DVD-Kritik: „Nach der Revolution“ zeigt Ägypten abseits der Schlagzeilen

 

Bei der DVD-Veröffentlichung von Yousry Nasrallahs „Nach der Revolution“ habe ich ja auf ausführliches Bonusmaterial gehofft. Aber zuerst einmal meine sprachlich leicht korrigierte Besprechung zum Filmstart:

Was wissen wir von Ägypten? Außer Pyramiden, Nilstaudämme (aus dem Schulunterricht) und die Bilder von einer friedlichen Revolution 2011. Da versammelten sich Tausende auf dem Tahrir-Platz und demonstrierten gegen das Mubarak-Regime. Am 11. Februar 2011 trat Husni Mubarak nach einer fast dreißigjährigen Regentschaft zurück und es gab eine Abstimmung über eine neue Verfassung. Danach verschwand Ägypten wieder aus den Schlagzeilen und wir erinnern uns kaum noch an die damals gelesenen Artikel und wackeligen YouTube-Videos.

In genau diese Wahrnehmungslücke springt „Nach der Revolution“ von Yousry Nasrallah, der seine Premiere während des 2012er Cannes-Filmfestivals hatte und zwischen 2. Februar 2011, der „Schlacht der Kamele“ auf dem Tahrir-Platz, und dem 9. Oktober 2011, dem „Schwarzen Sonntag“, bei dem die Demonstrationen mit 34 Toten und mehreren Dutzend Verletzten endeten, spielt und während der Ereignisse gedreht wurde. Dabei wollte Yousry Nasrallah 2011 eigentlich einen anderen Film drehen. Alles war drehbereit als die Revolution begann und er beschloss, einen Film darüber zu drehen. Entsprechend improvisiert und spontan entstand das Drehbuch; – mit einer vernachlässigbaren Geschichte. Wenn man will, kann man sagen, dass „Nach der Revolution“ die unglückliche, weil letztendlich unerfüllte Liebesgeschichte von Reem, einer jungen, modernen Frau, zu Mahmoud, einem Beduinen, erzählt und würde die Qualitäten des Films um Galaxien verfehlen. Denn Reems Schwärmerei dient nur dazu, ein Bild von Ägypten vor zwei Jahren zu zeichnen. So ist Reem eine junge, engagierte, in der Werbung arbeitende Frau, die an die Revolution glaubt. Sie möchte Veränderungen. Je schneller, desto besser. Sie redet wie ein Wasserfall, ist ungeduldig und mischt sich – ungefragt – ein. Als sie mit ihrer Freundin Dina nach Nazleem El-Samman fährt, die dort streng rationiertes Futter an die Pferde der notleidenden Beduinen verteilt, sieht sie, wie Mahmoud kein Essen für sein Tier bekommt. Er gehörte zu den Beduinen, die am 2. Februar auf dem Tahrir-Platz waren und die dort die Demonstranten niederknüppelten. Die Bilder gingen via YouTube um die Welt. Jetzt wird er von den anderen Beduinen geschnitten, weil er von seinem Pferd fiel und weinte. Zwei Dinge, die gegen die Beduinenehre verstoßen.

Am Abend sieht sie Mahmoud wieder auf einem von Mubaraks lokalem Statthalter und Großgrundbesitzer ausgerichtetem Reiterfest, auf dem der beste Reiter prämiert wird. Mahmoud darf nicht auf seinem Pferd vortanzen. Er tut es allein auf dem Vorplatz, wird von Reem mit ihrer Kamera gefilmt, entdeckt sie und langsam entwickelt sich eine Beziehung zwischen den beiden, die dazu führt, dass Reem die ihr vollkommen fremde Welt der Bewohner von Nazleem El-Samman kennen lernt. Sie verdienten als folkloristische Touristenführer gutes Geld. 2002 wurde eine Mauer zwischen den Pyramiden von Gizeh und Nazlet El-Samman erbaut, um dort ein Tourismus-Zentrum zu erbauen. Seitdem verarmen sie zusehends. Gleichzeitig verklären sie ihre Vergangenheit als Beduinen.

