„Unknown Identity“: Vor dem Film war der Roman

März 21, 2011

Als der renommierte Biogenetiker Martin Harris in Paris an seiner Wohnungstür klingelt, öffnet ein fremder Mann die Tür und seine Frau Liz sagt, dass sie ihn nicht kenne.

Harris, der nach einem Autounfall einige Tage im Koma lag, glaubt zuerst an einen schlechten Scherz. Aber nachdem sogar die Polizei überzeugt ist, dass sein Nebenbuhler der echte Martin Harris ist und er einen psychischen Knacks habe, will er herausfinden, wer ihm sein Leben stehlen will. Seine einzige Verbündete ist Muriel, die Taxifahrerin, die ihm nach dem Unfall das Leben rettete.

Unknown Identity“ ist, wie das Buchcover und der deutsche Titel verraten, die pünktlich zum Filmstart übersetzte Romanvorlage von Didier van Cauwelaert, die für den Film kräftig geändert wurde.

Doch bleiben wir zunächst bei van Cauwelaerts kleinem Pulp-Thriller. Denn die Prämisse, dass ein Held ohne Gedächtnis herausfinden will, wer er ist und er dabei einer Verschwörung auf die Spur kommt, ist immer gut für einige spannende Stunden. Auch van Cauwelaerts mit etwas über zweihundert Seiten angenehm kurzem Krimi gelingt das. Gerade am Anfang gibt es einige grandiose Szenen, in denen Martin Harris seine Identität beweisen will. Bei der Polizei führt das zu einer ziemlich absurden Aufnahme seiner Anzeige. Oder, etwas später, sein Besuch bei seinem Kollegen Paul de Kermeur. Dort versucht er de Kermeur und Muriel von seiner Identität zu überzeugen. Als der falsche Martin Harris hinzukommt, entspinnt sich ein Rededuell in dem sie in Harris‘ Fachgebiet und seiner Familiengeschichte brillieren. Denn der echte und der falsche Martin Harris wissen alles über das Leben und die Arbeit von Martin Harris.

Im letzten Drittel, wenn Harris an seinem Verstand zu zweifeln beginnt, weitere Erinnerungen zurückkehren und ein von ihm angeheuerter Detektiv ihm überraschende Fakten aus seiner Vergangenheit präsentiert, verliert die Geschichte etwas an Schwung; – auch weil Harris keinen Schritt näher an die ziemlich unvermittelt präsentierte Lösung des Rätsel kommt und van Cauwelaert einige wichtige Fragen des Komplotts nur sehr rudimentär beantwortet.

Außerdem spielt „Unknown Identity“, obwohl der Krimi in Frankreich erst vor acht Jahren erschien, in einer anderen Zeit. Heute ist es einfach undenkbar, dass im Internet keine Bilder eines bekannten Botanikers zu finden sind und dass so einfach ein Doppelgänger die Stelle eines anderen einnehmen kann. Immerhin geht es nicht um einen profanen Identitätsdiebstahl (bei dem nur die elektronische Identität geklaut wird), sondern darum, dass die Bösewichter innerhalb weniger Tage ein ganzes Leben, bei dem es auch ziemlich viele öffentliche Auftritte auf Konferenzen und Tagungen gab, vollständig auslöschen.

Denn dass niemand den Unterschied zwischen dem echten und dem falschen Martin Harris sieht und dass niemand hinter die wahre Identität von Martin Harris kommt, ist für das Komplott absolut wichtig.


Für die Verfilmung wurde die Handlung, dank der hiesigen Filmförderung, von Paris nach Berlin verlegt, die Prämisse, einige Charaktere und die Erklärung für Martin Harris‘ Amnesie übernommen. Allerdings ist das Ende im Film wesentlich explosiver und der gesamte Film mit zahlreichen Morden, Schlägereien und Verfolgungsjagden zu Fuß und im Auto viel actionlastiger. Das ist zwar nicht besonders logisch und glaubwürdig (eigentlich sogar noch unglaubwürdiger als der Roman), aber ziemlich unterhaltsam. Und die Berlin-Bilder, inclusive einem Zusammenstoß mit einer Tram und einer Explosion im Hotel Adlon, erfreuen natürlich das lokalpatriotische Herz.

Didier van Cauwelaert: Unknown Identity

(übersetzt von Olaf Matthias Roth)

Aufbaut Taschenbuch, 2011

224 Seiten

9,95 Euro

Originalausgabe

Hors de moi

Editions Albin Miche, Paris 2003

Verfilmung

Unknown Identity (Unknown, Japan/Kanada/USA/Deutschland 2010)

Regie: Jaume Collet-Serra

Drehbuch: Oliver Butcher, Stephen Cornwell

LV: Didier von Cauwelaert: Hors de moi, 2003 (Unknown Identity)

mit Liam Neeson, Diane Kruger, January Jones, Aidan Quinn, Bruno Ganz, Sebastian Koch, Frank Langella, Stipe Erceg

Hinweise

Amerikanische Homepage zum Film

Deutsche Homepage zum Film

Film-Zeit über „Unknown Identity“

Homepage von Didier von Cauwelaert


TV-Tipp für den 21. März: Die verfilmten Kriminalromane

März 21, 2011

ARD, 10.20

Mord im Spiegel (GB 1980, R.: Guy Hamilton)

Drehbuch: Jonathan Hales, Barry Sandler

LV: Agatha Christie: The mirror crack´d from side to side, 1962 (Mord im Spiegel oder Dummheit ist gefährlich)

In St. Mary Mead soll ein historischer Stoff verfilmt werden. Aber schon beim Empfang des Bürgermeisters wird eine Sekretärin vergiftet. Miss Marple sucht den Mörder unter den Filmleuten.

