Neu im Kino/Filmkritik: Taffe Frauen: Hilary Swank in dem grandiosen Western „The Homesman“

Das „Million Dollar Baby“ Hilary Swank ist zurück als Mary Bee Cuddy, eine 1854 im Nebraska-Territorium allein lebende Frau, die sich trotzdem nach einem Mann sehnt. Irgendeinem Mann, der ihr bei der anstrengenden Feldarbeit hilft und sie vom Schmach der alleinstehenden Frau befreit. Auch in der Wildnis hält sie, soweit möglich, an den Errungenschaften der Zivilisation fest. Tommy Lee Jones zeigt dies in seinem zweiten Spielfilm „The Homesman“ in wenigen Szenen, die in wunderschönen Breitwand-Bildern von Kameramann Rodrigo Prieto („Argo“, „The Wolf of Wall Street“) die Mühsal des damaligen Lebens im dünn besiedelten Grenzland zeigen und die Bedeutung von Werten und dem Glaubens als Regelwerke, die hier nicht im Konflikt zueinander stehen und die einem einen absurden Halt vermitteln. Denn was kann, aus heutiger Sicht, gruseliger sein, als eine Frau zu beobachten, die ihrem Gast, den sie ehelichen möchte, ein Lied singt und die sich dabei auf dem Klavier begleitet. Allerdings ist das Klavier nur eine Stoffrolle mit Klaviertasten als Muster. Der Zukünftige ergreift die Flucht vor der resoluten Mary Bee, die ihm das Angebot einer Ehe wie ein Angebot für einen Ochsen unterbreitete. Sie ist, aus heutiger Sicht, die normalste und vernünftigste Frau im Outback. Sie ist allerdings auch selbstständig und bestimmend; was für den Zukünftigen der wirkliche Grund war, möglichst schnell Mary Bees Haus zu verlassen.
Deshalb nimmt sie auch, nachdem ein Farmer sich aus der Verantwortung stiehlt, an einer Auslosung teil, die ein Problem der Gemeinde lösen soll: drei Ehefrauen wurden auf weit auseinanderliegenden Farmen aus verschiedenen Gründen verrückt. Die eine wurde stumm, die andere tötete ihr Baby und die dritte wurde aggressiv. Jetzt sollen sie zurück nach Iowa in die Zivilisation gebracht werden. Weil sich niemand von den Männern freiwillig für diese Aufgabe meldet, wird in der Kirche ausgelost, wer die Aufgabe übernehmen soll. Das Los trifft auf Mary Bee – und die Männer sind ziemlich erleichtert, dass dieser Kelch an ihnen vorbeiging.
Mary Bee holt die auf weit voneinander liegenden Farmen in ihren Wohnungen gefangen gehaltene Frauen, Arabella (Grace Gummer), Theolina (Miranda Otto) und Gro (Sonja Richter), ab und macht sich mit ihnen, die in einer Gefängniskutsche angekettet sind, auf den 640 Kilometer langen, mehrere Wochen dauernden Weg nach Hebron, Iowa.
Begleitet wird sie von George Briggs (Tommy Lee Jones), einem Strauchdieb, der ein Haus besetzte und gehängt werden sollte. Als sie ihn zum ersten Mal trifft, sitzt er wimmernd in einteiliger Unterwäsche auf seinem Pferd, den mit schwarzem Schießpulver bedeckten Kopf in einer Schlinge. Sie rettet ihn und verlangt, dass er sie bei der Reise durch eine gefährliche und menschenfeindliche Landschaft begleitet.
Und, das kann verraten werden, die Indianer sind bei dieser Reise nicht die größte Gefahr für die fünf Menschen.
Vier Filme in fast zwanzig Jahren. Besonders produktiv ist Tommy Lee Jones als Regisseur nicht. Dabei knüpft er, wie Clint Eastwood, an das klassische Hollywoodkino an und erzählt düstere Geschichten über den Wilden Westen damals und heute. Sein Spielfilmdebüt war 2005 der grandiose Neo-Western „Three Burials – Die drei Begräbnisse des Melquiades Estrada“. Davor und danach drehte er je einen TV-Film. 1995 „Einmal Cowboy, immer ein Cowboy“ (nach einem Roman von Elmer Kelton) und 2011 „The Sunset Limited – Eine Frage des Glaubens“ (nach dem Stück von Cormac McCarthy).
Vier Filme, von denen keiner als „leichte Unterhaltung“ abgetan wurde und jeder wenigstens einige Nominierungen und viel Kritikerlob erhielt, auch wenn er dann, wie „Three Burials – Die drei Begräbnisses des Melquiades Estrada“ sang- und klanglos aus unseren Kinos verschwand oder nie im TV läuft.
Auch „The Homesman“ wird es gegen die Weihnachtsblockbuster schwer haben, aber er lohnt sich in jeder Sekunde. Denn es ist ein grandioser, wahrhaftiger, aufbauender, aber auch deprimierender Film, in dem der Wilde Westen als eine von nicht vollkommen zurechnungsfähigen, fehlerhaften Menschen bevölkerte, weitgehend menschenleere Landschaft gezeigt wird; was mit Sicherheit viel näher an der Wirklichkeit ist, als die üblichen Hollywood-Western.
Am Ende, wenn Tommy Lee Jones einen irren Tanz aufführt, kann nicht mehr daran gezweifelt werden, dass die Zeit von Westernhelden wie John Wayne und Clint Eastwood vorbei ist. Ein Schrat hat die Macht übernommen. Angeführt von einer resoluten Frau, begleitet von drei schweigsamen Verrückten.

Einer des schönsten Filme des Kinojahres.

The Homesman - Plakat

The Homesman (The Homesman, USA 2014)
Regie: Tommy Lee Jones
Drehbuch: Wes Oliver, Kieran Fitzgerald, Tommy Lee Jones
LV: Glendon Swarthout: The Homesman, 1988 (The Homesman – Es führt ein Weg zurück)
mit Tommy Lee Jones, Hilary Swank, Hailee Steinfeld, Meryl Streep, Grace Gummer, John Lithgow, Miranda Otto, Sonja Richter, James Spader, John Lithgow, William Fichtner
Länge: 123 Minuten
FSK: ab 16 Jahre

Hinweise
Amerikanische Homepage zum Film
Deutsche Homepage zum Film
Film-Zeit über „The Homesman“
Moviepilot über „The Homesman“
Metacritic über „The Homesman“
Rotten Tomatoes über „The Homesman“
Wikipedia über „The Homesman“ (deutsch, englisch)

Die Pressekonferenz in Cannes nach der Premiere

DP/30 unterhält sich mit Tommy Lee Jones über „The Homesman“

DP/30 unterhält sich auch mit Filmkomponist Marco Beltrami über „The Homesman“ und selbstverständlich seine anderen Filmmusiken

2 Responses to Neu im Kino/Filmkritik: Taffe Frauen: Hilary Swank in dem grandiosen Western „The Homesman“

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