Als Francois Truffaut überraschend am 21. Oktober 1984 starb, war er als Regisseur so bekannt, dass der Verleih mit dem „neuen Truffaut“ werben konnte und die Leute ins Kino gingen. Er war einer der großen französischen Regisseure, einer der Begründer der Nouvelle Vague, der seitdem konstant alle ein, selten zwei Jahre einen neuen Film inszenierte, der auch beim Publikum und den Kritikern ankam. Claude Chabrol drehte einen Krimi nach dem nächsten. Jean-Luc Godard, ein Freund aus den Anfangstagen der Nouvelle Vague, hatte sich damals vollkommen ins experimentelle Kino, mit einem sehr überschaubarem Publikum, zurückgezogen. Die anderen Begründer der Nouvelle Vague drehten auch eher für ein Nischen- oder Filmkunstpublikum; – falls ihre Filme überhaupt in den deutschen Kinos liefen.
Heute ist der am 6. Februar 1932 in Paris geborene Regisseur, abgesehen von seinem legendären Interviewbuch „Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?“ und seiner Rolle als Wissenschaftler in Steven Spielbergs „Unheimliche Begegnung der dritten Art“, fast vergessen. Zu selten laufen seine Filme im Fernsehen (obwohl Arte jetzt einige seiner Filme zeigt) und zu chaotisch ist die Veröffentlichungspolitik seiner Filme auf DVD: einige Filme gibt es nicht auf DVD, andere sind bei verschiedenen Firmen erschienen und teils nicht mehr erhältlich. Arthaus veröffentlichte jetzt ungefähr die Hälfte seiner Spielfilme, die einen großen und ziemlich umfassenden Einblick in sein Schaffen ermöglichen, auf zwei, verschieden zusammengestellten Boxen. Die meisten Filme sind auch einzeln erhältlich.
Truffaut begann, zusammen mit Claude Chabrol, Jean-Luc Godard, Eric Rohmer und Jacques Rivette, als Filmkritiker bei der „Cahiers du Cinema“ und drehte drei Kurzfilme. Mit seinem Regiedebüt, dem autobiographisch gefärbten Drama „Sie küssten und sie schlugen ihn“, wurde er 1959 gleich bekannt. Jean-Pierre Léaud, der jugendliche Darsteller von Antoine Doinel, dem Helden des Films, wurde auch bekannt und in den folgenden Doinel-Filmen wurde die Biographie des Filmcharakters immer ununterscheidbarer von Truffauts Biographie und von Léauds Leben. Insofern war die Rolle für Léaud Segen und Fluch zugleich und auch heute, über dreißig Jahre nach dem letzten Doinel-Film, ist Léaud für Filmliebhaber immer noch Antoine Doinel.
Truffauts war ein Fan der amerikanische Kriminalromane, die in der Schwarzen Serie erschienen. Schon sein zweiter Spielfilm „Schießen Sie auf den Pianisten“ (1960) war eine David-Goodis-Verfilmung, die sich allerdings mehr an der Nouvelle Vague und ihrer Verspieltheit, als am US-amerikanischen Film Noir orientierte.
Mit seinem dritten Spielfilm, dem Klassiker „Jules und Jim“ (1961), inszenierte er dann seinen ersten Liebesfilm (wobei natürlich alle seine Filme Liebesfilme sind), ein anfangs leichtes Drama über zwei Männer, die eine unabhängige Frau lieben.
In den folgenden Jahren pendelte er, mit einigen Einzelwerken, wie dem Science-Fiction-Film „Fahrenheit 451“ (1966), und zutiefst persönlichen Werken, wie „Das grüne Zimmer“ (1978), zwischen weiteren Doinel-Filmen, Noirs und Liebesdramen. Sein letzter Film „Auf Liebe und Tod“ (1983) fasste, ungewollt, sein Schaffen zusammen. Es ist eine locker erzählte, in Schwarz-Weiß gedrehte Hommage an den Film Noir und eine Liebeserklärung an die Frauen. Vor allem natürlich an seine Partnerin, die Hauptdarstellerin Fanny Ardant.
In der Dokumentation „Godard trifft Truffaut“ werden seine Jahre bei der Filmzeitschrift „Cahiers du Cinema“, seine ersten Jahre als Regisseur, seine Freundschaft zu Jean-Luc Godard und der endgültige Bruch der Freundschaft nach Truffauts Film „Die amerikanische Nacht“ (1973), ein starbesetzter Spielfilm über die Dreharbeiten für einen Spielfilm. Doch schon davor hatten sich ihre Wege getrennt. Jean-Luc Godard wurde nach „1968“ in seinen Filmen zunehmend politischer und löste sich immer mehr von den Erzählkonventionen. Truffaut dagegen drehte unpolitische und persönliche Filme, wie die Antoine-Doinel-Filme „Geraubte Küsse“ (1968) und „Tisch und Bett“ (1970), die historischen Filme „Der Wolfsjunge“ (1969) und „Zwei Mädchen aus Wales und die Liebe zum Kontinent“ (1971) und die überdrehte Krimi-Farce „Ein schönes Mädchen wie ich“ (1972). Das war oft gar nicht so weit vom klassischen Hollywood-Starkino und dem von ihnen in den fünfziger Jahren attackiertem französischen Film entfernt.
