seiner Ehrlichkeit als Polizist Zweifel angebracht sind.

Koch Media hat mit den ersten drei Filmen ihrer Film-Noir-Collection die Noir-Perlen „Die Blaue Dahlie“, „Spiel mit dem Tode“ und „Schwarzer Engel“ den Krimifans und Filmfreunden wieder zugänglich gemacht. Hoffentlich wird die Reihe in den kommenden Monaten ähnlich liebevoll fortgesetzt.

Schwarzer Engel (Black Angel, USA 1946)

Regie: Roy William Neill

Drehbuch: Roy Chanslor

LV: Cornell Woolrich: The black angel, 1943 (Der schwarze Engel; Adresse Friedhof)

Mit Dan Duryea, June Vincent, Peter Lorre, Broderick Crawford, Constance Dowling

Auch bekannt als “Vergessene Stunde” und „Das Geheimnis des Hotelzimmers“

Koch Media – Film Noir 3 (77 Minuten, Deutsch/Englisch, Untertitel. Englisch)

DVD-Bonus: Bildergalerie, Original Kinotrailer, 12-seitiges Booklet

Hinweise

Noir of the Week über „Black Angel“

Mordlust über Cornell Woolrich

Krimi-Couch über Cornell Woolrich

DetNovel über Cornell Woolrich

Time (Richard Corliss): That old feeling: Woolrich’s World (Dezember 2003)

Time (Richard Corliss): That old feeling: Fear Noir (über Woolrich-Verfilmungen, Dezember 2003)

4 Responses to Film Noir Collection 3: Schwarzer Engel

  1. […] Chandler), „Spiel mit dem Tod“ (nach einem Roman von Kenneth Fearing) und „Scharzer Engel“ (nach einem Roman von Cornell Woolrich) sind tolle Noirs und schon seit Ewigkeiten nicht mehr im TV […]

  2. Steffen sagt:

    Noch nie was von dem Film gehört? Ist der sehenswert? Kann man sich den auch noch 65 Jahre nach Erscheinen angucken? Oder ist das nur etwas für eingefleischte Fans?

  3. AxelB sagt:

    Ich denke ja.

  4. Kasimo sagt:

    Also nach der ausfürhlichen und innigen Empfehlung werde ich direkt mal zusehen, ob ich den Film irgendwo bekommen kann. Das klingt wirklich interessant. Gerade gute Klassiker sind heute kaum noch zu sehen.

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