Manchmal ist die Geschichte zu einem Film interessanter als der Film.
Bei „Nairobi Half Life“ geht die so: Die Filmproduktonsfirma „One Fine Day Films“, zu deren Gesellschaftern Tom Tykwer („Lola rennt“, demnächst „Der Wolkenatlas“) gehört, will, zusammen mit der Deutsche Welle Akademie, Impulse für den zeitgenössischen afrikanischen Film, der irgendwo zwischen nicht vorhanden und international nicht bekannt schwankt, geben. Dafür geben sie Workshops, in denen Filmprofis in Buch, Regie, Kamera, Produktion, Szenebild, Ton, Schnitt und Schauspiel Workshops abhalten und mit den Teilnehmern Filme drehen.
Der Spielfilm„Nairobi Half Life“ entstand nach einem Ende September 2010 gehaltenem zweiwöchigen Kurs mit 57 Teilnehmern aus fünf afrikanischen Ländern. Sie wurden in sieben verschiedenen Gewerken unterrichtet und drehten Kurzfilme. Nach dem Kurs wählten die Lehrer, Vertreter der DW Akademie, One Fine Day Films und Ginger Ink. aus den Kursteilnehmern die Nachwuchstalente aus, die gemeinsam einen Spielfilm drehen sollten. Sie drehten mit einem offensichtlich arg überschaubarem Budget den Gangsterfilm „Nairobi Half Life“, der aus dem Leben der Beteiligten, ihren Sorgen und Nöten, entstand und aktuelle Probleme Afrikas, hier im Besonderen von Kenia, reflektiert.
Das ist ein ehrenwertes Anliegen und gegen Talentförderung kann niemand ernstlich etwas haben, aber eine Garantie für einen guten Film ist das nicht.
Auch der Filmplot ist auf den ersten Blick altbekannt: ein Junge vom Land geht in die große Stadt. Er will Karriere machen – und wird zum Verbrecher.
Aber Debüt-Regisseur Tosh Gitonga und die Autoren Sehra Mwihaki, Charles ‚Potash‘ Matathia und Samuel Munuene benutzen diese Geschichte nur als roten Faden, um ein ziemlich ernüchterndes Bild von Kenia und der Hauptstadt Nairobi zu zeichnen. Denn Mwas ist ein Sonnyboy, der in seinem Dorf illegal gebrannte DVDs von Hollywood-Blockbustern verkauft und gerne Schauspieler werden möchte. Als eine Theatergruppe aus Kenia bei ihnen auftritt, bemerkt die Gruppe, weil er in einer Pause eine Improvisation macht, sein Talent. Er solle nach Kenia kommen und in Theater vorsprechen.
Kaum in Kenia angekommen, wird Mwas ausgeraubt. Seine Habseligkeiten und die Hehlerware, die er in einem Elektronikladen abgeben sollte, sind weg. Kurz darauf wird er von der Polizei verhaftet. Im Gefängnis lernt er einen Bandenführer kennen, der ihn ins Herz schließt, weil Mwas das Säubern der vollkommen versifften Gefängnistoilette (eine Kloake ist dagegen sauber) in einem Akt des Widerstandes benutzt, um als Sänger zu brillieren.
Während Mwas immer mehr in das Kleingangsterleben abrutscht, verfolgt er allerdings auch seinen Traum weiter und es gelingt ihm im Theater die Hauptrolle in einem systemkritischen Stück zu bekommen. Während der Proben befreundet er sich mit einem aus Nairobis besseren Kreisen kommendem Schauspielerkollegen und es wird immer deutlicher, dass er sich für ein Leben entscheiden muss.
