DVD-Kritik: „Sie nannten ihn Stick“

Als „Sie nannten ihn Stick“ in der ersten Hälfte der achtziger Jahre in die Kinos kam, wurde er von den Kritikern geschlachtet. Auch Elmore Leonard mag diese Verfilmung nicht. Das liegt bei diesem Krimi auch an der gar nicht so unüblichen Hollywood-Produktion. Zuerst wurde Elmore Leonard beauftragt ein Drehbuch zu schreiben. In den Siebzigern hatte er bereits die Drehbücher zu „The Moonshine War“ (Whisky brutal, mit Richard Widmark und Alan Alda), „Joe Kidd“ (Sinola, mit Clint Eastwood), „Mr. Majestik“ (Das Gesetz bin ich, mit Charles Bronson) geschrieben und auch einige seiner Romane (vor allem seine Western) waren verfilmt worden. Am bekanntesten aus dieser Zeit ist wahrscheinlich „Hombre“ (Man nannte ihn Hombre, mit Paul Newman).

Als er sein Drehbuch ablieferte, fehlte den Produzenten die nötige Action. Joseph Stinson schrieb die gewünschten Szenen. Er hatte damals das Drehbuch für den Dirty-Harry-Film „Sudden Impact“ (Dirty Harry kommt zurück) und das Burt-Reynolds/Clint-Eastwood-Vehikel „City Heat“ geschrieben. Die Dreharbeiten liefen anscheinend problemlos. Als der Film dann fertig war, gab es – auch das ist für Hollywood nicht ungewöhnlich – einen Nachdreh. Das Studio wollte noch mehr Action. Oh, und mehr Skorpione.

Das alles wussten die Kritiker beim Filmstart. Außerdem hatte Burt Reynolds für „City Heat“ eine Razzie-Nominierung erhalten und seine vorherigen Filme waren Flops (mal finanziell, mal künstlerisch, mal beides). Da schlugen die Kritiker gerne kräftig zu und auch an der Kasse war der Film kein Hit.

Dagegen hatte Elmore Leonard 1984 für „La Brava“ den Edgar erhalten und er hatte bereits viele loyale Fans.

Aber wenn man „Sie nannten ihn Stick“ heute, über 25 Jahre nach seiner Premiere wiedersieht, entdeckt man einen gar nicht so schlechten kleinen Florida-Unterweltkrimi.

Ernest ‚Stick‘ Stickley (den Leonard-Fans aus „Beute“/“Dies ist ein Überfall“ [Ryan’s Rules/Swag, 1976] kennen) hat gerade einige Jahre im Knast verbracht. Jetzt will er in Miami ein neues Leben beginnen und auch für seine Teenager-Tochter wieder ein Vater sein. Ein alter Kumpel nimmt ihn mit zu einer in den Sümpfen stattfindenden Geldübergabe. Diese geht schief. Ein Albino-Killer erschießt seinen Kumpel. Stick kann flüchten.

Über einen exzentrischen Millionär, der sich gerne mit Verbrechern umgibt, hofft Stick, an den Mörder seines Freundes und die für die Geldübergabe versprochene Bezahlung zu kommen.

Burt Reynolds zeichnete in seiner fünften Regiearbeit (wenn man die TV-Folge für die kurzlebige Krimiserie „Hawk“ mitzählt) ein unsentimentales Bild vom Gangster- und Jet-Set-Leben in Florida in den frühen Achtzigern; mit schönen Landschaftsaufnahmen und ohne den „Miami Vice“-Glamour. Stattdessen konzentriert er sich ungewöhnlich ausführlich auf die einzelnen Charaktere und ihre sich teilweise langsam entwickelnden Beziehungen zueinander. Stick scheint sogar phasenweise seinen Racheplan zu vergessen. Er freundet sich mit dem Diener und der Freundin des Millionärs an. Er trifft sich mit seiner Tochter. Aber dann schlagen die Konventionen des Gangsterfilms wieder zu und Stick muss gegen die Drogenhändler kämpfen. Dennoch ist die Action eher dünn gesät und konzentriert sich vor allem auf den Anfang (die gut gefilmte misslungene Geldübergabe in den Everglades) und das Ende (den legendären Sturz von Stuntman Dar Robinson, der auch den Albino-Killer spielte, und einen Schusswechsel).

Gerade dieses Hollywood-Action-Ende ist ärgerlich. Im Buch endet die Geschichte ziemlich unblutig (Keine Angst: es gibt Blut und Leichen). Im Film ist dieses Ende auch ähnlich enthalten. Dann wird der Wunsch der Produzenten nach „Action“ befriedigt und Stick nimmt zur Beseitigung von einigen Gangstern eine MG in die Hand. Aber der Stick, den wir bis dahin kennen gelernt haben, hätte die Verbrecher cool gegeneinander ausgespielt. Er war zwar im Knast, aber blöde ist er nicht.

Insofern ist Ernest Stickley ein Vorläufer von Jack Foley (gespielt von George Clooney in „Out of Sight“), Chili Palmer (gespielt von John Travolta in „Get Shorty“ und „Be Cool“) oder Jackie Brown (gespielt von Pam Grier in „Jackie Brown“) und damit natürlich ein typischer Leonard-Charakter.

Der Film selbst pendelt dagegen unentschlossen zwischen Gangsterdrama und witzigem (eher witzig gemeintem) Actionfilm. Dennoch, oder gerade wegen seiner Mängel, ist er als früher Vorläufer der heutigen Florida-Krimis, die zwischen Action, Comedy (manchmal auch Klamauk) und Noir pendeln, sehenswert.

Beim Ansehen der Bildergalerie der jetzt erschienenen, spartanisch ausgestatteten DVD-Weltpremiere von „Sie nannten ihn Stick“ sieht man etliche Bilder von Szenen und Schauspieler, die es nicht in den Film geschafft haben. Da wäre ein Director’s Cut – falls es die Szenen überhaupt noch und in einer akzeptablen Qualität gibt – sicher ein interessanter Film.

Sie nannten ihn Stick (Stick, USA 1983)

Regie: Burt Reynolds

Drehbuch: Elmore Leonard, Joseph C. Stinson

mit Burt Reynolds, Candice Bergen, George Segal, Charles Durning, José Perez, Gastulo Guerra

DVD

MIG Filmgroup

Laufzeit: 110 Minuten

Bild: 1.85 (16:9 anamorph)

Ton: Deutsch, Englisch (2.0)

Untertitel: Deutsch

FSK: ab 16 Jahre

Extras: Bildergalerie, Wendecover

Vorlage

Elmore Leonard: Stick

Arbor House, 1983

Übersetzung

Elmore Leonard: Sie nannten ihn Stick

(übersetzt von Heidi Meller)

Heyne, 1985

(Neuauflage 1990 in der Blauen Reihe als „Stick“)

Hinweise

Homepage von Elmore Leonard

Meine Besprechung von „Up in Honey’s Room“ (2007)

Meine Besprechung von „Gangsterbraut“ (The hot Kid, 2005)

Meine Besprechung von „Callgirls“ (Mr. Paradise, 2004)

Mein Porträt „Man nennt ihn Dutch – Elmore Leonard zum Achtzigsten“ erschien im „Krimijahrbuch 2006“

Elmore Leonard in der Kriminalakte

The Great Smokies Review: Ein Gespräch mit Joe Stinson (Fall 2009)

5 Responses to DVD-Kritik: „Sie nannten ihn Stick“

  1. […] Meine Besprechung der Leonard-Verfilmung “Sie nannten ihn Stick” (Stick, USA 1983) […]

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