Emmanuel Laurent verrät in seiner spielfilmlangen Doku „Godard trifft Truffaut“ wenig über die Freundschaft der beiden Regisseure, die wahrscheinlich auch gar nicht so tief war, wie der Filmtitel suggeriert, sondern einfach nur das Zusammentreffen von zwei Filmbegeisterten, die zuerst gemeinsam Artikel schrieben und später, als Teil der Nouvelle Vague, sich manchmal gegenseitig halfen und natürlich die Werke der anderen in den Himmel lobten. Diese Freundschaft bleibt in dem Film, auch weil er keine psychologischen Erklärungen gibt und es von Truffaut und Godard keine Statements dazu gibt, immer eher eine Behauptung. Aber man erfährt einiges über die Ursprünge der Nouvelle Vague und ihre ersten Filme.
In den kommenden Tagen werfen wir einen genaueren Blick auf seine Spielfilme.
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Erwähnte DVDs
Godard trifft Truffaut – Deux de la Vague (Deux de la Vague, Frankreich 2009)
Regie: Emmanuel Laurent
Drehbuch: Antoine de Baecque
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DVD
Arthaus/Studiocanal
Bild: 1,78:1
Ton: Französisch (Stereo Dolby Digital)
Untertitel: Deutsch
Bonusmaterial: Kinotrailer, Kinoposter, Wendecover
Länge: 96 Minuten
FSK: ab 6 Jahre
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Viele Filme von Francois Truffaut gibt es in diesen Boxen
Arthaus/Studiocanal
Bild: verschieden
Sprachen/Ton: Deutsch, Französisch (Mono DD)
Untertitel: Deutsch
Bonusmaterial, das es meistens nicht auf den Einzel-DVDs gibt: Episodenfilm „Liebe mit zwanzig“ (Regie: Shintarô Ishihara, Marcel Ophüls, Renzo Rossellini und Andrzej Wajda, mit dem Doinel-Film „Antoine und Colette“), „Arbeit mit François Truffaut“ (1986, Regie: Rainer Gansera), Einführungen des Truffaut-Biografen Serge Toubiana, „Die Unverschämten“ 1957, Regie: Francois Truffaut, Kurzfilm), Probeaufnahmen von Jean-Pierre Léaud, Patrick Auffay und Richard Kanayan zu „Sie küssten und sie schlugen ihn“, Jean-Pierre Léaud bei der Cannes-Premiere von „Sie küssten und sie schlugen ihn“, Ausschnitt aus der Fernsehsendung „Cinéastes de notre temps: François Truffaut, dix ans, dix films“ (1970), Truffaut spricht über die ersten drei Teile des Zyklus, Ausschnitt aus der Fernsehsendung „Midi Magazine“ (1970), Aufnahmen von den Dreharbeiten zu „Tisch und Bett“, Ausschnitt aus der Fernsehsendung „Approches du cinéma: François Truffaut ou la Nouvelle Vague“ (1972), Ausschnitt aus der Fernsehsendung „Cinescope“ (1980), Ausschnitt aus der Fernsehsendung „Champ contrechamp“ (1981), Unterstützungsspot für Henri Langlois von François Truffaut und Jean-Luc Godard, Originaltrailer, 24-seitiges Booklet
Länge: 451 Minuten
FSK: ab 16 Jahre
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enthält: Auf Liebe und Tod, Die Frau nebenan, Geraubte Küsse, Jules und Jim, Die letzte Metro, Liebe auf der Flucht, Schießen Sie auf den Pianisten, Ein schönes Mädchen wie ich, Sie küssten und sie schlugen ihn, Die süße Haut, Tisch und Bett, Zwei Mädchen aus Wales und die Liebe zum Kontinent
Arthaus/Studiocanal
Bild: verschieden
Sprachen/Ton: Deutsch, Französisch (Mono DD)
Untertitel: Deutsch
Bonusmaterial (anscheinend identisch mit den Einzel-DVDs): Kurzfilme „Antoine und Colette“ und „Die Unverschämten“, Einführungen des Truffaut-Biografen Serge Toubiana, Probeaufnahmen der Jungdarsteller zu „Sie küssten und sie schlugen ihn“, Kameratest mit Marie Dubois und Charles Aznavour zu „Schießen Sie auf den Pianisten“, Unterstützungsspot für Henri Langlois von François Truffaut und Jean-Luc Godard zu „Geraubte Küsse“, Unveröffentlichte Szene zu „Die letzte Metro“, Trailer, Wendecover
Länge: 1211 Minuten
FSK: ab 16 Jahre
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Hinweise
Wikipedia über Francois Truffaut (deutsch, englisch, französisch)
[…] Erster Teil meines Francois-Truffaut-Porträts (mit einer Besprechung von Emmanuel Laurents “G… […]
[…] Erster Teil meines Francois-Truffaut-Porträts (mit einer Besprechung von Emmanuel Laurents “Godar… […]