Als Mitveranstalter freue ich mich auf diesen Abend:
Am Samstag, den 4. September 2010, präsentieren das Filmkunst 66, die Humanistische Union, One World Berlin/realeyz.tv und Turbine Medien um 22.30 Uhr im Berliner Kino Filmkunst 66 Tobe Hoopers Debütfilm „The Texas Chainsaw Massacre“ nach vielen Jahren wieder auf der großen Leinwand. Die ungekürzte Fassung des Filmes ist seit 1985 aufgrund einer Indizierung und einem Verbot nicht in Deutschland zu sehen.
Nach der Filmvorführung diskutieren wir mit
Dr. Stefan Höltgen (Medienwissenschaftler, F.LM – Texte zum Film)
und
René Bahns (wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität, Promotion zum Thema „Indizierung von Filmen“)
über die filmhistorische und gesellschaftliche Bedeutung von „Texas Chainsaw Massacre“ und die bundesdeutsche Verbotspolitik bei Kunstwerken.
Die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union, das Menschenrechtsfilmfestival One World Berlin, die Independent Film Onlineplattform realeyz.tv und der DVD-Verlag Turbine Medien möchten mit dieser Filmvorführung den Weg zu einer Wiederaufnahme des Falls und zeitgemäßen Diskussion über den Film ebnen.
Einmal verboten, für immer im Giftschrank?
Eine Strafe ist irgendwann vorüber.
Ein Verbot besteht dagegen ewig.
Das musste die DVD-Firma Turbine Medien feststellen, als sie zum 35. Geburtstag des bahnbrechenden Horrorfilms „The Texas Chainsaw Massacre“ (Blutgericht in Texas, Das Texas Kettensägen-Massaker) eine filmhistorisch umfassende Edition für die deutschen Filmfans veröffentlichen wollte.
Denn das Original ist seit dem 23. Dezember 1985 verboten. Im Beschlagnahmebeschluss des Münchner Landgerichts 1 steht: „Der Film ‚Ketten-Sägen-Massaker‘ ist sicher kein Werk der Kunst, so dass bereits aus diesem Grunde auf die Bedeutung des Kunstvorbehalts des Art. 5 Abs. 3 GG nicht eingegangen zu werden braucht. Nach alledem stellt der Film weder eine Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte dar (§ 131 Abs. 2 StGB) noch zielt er auf das kritische Bewusstsein des Betrachters ab. Er liefert auch keinen Denkanstoß hinsichtlich der Problematik der Ursachen von grausamer Gewalt, sondern er versteht sich als Horrorfilm, der von brutalen und geschmacklosen Szenenfolgen lebt.“
Tobe Hooper und Kim Henkel erzählen in „The Texas Chainsaw Massacre“ eine typische Urbanoia-Fantasie: eine Gruppe Jugendlicher gerät in die Fänge einer Hinterwäldler-Familie, die sie umbringen und essen wollen. Was Hoopers billig gedrehtes Debüt von anderen Horrorfilmen unterscheidet, ist der erkennbare Bezug zu gesellschaftlichen Problemen, wie dem Vietnam-Krieg und der Massentierhaltung, die alptraumhafte, schwer zu ertragende Atmosphäre, die formale Geschlossenheit und das geschickte Spiel mit der Vorstellungskraft des Zuschauers. In den Kinos war der Film ein Hit. Die Einnahmen haben das Budget um das Fünfhundertfache übertroffen.
Inzwischen ist der Film Teil der ständigen Ausstellung des Museums of Modern Art in New York. Er wird allgemein als ein moderner Klassiker des Horrorfilms angesehen, Leatherface ist einer der legendärsten Filmbösewichte und die zahlreichen Fortsetzung, Parodien und Hommagen bestätigen immer wieder seinen Einfluss auf die Popkultur. Außerdem haben sich nach einem viertel Jahrhundert die Sehgewohnheiten geändert.
„Wir hatten sogar Angst, dass der Film, wenn er von der FSK geprüft wird, eine Ab-16-Freigabe erhält und jeder glaubt, dass es sich um eine gekürzte Version handelte“, sagt Christian Bartsch, Produktmanager bei Turbine Medien. Dem war nicht so. Denn, so mussten sie feststellen, wenn in Deutschland ein Film, ein Lied oder ein Buch wegen Gewaltdarstellungen (§ 131 StGB), Pornographie (§ 184 StGB), Volksverhetzung (§ 130 StGB) oder der Verletzung von Persönlichkeitsrechten (wie der Roman „Mephisto“ von Klaus Mann, der erst nach jahrelangen Gerichtsverhandlungen 1980 gedruckt werden durfte) verboten wird, dann ist es für immer verboten.
Die einzige Möglichkeit, ein solches Verbot aufzuheben ist, dass jemand den Film wieder veröffentlicht, jemand gegen diese Veröffentlichung klagt und dann ein Gericht die Klage ablehnt. Falls das Verbot bestätigt wird, muss der Verlag die DVDs abschreiben und auf den Müll werfen. Dieses Risiko wird natürlich – Ausnahmen bestätigen die Regel – nicht eingegangen und so bleiben in Deutschland verbotene Werke für immer verboten.
