Neu im Kino/Filmkritik: Wer ist der Maulwurf? Oder „Dame, König, As, Spion“

Februar 1, 2012

Als vor etwas über zwanzig Jahren der Kalte Krieg mit einer Implosion des Ostblocks endete, verschwand auch der Spionagethriller von der Bildfläche. Denn jetzt konnten keine fantastischen Abenteuer von tapferen Westagenten, die die bösen Kommunisten besiegten, mehr geschrieben werden. Inzwischen gibt es, die Geheimdienste wurden ja auch nicht aufgelöst, zwar neue Spionagethriller, aber die alten Fronten und Gegner sind unwiderbringlich verschwunden. Die Themen sind geblieben.

 

Die Welt der Spione in meinen Büchern ist eine Metapher für die große Welt, in der wir alle leben. Wir beschummeln einander, belügen uns selbst, erfinden kleine Geschichten und schauspielern uns durchs Leben. Im Berufsleben, in der ganz normalen Welt ist das doch nicht viel anders. Ich glaube, dass ‚Dame, König, As, Spion‘ auch darum bis heute seine Wirkung nicht verfehlt. Als ich das Buch schrieb, wollte ich diese Universalität des Stoffes ausschöpfen und traf offenbar einen Nerv. Die Menschen wollten ihr Leben widergespiegelt sehen im Kontext einer Verschwörung. Das ist ein wiederkehrendes Muster zwischen den Menschen und den Institutionen, die sie erschaffen.

John le Carré

 

Jetzt hat Tomas Alfredson mit „Dame, König, As, Spion“, nach dem Roman von John le Carré, einen Agententhriller gedreht, der einerseits tief verwurzelt in den siebziger Jahren ist und andererseits aktueller kaum sein könnte. Denn die Welt der Geheimagenten, ihre Paranoia und ihre komplizierten Komplotte unterscheiden sich kaum von der Welt der globalen Konzerne und der Industriespionage. Damals wie heute geht es um Loyalität, Vertrauen und den Missbrauch von Vertrauen.

Denn in „Dame, König, As, Spion“ vermutet Control (John Hurt), dass es im Geheimdienst MI6 einen Maulwurf gibt. Er schickt 1973 Jim Prideaux (Mark Strong) in geheimer Mission nach Budapest. Dort soll ihm ein Überläufer verraten, wer im englischen Geheimdienst in führender Position für den KGB arbeitet. Aber das Treffen ist eine Falle. Prideaux wird erschossen. In London wird Control nach dieser fehlgeschlagenen und nicht genehmigten Aktion entlassen. Mit ihm muss sein engster Vertrauter, George Smiley (Gary Oldman), den Circus, wie der MI6 intern genannt wird, verlassen.

Kurz darauf wird Smiley zurückgerufen. Denn der zuständige Minister glaubt inzwischen, dass der Maulwurf keine paranoide Idee von Control war, sondern dass es ihn wirklich gibt. Smiley soll ihn finden. Zusammen mit Peter Guillam (Benedict Cumberbatch) beginnt er sich durch die alten Akten zu wühlen.

Verdächtigt werden von George Smiley der neue Circus-Chef Percy Alleline (Toby Jones), Einsatzleiter Bill Haydon (Colin Firth) und die hochrangigen Mitarbeiter Roy Bland (Ciarán Hinds) und Toby Esterhase (David Dencik).

Wie Alfredson dann diese Ermittlungen mit seinem Topensemble, nach einem straffen Drehbuch von Bridget O’Connor und Peter Straughan (der zuletzt in „Eine offene Rechnung“ bewies, dass er souverän seine Geschichte auf verschiedenen Zeitebenen erzählen kann), erzählt, ist großes und großartiges Kino. Die Drehbuchautoren haben sehr geschickt den doch etwas länglichen und teils eher verwirrend zu lesenden Roman von le Carré in eine stringente Form gebracht und sie erzählen die Wer-ist-der-Täter-Geschichte souverän zwischen der Filmgegenwart und der Vergangenheit wechselnd, die sich teils aus den Akten, teils aus den Erinnerungen von George Smiley und den Erzählungen von anderen Agenten in vielen Rückblenden zusammensetzt. Hoyte van Hoytema, der mit Alfredson bereits bei „So finster die Nacht“ zusammenarbeitete, fand dafür Bilder, die die Vergangenheit in all ihrer Banalität und auch Tristesse heraufbeschwört. Glamourös ist hier nichts.

