Für uns Jüngere ist es unvorstellbar. Aber im Januar 1962 stand an sechs Abenden das gesellschaftliche Leben still, weil im Fernsehen eine Kriminalserie lief, die sich nur um die Frage drehte, wer das Fotomodell Fay Collins mit einem Halstuch erwürgte. Nach der Tatwaffe hieß die dritte Francis-Durbridge-Verfilmung dann auch „Das Halstuch“ und, wie die beiden vorherigen Durbridge-Verfilmungen „Der Andere“ und „Es ist soweit“, spielten die Deutschen einfach ein bereits im britischen Fernsehen ausgestrahltes Programm nach. Doch während in England die Durbridge-Verfilmungen nur beliebt waren, wurden sie hier zu Straßenfegern. Die letzte Folge von „Das Halstuch“ hatte eine Sehbeteilung von neunzig Prozent. Davon kann die deutsche Mannschaft sogar beim Spiel um den dritten WM-Platz nur träumen.
Im Gegensatz zu seinem legendären Ruf ist „Das Halstuch“ allerdings sehr schlecht gealtert. Denn es ist, wie „Der Andere“, ein abgefilmtes Theaterstück und die wenigen Außenaufnahmen könnten überall gedreht worden sein. Die Bildqualität ist, wahrscheinlich aufgrund einer falschen Lagerung, trotz der Restaurierung bescheiden und hat eher den Standard eines Stummfilms oder frühen Tonfilms. Die Story ist Durbridge-typisch mit einem Cliffhanger am Ende jeder Folge, vielen Verdächtigen, auf eine altmodische Art spannend (wenig Thrill, eher entspannend und nett anzusehen) und letztendlich nicht sehr logisch.
Sehr interessant ist die auf der DVD verewigte Abendschau-Diskussion über „Das Halstuch“. Nach der Ausstrahlung wurden zwei Morde mit einem Halstuch begangen. Die Deutsche Kriminologische Gesellschaft wandte sich gegen die Ausstrahlung von solchen Krimis und Dr. Gustav Nass, Vizepräsident der Deutschen Kriminologischen Gesellschaft, nahm an der Diskussion teil. Dort wurden Argumente ausgetauscht, die heute bei Diskussionen über den schädlichen Einfluss von Computerspielen vorgetragen werden. Außerdem konnten Zuschauer direkt in der Sendung anrufen und die Diskutanten mehrmals mitten im Satz unterbrechen werden. Heute unvorstellbar.
Nach „Das Halstuch“, in dem die Morde niemals gezeigt wurden (jeder Edgar-Wallace-Film ist expliziter; amerikanische Serien sowieso), kamen die TV-Verantwortlichen mit den beiden nächsten Durbridge-Filmen „Tim Frazer“ und „Tim Frazer: Der Fall Salinger“ den Sittenwächtern entgegen.
Erst in der sechsten Durbridge-Verfilmung „Die Schlüssel“ gab es wieder mehrere Morde (natürlich nicht vor laufender Kamera) und mit Benno Hoffmann auch einen vierschrötigen Ganoven unter gesitteten Gentlemen. Weil sich inzwischen die Sehgewohnheiten geändert hatten, wurde „Die Schlüssel“ nicht mehr als Sechs-, sondern als Dreiteiler ausgestrahlt. An der kammerspielartigen Inszenierung änderte sich dagegen nichts. Aber immerhin wurde die Erzählung von Norman Stansdale über die Entstehung einer für die Geschichte wichtigen Fotografie mit einer Rückblende illustriert.
In dem Dreiteiler erschießt der Ex-Soldat Philip Martin sich nach seinem Wehrdienst in einem Hotelzimmer. In den Tagen vor seinem Tod soll er pausenlos in einem Gedichtband gelesen haben. Philips Bruder Eric Martin glaubt nicht an den Selbstmord. Er will herausfinden, warum Philip ermordet wurde. Dabei hat er zuerst nur drei Spuren: den Gedichtband, einen Schlüssel, den jeder haben will, und ein Porträtbild von einem angeblich in Deutschland verstorbenen Kameraden mit seiner Frau.
Wie auch die vorherigen Durbridge-Verfilmungen bietet „Die Schlüssel“ ein Wiedersehen mit vielen altbekannten Stars und Albert Lieven darf in einem Durbridge endlich einmal auf der Seite der Guten mitspielen. Das extra für die DVD produzierte vierzigminütige Interview mit Reinhard Glemnitz bietet einen hübschen Rückblick auf die damalige Zeit, seine Rolle als Stammschauspieler in der von Herbert Reinecker erfundenen Krimiserie „Der Kommissar“ (1969 – 1976) und seine Arbeit als Synchronsprecher.
Straßenfeger 02: Das Halstuch/Die Schlüssel
Studio Hamburg
Sprache/Ton: Deutsch (2.0 Mono)
Bild: 4:3, SW
Bonusmaterial: Kurzdokumentation Straßenfeger – Das Phänomen, Abendschau-Diskussion „Das Halstuch“
TV Juwelen – Die Straßenfeger im neuen Glanz, Interview mit Darsteller Reinhard Glemnitz
Freigegeben ab 12 Jahre
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Enthält
Das Halstuch (Deutschland 1961, 224 Minuten)
Regie: Hans Quest
Drehbuch: Francis Durbridge (Übersetzung: Marianne de Barde)
Mit Heinz Drache, Albert Lieven, Margot Trooger, Dieter Borsche, Horst Tappert, Hellmut Lange, Eva Pflug
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Die Schlüssel (Deutschland 1964, 234 Minuten)
Regie: Paul May
Drehbuch: Francis Durbridge (Übersetzung: Marianne de Barde)
Mit Harald Leipnitz, Albert Lieven, Peter Thom, Hans Quest, Dagmar Altrichter, Benno Hoffmann, Reinhard Glemnitz
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Hinweise
Meine Besprechung von „Straßenfeger 01: Der Andere/Es ist soweit“
Meine Besprechung von „Die Kette“ (die letzte offizielle Durbridge-Verfilmung)
[…] Meine ausführliche Besprechung von „Das Halstuch“ […]