Die Selbstdarstellung des „Very British Gangster“ Dominic Noonan

Schlimm.

Sehr schlimm.

Jedenfalls wenn ich Donal MacIntyres spielfilmlange Dokumentation „A Very British Gangster“ aus der political-correctness-Perspektive betrachte. Denn in dem Film erscheint der porträtierte Dominic Noonan, seine Familie und seine Gefolgsleute nicht als eine Verbrecherbande, mit teils etlichen Jahren Zuchthaus im Lebenslauf, sondern sie erscheinen als ganz normale Menschen und Noonan als ein durchaus für sich einnehmender Familienvater und freiwilliger, aber nicht uneigennütziger Sozialarbeiter, der in seinem Viertel von den Bewohnern und auch von der Polizei immer wieder um Hilfe gebeten wird.

Diese durchaus problematische (und von den Machern bewusst in Kauf genommene) Gratwanderung zwischen Mystifizierung und sich langsam einstellender Demystifizierung ist der Preis für die große Nähe des Journalisten zum Objekt seiner Begierde. Denn natürlich wird der porträtierte Verbrecher vor laufender Kamera keine Verbrechen zugeben, für die er später angeklagt werden kann. Außerdem – und hier zeigt sich die Macht der Bilder – ist der Schritt von der Beobachtung zur Glorifizierung des Gangster klein. Wenn Dominic Noonan vor laufender Kamera sehr offen aus seinem Leben erzählt (und Noonan ist ein guter Erzähler), wenn er mit seinen Jungs, die alle einen Anzug tragen, durch die Straßen geht, wenn sie in ausgesucht ästhetischen Bildern vor Arbeiterhäusern warten und am Fluss angeln, dann erscheint das Verbrecherleben als ein ziemlich cooles Leben.

Die eingesetzte Musik passt gut zu den Impressionen von Manchester. Die Perspektiven, Schwenks und Schnitte sind reinstes Kino. Donal MacIntyre lässt sich auf den Porträtierten ein und übernimmt auch seine Sicht auf die Welt. Denn natürlich sieht Noonan sich nicht als bösen Menschen. Er ist der Mann, der in seinem Revier durch Verhandlungen für Ruhe sorgt. Er holt die Jungs von der Straße, kleidet sie ein, sorgt für den richtigen Haarschnitt, bringt ihnen Manieren bei. Er macht das, was die Gesellschaft nicht tut.

Seine Verbrechen und auch die Gerichtsverhandlungen werden nicht gezeigt. Dafür aber die sich an die Freisprüche anschließenden Feiern. Es wird auch seine Trauer über den Mord an seinem Bruder Desmond Noonan und der große Trauermarsch durch Manchester gezeigt.

Gleichzeitig erzählt Noonans Sohn, dass er seinen Vater eigentlich nicht kennt, weil er die meiste Zeit im Gefängnis ist, und Noonans Jungs erzählen von ihren Träumen. Einer will Schauspieler, einer will Noonans Nachfolger werden.

Und vielleicht gelingt es MacIntyre als teilnehmendem Beobachter viel näher an die Wahrheit zu kommen, als vielen anderen TV-Reportern. Denn im Gegensatz zu einem Zeitungsjournalisten sind sie auf Bilder angewiesen. MacIntyre war in seiner dreijährigen Langzeitbeobachtung auf die Kooperation von Dominic Noonan angewiesen. In dem kurzen, aber informativen Making-of (betitelt als „Behind the Scenes“) sagt Donal MacIntyre, dass er Noonan bewusst nicht nach seinen Verbrechen gefragt hat und Noonan den Film vor der Veröffentlichung gezeigt hat. Dieser sagt, ebenfalls in dem Making-of, dass ihm der Film gefalle. Dass der Film die Wahrheit zeige.

Wenn ich MacIntyres Dokumentation nicht aus der PC-Perspektive betrachte, die schon vor der ersten Filmminute weiß, was richtig und was falsch ist, dann ist „A very british Gangster“ ein grandioser Film. Denn ich lerne einen schwulen Gangster kennen, erhalte einen ziemlich ungeschminkten Blick in eine fremde Welt und sehe einen Dokumentarfilm, der immer wieder Bilder für die große Leinwand hat.

Beim Cognac Festival du Film Policier erhielt „ A Very British Gangster“ den Großen Preis.

A very british Gangster

A Very British Gangster (A Very British Gangster, GB 2007)

Regie: Donal MacIntyre

Drehbuch: Donal MacIntyre

DVD

New KSM

Bild: 16:9 (1.77:1)

Ton: Deutsch, Englisch (Dolby Digital 2.0)

Untertitel:

Bonusmaterial: Deleted Scence, Behind the Scenes, Wendecover

Laufzeit: 98 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Wikipedia über Dominic Noonan

8 Responses to Die Selbstdarstellung des „Very British Gangster“ Dominic Noonan

  1. Chris sagt:

    äähhm… sorry du, aber ich glaube du hast teilweise den film nicht so ganz verstanden. noonan wird NATÜRLICH in etlichen alltagssituationen gezeigt, denn genau darum geht’s ja! um sein privatleben. und darum daß der -gefährlichste mann im UK – eben auch pommes macht und n sexleben hat. genau darum gehts. und ich finde er wird alles andere als sympathisch dargestellt.

  2. Jule sagt:

    moin…ich hab den film gestern das erste mal gesehen. generell interessieren mich ja solche gestrandeten leute, die umstände und vielleicht auch die gründe für ihr tun 😉
    das war im film gut dargestellt. es wurde ein bisschen, nur ein bisschen, gezeigt, warum dominic vielleicht dieses leben ausgewählt hat…bzw. in diesem milieu kaum chancen hat, was „ehrbares“ zu werden und das fand ich sehr interessant. und dabei muss ich chris leider widersprechen: ich fand schon, dass dominic dadurch sympathischer rüberkam, als wenn man nur seine „taten“ ohne hintergründe dokumentiert hätte. was nicht heisst, dass ich das gutheisse 😉

  3. AxelB sagt:

    Das sagt er über sich.

  4. AxelB sagt:

    Die Kommentare von Sucker wurden wegen der Wortwahl gelöscht.

  5. […] Meine ausführliche Besprechung von „A Very British Gangster“ […]

  6. Lara Kraft sagt:

    der kleine wollte sänger werden, nicht schauspieler

  7. otto sagt:

    deer kleine wollte boxer werden der andere sänger unddere ganz andere würde alternativ schauspieler werden!!

  8. Ute sagt:

    Sehr schöne Rezension. Macht Spaß zu lesen. Die Gratwanderung ist genial, man will die Jungs eigentlich ja nicht cool finden…

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