Schimanski, Thiel und Boerne in Buchform

In den Achtzigern war Horst Schimanski der beliebteste Tatort-Kommissar. Heute dürfte das für das Team Frank Thiel/Karl-Friedrich Boerne gelten; – jedenfalls wenn man seinen Krimi nicht todernst mag, kann man sich durch neunzig Minuten lachen.

Auch „Tempelräuber“, das jetzt von Martin Schüller zu einem „Roman zum Film“ umgearbeitet wurde, hat einige Lacher. Das beginnt mit der Bemerkung von Staatsanwältin Klemm: „In dieser Stadt zählt ein toter Priester so viel wie zwei tote Bürgermeister. Oder drei tote Polizisten.“

Als sie erfährt, dass der in der Nacht von einem Auto überfahrene Geistliche Ludwig Mühlenberg, der Leiter des Sankt-Vincenz-Seminars, ist, meint sie nur: „Verdoppeln Sie alles, was ich gesagt habe.“

Es geht weiter mit dem Auftritt von Professor Karl-Friedrich Boerne in seinem Institut. Er wurde in der Nacht von dem Mörder überfahren und jetzt sind beide Arme gebrochen (Seltsamerweise hat er sich nicht weiter verletzt). Aber das hält ihn nicht von der Arbeit ab: „Ein paar Kratzer. Unbedeutende Frakturen. (…) Aber das wird mich nicht davon abhalten, meine Pflicht zu erledigen.“

Nur sind diese Szenen im Film witziger. Die rauchige Stimme von Mechthild Grossmann als Staatsanwältin, Der neben ihr kleine Axel Prahl als Kommissar Frank Thiel, dem die ganze Kirchensache als eingefleischtes Nordlicht am Arsch vorbeigeht.

Oder wenn Jan-Josef Liefers als snobistischer Professor Boerne einige Minuten später versucht mit zwei gebrochenen Armen eine Obduktion durchzuführen (geht natürlich nicht) und er alle Anwesenden wie seine persönlichen Diener behandelt (die davon natürlich nicht begeistert sind). Das ist im Buch – auch wenn man den „Tatort“ kennt und das sich lässig die Pointen zuschiebende Team aus Axel Prahl (Kommissar Thiel), Jan-Josef Liefers (Professor Boerne), Christine Urspruch (Silke ‚Alberich‘ Haller) und Mechthild Grossmann (Staatsanwältin Klemm) vor Augen hat – nicht so witzig.

Denn während die Filme vom Zusammenspiel der Schauspieler leben und so der Krimiplot zur Nebensache wird (Gibt es wirklich jemand, der diese Tatorte wegen des Plots sieht?), rückt er im Buch ins Zentrum. Der ist jedoch ein eher schwacher Whodunit mit einer ziemlich weit hergeholten Lösung.

Die einzelnen Verdächtigen (der Einbrecher, die geheimnisvolle Frau, der Nachfolger) werden eher pflichtschuldig abgehandelt. Die Geschichte wird vor allem mit einer gehörigen Portion absurden Humors und Kommissar Zufall vorangetrieben. So ist es im Film witzig, wenn bei der Tat nicht nur Professor Boerne überfahren wird, sondern auch das Taxi von Thiels Vater als Mordwaffe benutzt wird und dann spurlos verschwindet.

Im Buch liest sich das dann arg gewollt nach Drehbuchratgeber und rückt die Schwächen des Plots in den Mittelpunkt.

Moltke“ ist der neunzehnte Schimanski-Film und, abgesehen von dem Auftritt von Dieter Bohlen und seiner Musik (damals und heute: Würg.), ein guter „Tatort“, der den Sozialarbeiter Schimanski während der Weihnachtstage auf Hochtouren arbeiten lässt und, aus Schimanskis Sicht, eine zünftige Rachegeschichte im Gangstermilieu erzählt.

Der Hüne Zbigniew ‚Moltke‘ Pawlak saß neun Jahre im Knast. Er hatte zusammen mit drei Komplizen einen aus dem Ruder gelaufenen Überfall auf einen Supermarkt verübt. Ein Wachmann starb, Pawlaks Bruder erhielt einen Bauchschuss und wurde von einem der Verbrecher erschossen. Moltke blieb bei seinem Bruder, wurde verhaftet und verurteilt. Seine Komplizen verschwanden mit dem Geld. Moltke wartete schweigend auf seine Entlassung und jetzt, so nimmt Schimanski, der den Underdog Moltke ganz sympathisch findet, an, jetzt will Moltke sich rächen.

Schimanski versucht das Schlimmste zu verhindern.

War in „Tempelräuber“ der fehlende Humor und die nur leichte Überzeichnung der Charaktere störend, ist es bei der ebenfalls von Martin Schüller geschriebenen Romanversion von „Moltke“ genau umgekehrt. So wirkt Schimanski öfters wie ein trotziges kleines Kind und geistig, wenn Thanner ihm das Weltall erklärt, etwas beschränkt. Da war der „Tatort“-Schimanski wesentlich erwachsener. Schüller porträtiert eher den Schimanski aus der gleichnamigen, wesentlich schlechteren TV-Serie.

