Dr. Siris zweites Abenteuer

Cotterill - Dr Siri sieht Gespenster

Mitte Juli erhielt Colin Cotterill den Dagger in the Library. „Dr. Siri und seine Toten“ war für den Barry und Dagger Award nominiert. „Dr. Siri sieht Gespenster“ erhielt den Dily Award. 2008 erschien Cotterills erster Dr.-Siri-Roman „Dr. Siri und seine Toten“ bei uns, wurde breit abgefeiert und war auch zweimal auf der KrimiWelt-Bestenliste.

Also muss Cotterill irgendetwas richtig machen. Allerdings ist sein zweiter auf Deutsch erschienener Roman „Dr. Siri sieht Gespenster“ absolut kein Buch für mich. Durch das erste Drittel habe ich mich gequält. Danach wurde es als humoristische Nummernrevue aus einem anderen Land und einer inzwischen doch sehr fernen Zeit, okay. Aber wirkliche genossen habe ich „Dr. Siri sieht Gespenster“ nicht.

Das lag nicht an dem Ort und der Zeit der Handlung: Laos in den späten Siebzigern, nachdem die Kommunisten den König verjagt haben, alles kontrollieren und vieles nicht funktioniert. Denn auch wenn ich kein großer Freund von historischen Kriminalromanen bin, sind die Siebziger noch nicht so lange Vergangenheit, um das Label „historischer Kriminalroman“ draufzukleben. Außerdem zeichnet Colin Cotterill in erster Linie ein pittoreskes Bild einer exotischen Gegend, in der weltliche Machthaber (egal ob Könige oder Kommunisten; die Kapitalisten waren da gerade nicht in Laos) nur im Einklang mit der übernatürlichen Welt leben können.

Das lag auch nicht an der Verbindung von realer und Geisterwelt. Ich bin zwar kein Fantasy-Fan, aber gegen eine gute Gruselgeschichte habe ich wenig einzuwenden. Gleiches gilt für die Geschichte von Charlie Huston, Jim Butcher oder Malcolm Pryce. Auch die in James Lee Burkes Romanen auftauchenden Geister kann ich akzeptieren.

Das lag auch nicht an Cotterills Desinteresse an dem Krimiplot. Immerhin gibt es neben der Kriminalliteratur auch eine andere Literatur. Dennoch werden Cotterills „Dr. Siri“-Romane in der Krimiabteilung einsortiert. Immerhin muss sich Cotterills Held mit einigen seltsamen Todesfällen herumschlagen.

Der 72-jährige Dr. Siri Paibouns ist nicht nur der einzige Gerichtsmediziner von Laos, sondern auch der menschliche Körper eines noch viel älteren Geistes. Seitdem Siri das weiß, hat er exzellente Beziehungen zur Geisterwelt, die in Laos immer wieder in die andere, die reale Welt eingreift. So ist auch anfangs unklar, ob der Tod von zwei Fahrradfahrern, die an einem Brunnen vor einem Ministerium gefunden wurden, von einem Menschen oder einer im Ministerium stehenden Truhe mit bösem Karma verursacht wurde. Dr. Siri glaubt an letzteres.

Gleichzeitig frisst sich ein aus seinem Käfig ausgebrochener Bär, dessen Bissspuren nicht nach denen eines Bären aussehen, durch die Straßen der Hauptstadt. Und in einer abgelegenen Provinz soll Dr. Siri die Herkunft von zwei abgeschossenen und verbrannten Hubschrauberpiloten klären. Dort trifft er den geschassten König und – eine der witzigsten Szenen des Buches – erlebt eine Parteiversammlung, die zu einer Geisterbeschwörung wird.

Die Morde werden am Ende mehr oder weniger nebenbei aufgeklärt. Im Zweifelsfall waren es irgendwie Taten der Geister gegen die Lebenden. Dabei werden Fragen nach der geschichtsinternen Logik und Wahrscheinlichkeit von Cotterill ziemlich umfassend ignoriert.

Es lag daher vielleicht an falschen Erwartungen. Denn es dauerte gut hundert Seiten bis ich akzeptierte, dass in „Dr. Siri sieht Gespenster“ nicht mit irgendwie herkömmlichen Ermittlungen gerechnet werden kann. Eher schon mit dem Vermeiden von Ermittlungen und einem betonten Desinteresse an auch nur halbwegs herkömmlichen Ermittlungen (verstanden als Handlungen die dazu geeignet sind, das Ziel [aka die Auflösung des Falles] zu erreichen).

Allerdings kann ich gut mit den Werken von Ken Bruen und James Sallis leben, die die Genrekonventionen bis zum Gehtnichtmehr (und teilweise darüber hinaus) dehnen. Denn deren Tonfall gefällt mir und sie porträtieren einen Charakter und eine Welt, die ich nachempfinden kann.

Bei „Dr. Siri sieht Gespenster“ ließen mich die Charaktere kalt und Laos wirkte auf mich wie ein tropisches Disneyland, in dem sich auch in einer Diktatur mit etwas Mutterwitz (irgendwie musste ich immer an alte Heinz-Rühmann- und Heinz-Erhardt-Filme denken) noch jedes Problem lösen lässt.

Es lag auch an der Sprache. Jedenfalls in der Übersetzung.

Colin Cotterill: Dr. Siri sieht Gespenster

(übersetzt von Thomas Mohr)

Manhattan, 2009

320 Seiten

17,95 Euro

Originaltitel

Thirty-Three Teeth

Soho Press, New York 2005

Dr. Siri Paibouns Fälle

Dr. Siri und seine Toten (The Coroner’s Lunch, 2004)

Dr. Siri sieht Gespenster (Thirty-Three Teeth, 2005)

Disco for the Departed (2006)

Anarchy and Old Dogs (2007)

Curse of the Pogo Stick (2008)

The Merry Misogynist (2009)

Hinweise

Homepage von Colin Cotterill

International Crime Authors Reality Check (Kollektiv-Blog von Colin Cotterill und anderen)

2 Responses to Dr. Siris zweites Abenteuer

  1. Rutger Booß sagt:

    Der Charme des ersten Buches fehlt dem zweiten gänzlich.
    Die Arbeit des Gerichtsmediziners in einer Mangelwirtschaft war großartig beschrieben; jetzt gibt es nur „Spökenkiekerei“, wie es auf gut Westfälisch heißt. Dr. Sitri und seine Mitstreiter sind blasser als im ersten Buch. Sehr schade.

  2. […] 2. Colin Cotterill, „Dr. Siri und seine Toten“, Goldmann – der einzige Leichenbeschauer von Laos, geschrieben gegen fast alle Krimi-Regeln. […]

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