Mit „Dame, König, As, Spion“ entführt Tomas Alfredson in die siebziger Jahre, die wahrscheinlich mehr nach den Siebzigern aussehen, als die Siebziger jemals nach den Siebzigern ausgesehen haben. Diese Brauntöne, die Farblosigkeit, das Vermuffte, die zu vollen Räume mit ihren Akten, die nur leicht modernisierten, funktionalen Vorkriegsbauten, die zeitlosen Anzüge, die wenigen Frauen, die nur als Sekretärinnen und Gespielinnen vorkommen, – das alles sind Bilder aus einer lange vergangenen Zeit, als die Geheimdienste sich noch als Vorkämpfer im Klassenkampf sahen. Und doch gab es immer Doppelagenten und Überläufer, wie Kim Philby, der Leiter der Gegenaufklärung des Britischen Geheimdienstes und zeitweiliger Anwärter für den Chefposten.

Durch die Inszenierung und auch wie einige Themen aus John le Carrés Roman im Film verstärkt werden, wird eine Brücke zur Gegenwart geschlagen. Denn die Welt des Circus ähnelt der Welt der Konzerne, in denen auch unklar ist, wer für wen arbeitet, gegeneinander intrigiert wird, Leute abgeworben werden und alle mit einer gehörigen Portion Paranoia arbeiten.

Und in der Männerwelt des Circus gibt es zwar Homosexualität, aber es wird nicht darüber geredet. Auch le Carré sagt es in seinem Roman nur in einigen, fast schon kryptischen Halbsätzen. Alfredson wird da in den Bildern, wenn ein Agent schnell seine Beziehung zu einem anderen Mann beendet oder am Ende des Films, deutlicher.

Deshalb hat mir Tomas Alfredsons „Dame, König, As, Spion“ als eigenständige, aber auch werktreue Interpretation des Romans viel besser als die Vorlage gefallen hat.

Die siebenteilige BBC-Verfilmung von 1980 mit Alec Guinness in der Hauptrolle, die ich noch nicht kenne, ist ebenfalls ein Klassiker, der allerdings bei uns, soweit ich weiß, nur einmal vor so dreißig Jahren gezeigt wurde und auch noch nicht auf DVD veröffentlicht wurde. Immerhin kann man sich die englische DVD leicht für wenig Geld besorgen.

 

 

Dame, König, As, Spion (Tinker, Tailor, Soldier, Spy, Großbritannien/Frankreich/Deutschland 2011)

Regie: Tomas Alfredson

Drehbuch: Bridget O’Connor, Peter Straughan

mit Gary Oldman, Colin Firth, Tom Hardy, John Hurt, Toby Jones, Mark Strong, Benedict Cumberbatch, Ciarán Hinds, David Dencik, Simon McBurney, Kathy Burke, Stephen Graham, Svetlana Khodchenkova, John le Carré (Komparse bei der MI6-Silvesterfeier; also genau aufpassen)

Länge: 127 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Vorlage

John le Carré: Tinker, Tailer, Soldier, Spy

Hodder and Stoughton, 1974

Deutsche Übersetzung von Rolf und Hedda Soellner

Kiepenheuer und Witsch, Köln, 1974

Seitdem erschien der Roman in zahlreichen Neuausgaben bei verschiedenen Verlagen.

Die aktuelle Ausgabe

John le Carré: Dame, König, As, Spion

(übersetzt von Rolf und Hedda Soellner)

(mit einem 1991 geschriebenem Vorwort von John le Carré, übersetzt von Werner Schmitz)

List, Berlin 2012

416 Seiten

9,99 Euro

Hinweise

Englische Homepage zum Film

Deutsche Homepage zum Film

Wikipedia über die Verfilmung „Dame, König, As, Spion“ (deutsch, englisch)

Film-Zeit über „Dame, König, As, Spion“

Rotten Tomatoes über „Dame, König, As, Spion“

Homepage von John le Carré

Meine Besprechung von John le Carrés „Geheime Melodie“ (The Mission Song, 2006)

Meine Besprechung von John le Carrés “Marionetten (A most wanted man, 2008)

Meine Besprechung von John le Carrés „Verräter wie wir“ (Our kind of traitor, 2010)

John le Carré in der Kriminalakte

 

 