Reem versucht Mahmouds Familie zu helfen.

Die Schnelligkeit des improvisierten Drehs und der Premiere in Cannes, wenige Wochen nach dem Ende der Dreharbeiten, lassen jede Kritik als kleinkrämerisch erscheinen. Denn gerade diese fast schon teilnehmende Beobachtung der Ereignisse ist die Stärke des Films. „Nach der Revolution“ punktet da, wo ein Dokumentarfilm versagen muss. Nämlich bei dem ungeschönten Blick in die Wirklichkeit, bei der Darstellung der Unterschiede zwischen den Schichten und Gruppen und der Machtstrukturen. Denn in Interviews stellt man sich immer im positiven Licht dar. Man sagt einiges nicht vor laufender Kamera. Man hätte gegen bestimmte Passagen Einwände. Aber in einem Hintergrundgespräch oder einer Diskussion für einen Film, auch wenn das Gespräch dann fast unverändert verwandt wird, ist das etwas anderes. Und bei den Dreharbeiten spielt man ja immer eine Rolle. Man ist zwar Reiter in Nazlet El-Samman, aber man ist nicht dieser Reiter in dem Film.

Yousry Nasrallah bedient sich der Fiktion, um die Wirklichkeit zu zeigen. Deshalb wird man wohl keinen besseren und genaueren Einblick in das Ägypten des Jahres 2011 bekommen. „Nach der Revolution“ zeigt die Utopien, wie die Menschen zusammen kamen und die Probleme in der ägyptischen Gesellschaft. Vor allem die riesigen ökonomischen Unterschiede, die strukturellen Machtstrukturen und wie sie sich in den Handlungen der Menschen widerspiegeln und die verschiedenen Wertvorstellungen zwischen einer aufgeklärten-städtischen und einer ländlich-archaischen Gesellschaft. Wobei Mahmouds Frau Fatma erstaunlich emanzipiert ist. Sie ist als zweifache Mutter fast schon emanzipierter als Reem, die nach einer unglücklichen Liebe auch einen neuen Freund sucht.

Nach der Revolution“ endet am 9. Oktober 2011. Alle Charaktere haben sich etwas verändert – und wir verstehen nach den zwei Filmstunden die Ereignisse in Ägypten besser.

Jetzt, über ein halbes Jahr, nachdem ich den Film im Kino sah, habe ich dem nichts hinzufügen. Außer der wiederholten Empfehlung, sich unbedingt den dokumentarischen Film anzusehen.

Leider wurde bei der DVD auf jegliches Bonusmaterial verzichtet. Und dabei hätte es, auch ohne weitere Ausgaben, einiges gegeben: zum Beispiel das informative Presseheft oder eine der Pressekonferenzen zum Film.

Nach der Revolution - DVD-Cover - 4

Nach der Revolution (Baad el Mawkeaa/After the Battle, Frankreich/Ägypten 2012)

Regie: Yousry Nasrallah

Drehbuch: Yousry Nasrallah, Omar Shama

mit Menna Shalabi, Bassem Samra, Nahed El Sebaï, Salah Abdallah, Phaedra, Abdallah Medhat, Momen Medhat

DVD

Polyband

Bild: 1,85:1 (16:9)

Ton: Deutsch, Arabisch (Dolby Digital 5.1)

Untertitel: Deutsch

Bonusmaterial: –

Länge: 122 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Film-Zeit über „Nach der Revolution“

Moviepilot über „Nach der Revolution“

Rotten Tomatoes über „Nach der Revolution“

 Wikipedia über „Nach der Revolution“ (englisch, französisch)

Süddeutsche Zeitung: Interview mit Yousry Nasrallah über “Nach der Revolution”

YouTube-Kanal von Yousry Nasrallah

Meine Besprechung von Yousry Nasrallahs „Nach der Revolution“ (Baad el Mawkeaa/After the Battle, Frankreich/Ägypten 2012)

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