Was wissen wir heute über die Menschenhändler? Also: wer sie sind, warum sie es tun und wie der Schmuggel organisiert ist?
Auch damals, als Fluchthelfer Menschen aus der DDR in den goldenen Westen schmuggelten, wusste man wenig über sie. Aber sie waren in den West-Medien ganz eindeutig die Guten. Heute sind es eher die Typen, die die Notlage von Flüchtlingen ausnutzen und sie dann im Mittelmeer in einem schrottreifen Boot zurücklassen. Ob sie überleben ist dann eine Glückssache. Die Chancen stehen, auch dank des – höflich formuliert – harten Grenzregimes der Europäischen Union schlecht.
Gleichzeitig wandelte sich seit dem Ende des Kalten Krieges das Bild vom altruistisch motivierten Fluchthelfer zum Manchester-Kapitalisten, der Menschen nur noch als Ware für ein Geschäft sieht, bei dem er Milliarden scheffeln kann.
Dieses Bild bedienen der an der Universität Trient lehrende Kriminologe Andrea Di Nicola und der Journalist Giampaolo Musemci auch in ihrem Buch „Bekenntnisse eines Menschenhändlers – Das Milliardengeschäft mit den Flüchtlingen“. Das ist der schwächere bis ärgerliche Teil des Buches. Denn einerseits reden sie immer von den gut verdienenden Hintermännern, die den Menschenschmuggel organisieren, aber sie kommen nicht zu Wort. Sie haben anscheinend auch keine Anwesen, in denen sie wohnen. Sie sind nur eine anonyme Chiffre. Sie scheinen sich vollkommen von den früheren Verbrechern, die mit ihrem Reichtum protzten, zu unterscheiden. Statt herrschaftlichem Anwesen gibt es bei den heutigen Hintermännern des Menschenschmuggels wohl die Tendenz zum unauffälligem Reihenhaus oder der Mietwohnung in einem Wohnblock und einem Horten des Geldes in Dagobert-Duck-Manier. Das erscheint mir nicht besonders glaubwürdig.
Glaubwürdiger sind dagegen die Gespräche, die Andrea Di Nicola und Giampaolo Musumeci in Italien, Nordafrika, der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien mit Menschenschmugglern führten, die zum Zeitpunkt des Gesprächs teilweise inhaftiert waren. Die Interviewten sind die Menschen, die als Bootskapitän über das Mittelmeer fahren oder über Waldpfade die Flüchtlinge über die europäischen Grenze schmuggeln. In diesen Momenten entsteht ein prosaisches Bild von Menschen, die oft notgedrungen und manchmal auch zufällig einen Job übernehmen und ihn möglichst gut erledigen wollen. Sie sehen sich dann auch nicht als böse Menschenhändler, sondern als Fluchthelfer. Als Dienstleister, die etwas anbieten, was nachgefragt wird und der Preis dafür steigt mit den Schwierigkeiten, die überwunden werden müssen. Insofern ist die Europäische Union der große Preistreiber, der die Grundlagen für „Das Milliardengeschäft mit den Flüchtlingen“ gelegt hat und immer weiter festigt.
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Andrea Di Nicola/Giampaolo Musumeci: Bekenntnisse eines Menschenhändlers – Das Milliardengeschäft mit den Flüchtlingen
(übersetzt von Christine Ammann)
Verlag Antje Kunstmann, 2015
208 Seiten
18,95 Euro
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Originalausgabe
Confessioni di un trafficante di uomini
Chiarelettere editore srl, 2014
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Hinweise
Verlag Antje Kunstmann über „Bekenntnisse eines Menschenhändlers“
Perlentaucher über „Bekenntnisse eines Menschenhändler“
Deutschlandfunk unterhält sich mit Andrea Di Nicola über sein Buch