DVD-Kritik: „Verdict Revised – Unschuldig verurteilt“, die zweite Runde

Februar 1, 2012

Inzwischen hat sich der Kurs von Universitätsprofessor Markus Haglund wohl soweit etabliert, dass er eine Mischung aus Forschungsprojekt und Pro-Bono-Anwaltskanzlei wurde. Jedenfalls suchen Haglund und seine Studenten Roger Andersson, Fia Jönsson, Belal Al-Mukthar und  Anna Sjöstedt, die inzwischen an ihrer Promotion arbeitet, immer noch nach Menschen, die wahrscheinlich unschuldig verurteilt im Gefängnis sitzen. Manchmal kommen die Fälle auch zu ihnen. Und dann versuchen sie den wahren Täter zu finden.
Die gut konstruierten Fälle der schwedischen Krimiserie „Verdict Revised – Unschuldig verurteilt“ (auch wenn für den krimierfahrenen Zuschauer der Täter oft ziemlich schnell offensichtlich ist) bieten einen ordentlichen Querschnitt durch die möglichen Delikte.
Meistens geht es natürlich um Mord, auch mal um fahrlässige Tötung, aber auch Vergewaltigung, Entführung, der Überfall auf ein Juweliergeschäft sind Straftaten mit denen Haglund und seine Studenten sich beschäftigen. Weil bereits von der Polizei ein Täter ermittelt und von einem Richter verurteilt wurde, scheiden die offensichtlichsten Spuren und Tatverdächtigen aus. Entsprechend überraschend entwickelt sich die Handlung, wenn in „Was ist los mit Markus?“ aus einem schnöden Überfall ein Familiendrama, oder in „Mutter hinter Gittern“ aus einer fahrlässigen Tötung wegen Tablettenmissbrauch ein ausgewachsenes Mordkomplott wird.
Auch in „Bücher und Mörder“ über eine ermordete Bestsellerautorin und „Der alte Mann und das Geld“ über einen ermordeten, vermögenden Geizhals und seinen spurlos verschwundenen Sohn, ist alles ganz anders, als es auf den ersten Blick scheint.
Gut, das ist für einen Krimi nichts außergewöhnliches, eher sogar eine Standardanforderung, aber hier sind den Machern von „Verdict Revised“ für eine 45-minütige Folge einige hübsche Plottwists gelungen.
Dagegen ist „In Todesangst“ erstaunlich schwach. Denn während der Geiselnahme verhalten sich alle doch etwas dumm. Der Geiselnehmer will nur mit Haglund reden. Die Geiseln, Roger, Fia, Belal und Tomas Thomén, der Institutsleiter und Punchingball von Haglund, verhalten sich, vor allem nachdem Fia angeschossen wird, merkwürdig passiv. Und die Polizei? Nun, sie belagert das Haus und der Einsatzleiter möchte es gerne auf die altmodische Art stürmen. Gut, dass Haglund am Ende auftaucht und in wenigen Sekunden die Situation entschärft. Das ist weder besonders glaubwürdig, noch spannend.
In der nächsten Folge „Der Tod macht Visite“ liegt Fia im Krankenhaus. Aber anstatt sich zu erholen, glaubt sie, dass ihre Zimmernachbarin ermordet wurde. Die Story ist zwar arg vorhersehbar, auch weil der Täter von Anfang an bekannt ist, aber dafür gibt es viel Krankenhaus-Atmosphäre und Fia und Roger kommen sich näher.
Im Gegensatz zur ersten Staffel, die gegen Ende zunehmend soapiger wurde, wird jetzt – zum Glück – fast vollkommen auf private Plots verzichtet und auch Haglund und seine Studenten sind meistens nicht persönlich in die Fälle involviert. Aber sie begeben sich mehrmals in Lebensgefahr. Mal wissentlich, mal unwissentlich.
Schade ist allerdings, dass Haglund in der zweiten Staffel von „Verdict Revised – Unschuldig verurteilt“ kaum noch auftaucht. Denn er ist, wundervoll garstig gespielt von Mikael Persbrandt (Kommissar Beck, In einer besseren Welt), der Grund, sich die Serie anzusehen. Aber in der zweiten, wieder aus zwölf Episoden bestehenden Staffel, schleicht er nur ab und zu durch sein Haus, bemüht sich möglichst stinkstiefelig zu sein und derangiert-betrunken auszusehen. Seine Rolle ist in fast allen Folgen so klein geraten, dass sie auch ohne Verluste wegfallen könnte.
Insgesamt ist „Verdict Revised – Unschuldig verurteilt“ eine grundsolide Serie, die sich, aufgrund ihrer Prämisse, etwas abseits der eingefahrenen Gleise bewegt und kurzweilig unterhält.
Nach dem momentanen Stand der Dinge endet die Serie mit diesen zwölf Fällen. Anscheinend waren die Kosten zu hoch und natürlich ist es schlecht, wenn der Hauptdarsteller die meiste Zeit durch Abwesenheit glänzt.