Jetzt hat auch Afrika seine ganz eigene Version von Martin Scorseses „Hexenkessel“ und
Fernando Meirelles/Kátia Lunds „City of God“: ein mitreisendes, hochenergentisch erzähltes Gangsterdrama, das starke Charaktere hat, präzise in seiner Milieuzeichnung ist, auch die gesellschaftlichen und ökonomischen Rahmenbedigungen einbezieht, so auf Missstände aufmerksam macht, ohne in einen larmoyant-anklägerischen Duktus zu verfallen. „Nairobi Half Life“ ist im besten Sinne, großes, unterhaltsames Kino, bei dem wir mit den Charakteren mitfiebern und ihre Handlungen verstehen, auch wenn wir sie nicht gutheißen können.
Tosh Gitonga erzählt seine Geschichte in pointierten Szenen und mit einem Ende, das zum Weiterdenken anregt.
Oft ist der Film eben doch interessanter als die Geschichte hinter dem Film.
Nairobi Half Life (Nairobi Half Life, Kenia/Deutschland 2012)
Regie: Tosh Gitonga
Drehbuch: Sehra Mwihaki, Charles ‚Potash‘ Matathia, Samuel Munuene
mit Joseph Wairimu, Olwenya Maina, Nancy Wanjiku Karanja, Mugambi Nthiga, Paul Ogola, Anthony Ndung’u
Länge: 96 Minuten
FSK: ab 12 Jahre
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Die Benefizpremiere ist in Berlin am Mittwoch, den 10. Oktober, um 20.00 Uhr im Kino International mit Tosh Gitonga (Regisseur), Joseph Wairimu (Hauptdarsteller), Tom Tykwer & Sarika Hemi Lakhani (Produzenten One Fine Day Films), Ginger Wilson (Produzentin Ginger Ink) und Marie Steinmann (Initiatorin One Fine Day Films).
Die Kinotour mit dem Regisseur Tosh Gitonga und Hauptdarsteller Joseph Wairimu (wurde beim Durban International Film Festival als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet):
Donnerstag, 11. Oktober: Lübeck, Kino Koki, 20:30 Uhr
Freitag, 12. Oktober: Hamburg, Abaton, 20:00 Uhr
Sonntag, 14. Oktober: Oldenburg, Cine k, 11:00 Uhr
Sonntag, 14. Oktober: Bielefeld, Kamera, 19:00 Uhr
Montag, 15. Oktober: Münster, Cinema, 20:00 Uhr
Dienstag, 16. Oktober: Bonn, Bonner Kinemathek, 19:00 Uhr
Mittwoch, 17. Oktober: Köln, Filmforum NRW, 19:00 Uhr
Donnerstag, 18. Oktober: Tübingen, Arsenal Kino, 19:45 Uhr
Freitag, 19. Oktober: Heilbronn, Universum-Arthaus Kinos, 20:00 Uhr
Samstag, 20. Oktober: Freiburg, Kino Koki, 19:30 Uhr (außerdem mit Produzentin Sarika Hemi Lakhani und Projektkoordinatorin Roshanak Khodabakhsh)
Sonntag, 21. Oktober: Stuttgart, Atelier am Bollwerk, 15:30 Uhr
Montag, 22. Oktober: München, City Kinos, 19:00 Uhr
Dienstag, 23. Oktober: Würzburg, Central Programmkino, 18:00 Uhr
Mttwoch, 24. Oktober: Nürnberg, Cinecitta, 20:00 Uhr
Freitag, 26. Oktober: Leipzig, Passage, 19:30 Uhr
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Hinweise
Wikipedia über „Nairobi Half Life“
Homepage von One Fine Day Films
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Und jetzt gibt es noch ein aktuelles 90-minütiges Gespräch mit Tom Tykwer über das Kino, seine Filme und „Nairobi Half Life“

Ich hatte vor einer Weile über den kenianischen Film “Nairobi Half Life” berichtet, der mich so fasziniert hat und einen relativ guten Einblick in das Leben eines ärmeren Jungen in Nairobi gibt, aber auch allgemein viel von der Stadt zeigt.
[…] die Macher von „Nairobi Half Life“ (toller Gangsterfilm) und „Die Wand“ (bebildertes Hörspiel eines Romans) noch aus dem […]