Am Ende der Geschichte, wenn Moltke den letzten seiner Komplize stellt und Schimanski zum letzten Mal versucht Moltke zu helfen, hätte Schüller sich weniger sklavisch an das Drehbuch halten können. Denn anstatt einfach die einzelnen Szenen aufeinander folgen zu lassen, hätte er, wie James Rollins in „Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels“, die Lücken zwischen den Szenen auffüllen können. So wird das Ende dieses ungewöhnlichen „Tatorts“ in Buchform etwas unrund.

Vielleicht wäre der Roman auch besser geworden, wenn Martin Schüller die Geschichte aus der Sicht Schimanskis in der ersten Person erzählt hätte. Damit hätte er an die Grundidee der ersten Schimanski-Tatorte angeknüpft, in denen der Film ausschließlich Schimanskis Sicht erzählt wurde.

Tempelräuber“ und „Moltke“ sind okaye „Bücher zum Film“, die aber beide Male hinter den Filmen zurückbleiben.

Zur zweiten „Tatort“-Lieferung aus dem Emons-Verlag gehören außerdem „Erntedank“ (mit Charlotte Lindholm), „Seenot“ (mit Klara Blum), „Bevor es dunkel wird“ (mit Charlotte Sänger und Fritz Dellwo) und „Vermisst“ (mit Lena Odenthalo und Mario Kopper).

Für September ist bereits die dritte Lieferung angekündigt: „Schwarzer Peter“ (mit Eva Saalfeld und Andreas Keppler), „Todesbrücke“ (mit Till Ritter und Felix Stark), „Das ewige Böse“ (mit Frank Thiel und Karl-Friedrich Boerne), „Das Phantom“ (mit Max Ballauf und Freddy Schenk), „Borowski und die einsamen Herzen“ (mit Klaus Borowski) und „Starkbier“ (mit Ivo Batic und Franz Leitmayr, ein grandioser „Tatort“ in dem Carlo Menzinger die Ermittlungen leitet).

Martin Schüller: Tempelräuber

Emons, 2010

160 Seiten

8,95 Euro

Vorlage

Tatort: Tempelräuber (D 2009)

Regie: Matthias Tiefenbacher

Drehbuch: Magnus Vattrodt

mit Axel Prahl, Jan Josef Liefers, Friederike Kempter, Christine Urspruch, Mechthild Grossmann, Claus Dieter Clausnitzer, Ulrich Noethen , Rosalie Thomass, Johanna Gastdorf, Wolf-Niklas Schykowski, Marita Breuer

Erstausstrahlung: 25. Oktober 2009 (Folge 745)

Martin Schüller: Moltke

Emons, 2010

160 Seiten

8,95 Euro

Vorlage

Tatort: Moltke (D 1988)

Regie: Hajo Gies

Drehbuch: Axel Götz, Jan Hinter, Thomas Wesskamp

mit Götz George, Eberhard Feik, Ulrich Matschoss, Chiem van Houweninge, Hubert Kramar, Iris Disse, Gerd Silberbauer, Wolfgang Preiss, Jan Biczycki, Jürgen Heinrich, Dieter Bohlen, Ludger Pistor

Erstausstrahlung: 28. Dezember 1988 (Folge 214)

Hinweise

Tatort-Fundus über Kommissar Thiel und Kommissar Schimanski

Horst-Schimanski-Fanseite

Kriminalakte: Gespräch mit Hejo Emons über die Tatort-Reihe

Kriminalakte: Tatort-Romane – zum Ersten (Oliver Wachlin: Blinder Glaube; Martin Schüller: Die Blume des Bösen)

Kriminalakte: Tatort-Romane – zum Zweiten (Martin Schüller: A gmahde Wiesn, Christoph Ernst: Strahlende Zukunft)

Kriminalakte: Tatort-Romane – zum Dritten (Martin Conrath: Aus der Traum…, Oliver Wachlin: Todesstrafe)

6 Responses to Schimanski, Thiel und Boerne in Buchform

  1. […] Meine Besprechung von Martin Schüllers Schimanski-Roman „Moltke“ […]

  2. […] Interview mit Martin Schüller über seine Tatort-Romane (u. a. „Moltke„, „A gmahde Wiesn“, „Die Blume des Bösen„, […]

  3. […] Krimis liest und für eingefleischte Tatort-Freunde ist dieses Buch ein Muss. Ausführlich hat auch AxelB auf seinem Blog Kriminalakte über Thiel und Boerne in Buchform […]

  4. […] Meine Besprechung von Martin Schüllers „Tatort“-Romanen „Moltke“ und &#8222… […]

  5. […] wie gut die Geschichte doch konstruiert ist. Martin Schüller tat das bei seinem Thiel/Börne-Roman „Tempelräuber“, dem dafür der Witz des Films […]

  6. […] Es gibt tatsächlich auch Bücher zu den Tatort-Folgen. Das Blog ‘Kriminalakte’ hat den Roman zu ‘Tempelräuber’ besprochen. […]

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