Verdict Revised – Unschuldig verurteilt: Staffel 2 (Oskyldigt dömd, Schweden 2009)
Erfinder: Johann Zollitsch
mit Mikael Persbrandt (Markus Haglund), Sofia Ledarp (Fia Jönsson), Helena af Sandeberg (Anna Sjöstedt), Francisco Sobrado (Belal Al-Mukthar), Leonard Terfelt (Roger Andersson), Marie Richardson (Ulrika Stiegler), Anja Lundkvist (Caroline Gustavsson), Magnus Mark (Tomas Thomén)

DVD
Edel:motion
Bild: Pal 16:9 (Widescreen)
Ton: Deutsch, Schwedisch (Dolby Digital 2.0 Stereo)
Untertitel: –
Bonusmaterial: –
Länge: 521 Minuten (4 DVDs)
FSK: ab 16 Jhare

Die Fallbesprechungen im zweiten „Verdict Revised“-Seminar
Lockvogel (Stora skuggan)
Regie: Daniel di Grado
Drehbuch: Thomas Borgström

Die Farbe des Todes (Alba Femina)
Regie: Daniel di Grado
Drehbuch: Thomas Borgström, Sara Heldt

Gefangen oder tot (Hotad Åklagare)
Regie: Daniel di Grado
Drehbuch: Thomas Borgström, Sara Heldt

Was ist los mit Markus (Nowak & Nowak)
Regie: Daniel di Grado
Drehbuch: Thomas Borgström, Sara Heldt

Mutter hinter Gittern (Goda grannar)
Regie: Niklas Ohlson
Drehbuch: Thomas Borgström, Sara Heldt

Bücher & Mörder (Stalkern)
Regie: Niklas Ohlson
Drehbuch: Thomas Borgström, Sara Heldt

Der Nigger (Kinnaberg)
Regie: Niklas Ohlson
Drehbuch: Thomas Borgström, Sara Heldt

In Todesangst (Gisslan)
Regie: Niklas Ohlson
Drehbuch: Sara Heldt

Der Tod macht Visite (Nattrond)
Regie: Richard Holm
Drehbuch: Thomas Borgström

Der alte Mann und das Geld (Pengafällan)
Regie: Richard Holm
Drehbuch: Thomas Borgström, Sara Heldt

Armes reiches Mädchen (Kidnapped)
Regie: Richard Holm
Drehbuch: Thomas Borgström, Sara Heldt

Mittsommertod (Okänt Vittne)
Regie: Richard Holm
Drehbuch: Thomas Borgström, Sara Heldt

Hinweise

Wikipedia über „Verdict Revised – Unschuldig verurteilt“ (deutsch, englisch, schwedisch)

ZDFneo über „Verdict Revised – Unschuldig verurteilt“

FAZ: Hannes Hintermeier über „Verdict Revised – Unschuldig verurteilt“ (18. Juli 2011)

Evolver: Marcel Feige über „Verdict Revised – Unschuldig verurteilt“ (30. Oktober 2011)

Meine Besprechung von „Verdict Revised – Unschuldig verurteilt: Staffel 1“


TV-Tipp für den 1. Februar: Sturm

Februar 1, 2012

Arte, 20.15
Sturm (Deutschland/Dänemark/Niederland 2009, R.: Hans-Christian Schmid)
Buch: Bernd Lange, Hans-Christian Schmid
Hannah Maynard führt vor dem Tribunal in Den Haag die Anklage gegen den bosnischen Serben und Kriegsverbrecher Duric. Als ihr Hauptzeuge sich in Widersprüche verwickelt, beginnt sie im ehemaligen Kriegsgebiet nach neuen Beweisen zu suchen.
Verdammt guter Politthriller
mit Kerrry Fox, Anamaria Marinca, Stephen Dillane, Rolf Lassgård, Alexander Fehling, Tarik Filipovic, Jesper Christensen

Hinweise

Homepage zum Film

Film-Zeit über „Sturm“

Berlinale: Pressekonferenz zu „Sturm“ (beginnt erst nach über zwölf Minuten)

Meine Besprechung von „Sturm“