Jürgen Kehrer meint „Fürchte dich nicht!“ vor Zecken

Es ist ein Kreuz mit den deutschen Polit-Thrillern. Eigentlich gäbe es, wie ein Blick in die Tageszeitung und etwas kriminelle Fantasie (was jeder Krimiautor haben sollte) zeigt, viel zu erzählen. Aber was ich in den vergangenen Jahren von deutschen Krimiautoren gelesen hatte, war dann doch, bis auf wenige Ausnahmen, enttäuschend, teils sogar ärgerlich. Und das liegt nicht daran, dass man bestimmte Geschichten in Deutschland nicht erzählen kann, sondern daran, wie die Geschichte erzählt wird.

Auch Jürgen Kehrers „Fürchte dich nicht!“ bleibt weit unter den Möglichkeiten, die die Prämisse bietet.

Ein Unbekannter hat den durch Zecken übertragenen FSME-Virus genetisch so verändert, dass die Infizierten keine Angst mehr verspüren und teilweise durch den Zeckenbiss auch sterben. Auf Norderney und an einigen anderen Orten gab es mehrere Fälle. Das ist besonders deshalb schlimm, weil auf Norderney in einigen Wochen ein Treffen der EU-Regierungschefs stattfinden soll. Einige werden sich schon jetzt fragen, warum der Bösewicht den Feldversuch mit seinen Zecken ausgerechnet an dem Ort durchführt, an dem er später zuschlagen will.

Aber irgendwo muss der Bösewicht ja mit seinen Untaten beginnen und so lernen wir auch den dorthin versetzte Kommissar Martin Geis kennen. Der erfüllt alles Bedingungen des Klischee-Kommissars: ein Superbulle, der strafversetzt wurde, nachdem er den Liebhaber seiner Frau (gleichzeitig sein Vorgesetzter) verprügelte, inzwischen allein lebend und mit einer ordentlichen Abneigung gegen die da oben ausgestattet; vor allem, wenn sie auf seiner Insel eine hoch gesicherte Tagung durchführen wollen. Dass er ziemlich schnell suspendiert wird und auf eigene Faust ermittelt, überrascht nicht.

Ihm zur Seite steht die Mikrobiologin Viola de Monti vom Bundesinstitut für Infektionskrankheiten (in der profanen Realität das Robert-Koch-Insitut), die als Wissenschaftlerin brillant, als Privatperson aber hoffnungslos verkorkst ist. Dennoch kommen die beiden sich näher (Liebesgeschichte muss sein). Auch sie wird in den Urlaub geschickt (Uhuh, warum schicken die Chefs ihre besten Angestellten immer dann in Urlaub, wenn sie sie doch gerade am Nötigsten brauchen?) und sie sucht auf eigene Faust weiter (Klar, was denn auch sonst?). Gemeinsam suchen die beiden Zwangsurlauber die Quelle. Ihre Ermittlungen führen sie nach Münster (aber sie treffen dort nicht auf den Kehrer erfundenen Privatdetektiv Wilsberg).

Das folgt alles brav den Konventionen des biederen deutschen TV-Krimis und der dort herrschenden Technikphobie. Denn obwohl „Fürchte dich nicht!“ heute spielt und auch Computer und Handys vorkommen, könnte die Geschichte genau so vor zwanzig Jahren, als Laptops noch exotisch waren, Mobiltelefone die Größe eines Reisekoffers hatten und das Internet die Phantasie durchgeknallter Science-Fiction-Autoren war, spielen.

Nachdem unsere beiden tapferen Helden das Haus des Bösewichts mit der Zeckenfarm entdeckt haben (so kurz vor Seite 200), gibt es einige überraschende Wendungen, die die Geschichte in eine episodenhafte Und-dann-Abfolge abgleiten lassen, die sich nicht mehr groß um einen schlüssigen Aufbau kümmert und, auch weil vom Autor nichts davon längerfristig vorbereitet wurde, zunehmend langweilt.

Denn nachdem Geis und de Monti die Zeckenfarm entdeckt haben, bewegt die Handlung sich nicht zielstrebig auf die Konfrontation zwischen den Guten und dem Bösewicht zu, sondern verirrt sich auf Nebenkriegsschauplätzen, das Tempo wird möglichst vollständig gedrosselt und auch die Gefahr vor dem tödlichen Virus ist vor der Tagung bereits gebannt (Nebenbei bemerkt sind Zecken ganz schlechte Krankheitsüberträger, weil sie passiv warten, bis ihr Opfer auftaucht.). Es ist für die Guten auch unklar, ob der Bösewicht wirklich auf der Tagung zuschlagen will (Ja! Immerhin haben wir den Prolog gelesen.), was das Ziel seines Angriffs und was sein Motiv ist. So bleibt der Bösewicht ein blasser Geselle. Und genau das sollte der Bösewicht nicht sein.

Kurz gesagt wurde in der zweiten Hälfte ungefähr alles, was die Spannung hätte steigern können, fast schon zwanghaft vermieden.

Jürgen Kehrer: Fürchte dich nicht!

Grafit, 2011

336 Seiten

9,99 Euro

Erstausgabe

Grafit, 2009

18,90 Euro

Hinweise

Homepage von Jürgen Kehrer

Wikipedia über Jürgen Kehrer

Meine Besprechung von Jürgen Kehrers „Wilsberg und die dritte Generation“

Jürgen Kehrer in der Kriminalakte

Bonusmaterial

 

One Response to Jürgen Kehrer meint „Fürchte dich nicht!“ vor Zecken

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