Starbesetzte Miss-Marple-Verfilmung, mit Angela Lansbury, Geraldine Chaplin, Rock Hudson, Elizabeth Taylor, Tony Curtis, Edward Fox, Kim Novak

Hinweise

Homepage von Agatha Christie

Kirjasto über Agatha Christie

Wikipedia über Agatha Christie (deutsch, englisch)

Krimi-Couch über Agatha Christie

Arte, 14.45

Der zerrissene Vorhang (USA 1966, R.: Alfred Hitchcock)

Drehbuch: Brian Moore, Keith Waterhouse (ungenannt), Willis Hall (ungenannt)

Ein Physiker läuft in den Osten über. Allerdings nicht, um sein Land zu verraten, sondern um von einem Ost-Kollegen wichtige Informationen zu erhalten.

In den Sechzigern drehte Hitchcock zwei Spionagefilme. Doch „Der zerrissene Vorhang“ und „Topas“ zählen zu seinen schwächsten Werken: zu viele Charaktere, zu lahme Geschichte, einfach zu wenig Hitchcock und zu viel von einem starbesetzten Spionagefilm, für Menschen, die Filme gerne mit einer Flipchart ansehen.

Aus heutiger Sicht bietet „Der zerrissene Vorhang“ immerhin einige bekannte deutsche Schauspieler in einem Hitchcock-Film und einen hübschen Mord. Für zwei Stunden ist das aber zu wenig.

Brian Moore schrieb später unter anderem „Hetzjagd“, „Die Farbe des Blutes“ und „Es gibt kein anderes Leben“.

Mit Paul Newman, Julie Andrews, Lila Kedrova, Hansjörg Felmy, Wolfgang Kieling, Günther Strack

Hinweise

Wikipedia über Alfred Hitchcock (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von „Alfred Hitchcock präsentiert – Teil 1“

Meine Besprechung von „Alfred Hitchcock präsentiert – Teil 2“

Meine Besprechung von „Alfred Hitchcock zeigt – Teil 1“

Meine Besprechung von „Alfred Hitchcock zeigt – Teil 2

Meine Besprechung von Thily Wydras “Alfred Hitchcock”

Alfred Hitchcock in der Kriminalakte

Senses of Cinema (Ken Mogg) über Alfred Hitchcock

Arte, 20.15

Die Nacht des Jägers (USA 1954, R.: Charles Laughton)

Drehbuch: James Agee

LV: Davis Grubb: Night of the hunter, 1953

Ein dubioser Wanderprediger jagt zwei Kinder durch die Südstaaten. Sie wissen, wo die 10.000 Dollar aus einem Bankraub versteckt sind.

Country-Noir-Klassiker, der formal an den deutschen expressionistischen Film anschließt, und auch heute noch unglaublich spannend ist. Leider ist „Die Nacht des Jägers“ der einzige Film von Charakterdarsteller Laughton, mit Robert Mitchum als bösem Prediger

Wiederholung: Mittwoch, 23. März, 14.45 Uhr

ZDFneo, 21.00

Inspector Barnaby: Das Haus des Satans (GB 2002, R.: Peter Smith)

Drehbuch: Alan Plater

LV: Charaktere von Caroline Graham

Bei der Eröffnung des Horror-Themenparks „Haus des Satans“ wird der Hauptdarsteller Larry Smith von einer Bombe zerfetzt. Inspector Barnaby ermittelt.

Britenkrimi der netten Art.

Mit John Nettles, Daniel Casey

Wiederholung: Dienstag, 22. März, 03.25 Uhr (Taggenau!)

Eins Festival, 01.45

Donna Leon: Blutige Steine (D 2008, R.: Sigi Rothemund)

Drehbuch: Holger Joos

LV: Donna Leon: Blood from a Stone, 2005 (Blutige Steine)

Commissario Brunetti sucht den Mörder eines afrikanischen Straßenhändlers. Als das Innenministerium ihm den Fall entzieht, weiß Brunetti, dass hier etwas oberfaul ist.

Dank bewährter Kräfte hat sich beim Herrichten des vierzehnten Brunetti-Romans für das Puschenkino für die Fans nichts geändert.

Mit Uwe Kockisch, Karl Fischer, Julia Jäger, Michael Degen, Annett Renneberg, Christel Peters, Helmut Zierl, Rosel Zech, Gunnar Möller