„Der Dokumentarfilm ist tot, es lebe der Dokumentarfilm“ – aber wie?

Leitner-Sorg-Sponsel HRSG Der Dokumentarfilm ist tot - 2

In den Kinos laufen immer mehr Dokumentarfilme. Im Fernsehen werden dagegen die spielfilmlangen Dokumentarfilme im Nachtprogramm und in Spartensendern versteckt (Wissen Sie, wo auf ihrer Fernbedienung ZDFinfo ist?). Auf YouTube und anderen, deutlich unbekannteren Plattformen gibt es beachtliche Dokumentarfilme mit unklaren Gewinnaussichten für die Macher. Wie steht es also um den Dokumentarfilm?

In ihrem Sammelband „Der Dokumentarfilm ist tot, es lebe der Dokumentarfilm“ versuchen Matthias Leitner, Sebastian Sorg und Daniel Sponsel diese Frage für Deutschland zu beantworten und dank der Einzelbeiträge, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven dem Thema nähern, entsteht auch ein vielfältiges Bild.

Es gibt historische Überblicke, theoretische Annäherungen, Praxisberichte und Wissenswertes über die Finanzierung durch Crowdfunding, rechtliche Probleme und Gedanken zu Verbreitungsmöglichkeiten im Internet; soweit die Regisseure die Rechte an ihren Filmen haben.

Besonders interessant sind dabei die historischen Rückblicke („Der Dokumentarfilm – Die Kunst der Stunde“ von Daniel Sponsel und „Dokufiktion – Hybride Formen als Chance“ von Kay Hoffmann), die Einblicke in die Arbeit („Making of ‚Heimat‘ – Ein Werkstattbericht“ von Jörg Adolph und „Tanzende Zwerge. 3D und das Realismusproblem“ von Wim Wenders und Daniel Sponsel), Frédéric Jaegers „Neue kritische Praxis für neue Medien?“ und, wenn man sich für die finanzielle Seite interessiert, die fünf Texte, die sich mit der Finanzierung und Distribution beschäftigen.

Bei den theoretischen Texten, in denen versucht wird, aufzuzeigen, wie sich der Dokumentarfilm wirklich verändert und wo die wirklichen Potentiale dieser Veränderungen liegen, war mir dagegen der Punkt, der die neuen Dokumentarfilme von den alten Dokumentarfilmen unterscheidet, teils unklar und ich fragte mich immer wieder, ob eine Hinwendung zu einem nicht-linearem, einem gamifiziertem und einem Erzählen mit den Zuschauern wirklich ein Fortschritt ist oder ob nicht einfach durchaus begrüßenswerte Experimente mit gut klingenden Phrasen einen philosophischen und theoretischen Überbau bekommen, der in den Filmen nicht erkennbar ist. Es ist auch unklar, ob hier wirklich mit neuen Formen experimentiert wird, ob der Zuschauer wirklich zu neuen Erkenntnissen kommen kann oder ob die Macher einfach ihr Material nicht selbst sinnvoll ordnen wollen, auf jeden Gestaltungswillen verzichten und die Arbeit letztendlich dem Zuschauer überlassen.

Aber trotzdem sollte mehr experimentiert werden, sollte versucht werden, die Möglichkeiten der neuen Medien besser auszuschöpfen (wozu auch lange, ungeschnittene Interviews zählen können, wenn die Kamera nicht vom Gesagten ablenkt) und sich nicht nur auf animierte Diashows beschränken, wie das von Jaeger ausführlicher vorgestellte, mit dem Grimme Online Award ausgezeichnete 2470media/taz-Gemeinschaftsprojekt „Berlinfolgen“, die eigentlich nur eine auch mich nicht sonderlich beeindruckende selbstablaufende Diashow mit Tonspur waren. Dass mehr möglich ist, zeigt die New York Times mit „1 in 8 Million“.

Wenn Ihr also gute Dokumentarfilme kennt, hinterlasst einen Kommentar. Immerhin gehöre ich zu den Schizophrenen, die zwar schon Wochen ungesehener Filme bei sich herumliegen haben, aber immer noch neugierig sind.

Matthias Leitner/Sebastian Sorg/Daniel Sponsel (Hrsg.): Der Dokumentarfilm ist tot, es lebe der Dokumentarfilm – Über die Zukunft des dokumentarischen Arbeitens

Schüren, 2014

148 Seiten

16,90 Euro

Hinweise

Homepage zum Buch

DOK.forum (Filmfest mit und über Dokumentarfilme – der Urknall des Buches)

AG Dok (bzw. Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm – die Vereinigung deutscher Dokumentarfilmer)

Onlinefilm.org (Dokumentarfilme von deutschen Dokumentarfilmern)

realeyz (auch Spielfilme, solange sie nicht zu den Hollywood-Blockbustern gehören)

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