In Österreich und der Schweiz kann der Film dagegen ganz legal gekauft werden. Auch in anderen europäischen Ländern ist „The Texas Chainsaw Massacre“ legal und ungekürzt teilweise schon für Vierzehn- (Italien) und Fünfzehnjährige (Schweden, Dänemark) erhältlich. In Kanada dürfen Dreizehnjährige den Film sehen. Nur in Deutschland dürfen sogar Erwachsene den Film nicht sehen.
Einige Meinungen zum Film
„Hemmungslos sadistischer Horrorfilm mit nervtötendem Soundtrack, technisch wie inhaltlich gleichermaßen niveaulos.“ (Lexikon des internationalen Films)
„Dieser ekelhafte Kotzbrocken, den auch abgebrühte Zuschauer nur schwer verkraften können, ist in den USA zum Kultfilm geworden. (…) eine perfide Schlächterorgie.“ (Ronald M. Hahn/Volker Jansen: Lexikon des Horrorfilms, 1985/1989)
„The Texas Chainsaw Massacre thematisiert Gewalt nicht, sondern macht sie spürbar. Tobe Hooper analysiert nicht ihre Ursachen, sondern vermittelt die sinnliche Erfahrung mit ihr zu kollidieren.“ (Ulrich von Berg: Besondere Kennzeichen: Schlechter Geschmack – Tobe Hooper, das Genie des neuen Horrorfilms, in Michael Farin/Hans Schmid, Hrsg.: Ed Gein – A quiet man, 1996)
„Hoopers Debüt als universeller Albtraum ist bisher unübertroffen. (…) eine Unvermeidlichkeit, die sich in Hoopers Anwendung einer albtraumhaften Logik spiegelt, die Raum und Zeit in einem geschlossenen Kreis bildet; Leatherface ist ewig auf Sally Fersen, ohne sie jedoch auf ihrer Flucht einzuholen, und Sally entkommt bloß, um zu ihnen zurückgebracht zu werden. Trotz dieser umgedrehten Märchenmotive sieht das Ganze realistisch aus. Die vorgefundenen Locations und das körnige Filmmaterial (…) verleihen dem Film eine harte Glaubwürdigkeit, die von dem manchmal nervösen Schnitt noch unterstrichen wird. Der Humor – der Koch tadelt Leatherface wegen seines Vandalismus mit der Kettensäge – verstärkt nur den Horror, besonders in der makabren Essensszene. Der rhythmische Soundtrack und das immer präsente Kettensägengeheul hält die Spannung am Kochen bis zu Leatherfaces letztem Tanz. Ein Meisterwerk, leider nur mit eingeschränkter Freigabe.“ (James Marriott & Kim Newman: Horror – Meisterwerke des Grauens von Alien bis Zombie, 2006)
„Die filmhistorische Bedeutung von Tobe Hoopers Erstlingswerk kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. (…) Er bildet das Bindeglied zwischen Serienmörder- und Slasher-Film, tradiert Motive des einen, inauguriert Motive des anderen. Darüber hinaus ist er – das zeigt sich nicht zuletzt an den drei Sequels, dem Remake und dem Prequel, die ihm folgten – ein zentrales Werk des Serienmörderfilms bis heute, ein gleichermaßen erfolgreicher wie verabscheuter Film.“ (Stefan Höltgen: Schnittstellen – Serienmord im Film, 2010)
„Noch heute übt Tobe Hoopers The Texas Chainsaw Massacre aus dem Jahre 1974 einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf das Horrorgenre aus. (…) Aus heutiger Sicht wirkt sein Film auch wie ein zorniges Mahnmal, das sich mit den Vietnamkriegsängsten der zeitgenössischen Jugend auseinandersetzt. Der Film zeigt ein Amerika, das sich in eine Mordmaschine verwandelt hat, das seine eigenen Kinder frisst. (…) Endlich eine dem filmhistorischen Status entsprechende Veröffentlichung dieses bisher im deutschen Sprachraum nur verstümmelt erhältlichen Films.“ (Jörg Buttgereit: Der Mann mit der Säge [zur 35th Anniversary Edition des Films von Turbine Medien, epd Film 6/2010)
HInweise
Wikipedia über „The Texas Chainsaw Massacre“ (deutsch, englisch)

[…] Texas Chainsaw Massacre im Trailer from Hell Kaum kündige ich die Berlin Edition vom Texas Chainsaw Massacre an, erzählt Regisseurin Karyn Kusama (zuletzt „Jennifer’s Body“) bei […]
[…] Präsentation der DVD, mit anschließender Diskussion […]
[…] Infos zum Film und zur Veranstaltung. Bei Trailers from Hell gibt es den kommentierten Trailer und im Neuen Deutschland (Kira Taszman) […]