Herr Juretzka, ist jetzt „Sense“ für „Platinblondes Dynamit“?

Die böswillige Interpretation von „Platinblondes Dynamit“ ist, dass Jörg Juretzka von seinem Verlag den Befehl bekam, seinen Helden Kristof Kryszinski einzumotten und, weil sich das besser verkauft, Krimis mit einer Heldin zu schreiben.

Die gutwillige Interpretation ist, dass Jörg Juretzka einfach seinen Spaß haben wollte und dafür in „Platinblondes Dynamit“ dem Affen mächtig Zucker gegeben hat.

Für diese Interpretation spricht, dass unlängst der zweite Kryszinski-Krimi „Sense“ neu aufgelegt wurde. Dieses Mal in der „metro“-Reihe des Unionsverlags. Und wenn es keine Leser für die chaotischen Ermittlungen des Ruhrpott-Privatdetektivs gäbe, würde auch kein Verlag einen zwölf Jahre alten Krimi neu auflegen.

Und das ist, um unseren Hauptstadt-Bürgermeister zu zitieren, auch gut so. Denn „Sense“ ist ein waschechter Kryszinski. Der Detektiv soll den Duisburger Spielautomaten-König Sascha ‚Pascha‘ Sentz finden. Er tut’s und, nachdem er schon während der Suche nach Sentz, tatkräftig unterstützt von seinem Kumpel Scuzzi (mehr Drogen als Verstand), ordentlich becherte, er Sentz nach einer Odyssee durch die Lokale und Spielsalons des Ruhrpotts zufällig an einer Theke (Wo sonst?) getroffen hat und sie gemeinsam weitersoffen, wacht Kryszinski am nächsten Tag, immer noch betrunken, in seiner Wohnung neben der Leiche von Sentz auf. Seine Lieblingskommissare Menden und Hufschmidt, die ihn wie die Pest hassen, halten ihn für den Mörder.

Also muss Kryszinski den wahren Mörder finden und er hat auch gleich einen Topverdächtigen, der sich für die Tat vor allem dadurch qualifiziert, dass er von Kryszinski viel Geld, das der ständig abgebrannte Privatermittler nicht hat, will.

Sense“ ist nach „Prickel“ der zweite Roman mit Kristof Kryszinski und der Humor, der die späteren Kryszinski-Romane zu einem Lesevergnügen macht, ist schon da. Aber das Plotting ist ärgerlich nachlässig. Denn letztendlich regelt, während unser Held von einem Fettnapf in den nächsten stolpert, Kommissar Zufall immer wieder alles. Den Rest übernehmen gewagte Annahmen des Helden, die vollkommen aus der Luft gegriffen sind und sich letztendlich, trotzdem, als irgendwie richtig entpuppen, aber sogar einen Edgar-Wallace-Film als Meisterwerk der Logik erscheinen lassen. In den neuesten Kryszinski-Fälle hat Jörg Juretzka sich, zum Glück, wesentlich mehr Gedanken über die Handlung gemacht.

In „Platinblondes Dynamit“ gibt er dem Affen Zucker. Denn wie eine Srewball-Comedy lebt dieser Krimi über den Groschenromanautor Folkmar Windell, der als Will B. Everhard die in den vierziger Jahren in New York spielenden Jack-Knife-Krimis schreibt und jetzt Jack Knife durch eine Heldin ersetzen soll, von seiner Geschwindigkeit.

Widerwillig und mit der Hilfe eines aus dem Internet gezogenen Schreibprogramms (das ihm ein Scuzzi-artiger Freund empfohlen hat) erfindet Windell mit Pussy Cat eine Heldin, die, nun, Jack Knife mit Titten ist.

Pussy Cat gelangt aus der Windells Romanwelt in das heutige Köln. Dort setzt sie ihre Mission, die Suche nach dem Roosveldt-Diamant, „ein Stein von solchem Feuer, dass er selbst im Schwarz-Weiß als rosa zu erkennen gewesen war“, fort und hinterlässt eine Spur der Verwüstung, die Jack Knife nicht besser hinbekommen hätte..

Ach ja, und wenn Windell Pussy Cat (die aus ihrer Sicht supersexy, aus Sicht der anderen nur der hässliche Windell mit nicht passender Perücke ist) nicht rechtzeitig findet, hat Hermine Inaway (so sein Pseudonym für den ersten Pussy-Cat-Roman) ein Problem an der Backe, das im Kleingedruckten des Programms versteckt war.

Und das sind nur die Verwicklungen auf den ersten Seiten von „Platinblondes Dynamit“, das seine Absurditäten und Unglaubwürdigkeiten durch hohes Tempo ausgleicht. In diesem Alptraum eines Schriftstellers, der auch einige schöne Querverbindungen zu Juretzkas Kristof-Kryszinski-Krimis hat, darf es keine Sekunde zum Nachdenken geben – und genau solange ist „Platinblondes Dynamit“ pures Dynamit.

Jörg Juretzka: Platinblondes Dynamit

Pendragon, 2012

272 Seiten

13,95 Euro

Jörg Juretzka: Sense

Unionsverlag, 2012

288 Seiten

9,95 Euro

Erstausgabe

Rotbuch Verlag, 2000

Hinweise

Krimi-Couch über Jörg Juretzka

Lexikon der deutschen Krimiautoren über Jörg Juretzka

Kaliber .38 interviewt Jörg Juretzka (2002)

Literaturschock interviewt Jörg Juretzka (2003)

Alligatorpapiere: Befragung von Jörg Juretzka (2004)

2010LAB interviewt Jörg Juretzka (2010)

Meine Besprechung von Jörg Juretzkas „Bis zum Hals“ (2007)

Meine Besprechung von Jörg Juretzkas „Rotzig & Rotzig“ (2010)

Meine Besprechung von Jörg Juretzkas „Freakshow“ (2011)

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