Am Ende von „Die Sirenen von Belfast“ hatte Detective Inspector Sean Duffy es sich mit seinen Vorgesetzten so verscherzt, dass er jetzt über einige Umwege in den Ruhestand geschickt wird, bis Kate vom MI5 bei ihm auftaucht und ihm eines dieser Angebote macht, die man nicht ablehnen kann. Jedenfalls wenn man, wie Sean Duffy, ein Vollblutpolizist ist. Und das will schon etwas im unruhigen Nordirland der frühen achtziger Jahre heißen, als Polizisten und Katholiken (das ist er auch) Freiwild für die IRA und alle anderen mehr oder weniger großen terroristischen Splittergruppen waren.
Er soll Dermot McCann finden. McCann ist ein Jugendfreund von Duffy, der inhaftiert wurde und am 25. September 1983 mit 38 anderen IRA-Häftlingen aus dem Hochsicherheitsgefängnis Maze ausbrechen konnte. Viele Ausbrecher wurden kurz darauf wieder verhaftet. Aber nicht McCann. Er tauchte unter. Seine Spur verlor sich in Libyen. Jetzt, einige Monate nach McCanns Flucht, befürchtet der Geheimdienst, dass McCann einen großen, aufsehenerregenden Anschlag plant.
Natürlich führen Duffys Ermittlungen, weil kein IRA-Mitglied und auch kein Familienmitglied ihm etwas sagt, zu nichts. Bis Duffy von Mary Fitzpatrik, der Ex-Schwiegermutter von McCann, ein weiteres Angebot erhält, das er nicht ablehnen kann: sie wird ihm sagen, wo McCann ist, wenn er den Mord an ihrer Tochter Lizzie aufklärt.
Die Sache hat nur einen Haken: Lizzie starb in einem verschlossenen Pub und alles deutet auf einen Unfall hin.
In seinem dritten Sean-Duffy-Roman, der unabhängig von den beiden anderen Romanen gelesen werden kann (muss man heute ja sagen), muss Duffy ein klassisches Locked-Room-Mystery lösen und Adrian McKinty, weist immer wieder, genussvoll auf die anderen bekannten Mordfälle in verschlossenen Räumen hin, ehe Duffy, nachdem er das Motiv erahnt, die verblüffend einfache Lösung findet. Denn selbstverständlich wurde Lizzie ermordet.
Umrahmt wird diese klassische Rätselgeschichte von einem Polit-Thriller-Plot, der, wie die vorherigen Duffy-Romane, untrennbar mit dem historischen Hintergrund verknüpft ist. Diese Zeitreise in die jüngere Vergangenheit macht, wieder einmal, einen beträchtlichen Teil des Vergnügens an Adrian McKintys Polizeiromanen aus. Am Ende von „Die verlorenen Schwestern“ entwirft McKinty auch eine mehr oder weniger alternative Geschichtsschreibung. Denn nicht nur der Ausbruch der IRA-Häftlinge, der bis jetzt größte Massenausbruch aus einem britischen Gefängnis, ist verbürgt. Auch das Ende entspricht einfach recherchierbaren Tatsachen. Mehr oder weniger; was aber nicht so wichtig ist. Denn „Die verlorenen Schwestern“ ist ja kein Sachbuch für Historiker, sondern ein spannender Polizeithriller, der letztes Jahr den australischen Krimipreis, den Ned Kelly Award, erhielt.
P. S.: Der Originaltitel stammt wieder aus einem Song von Tom Waits.
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Adrian McKinty: Die verlorenen Schwestern
(übersetzt von Peter Torberg)
Suhrkamp, 2015
384 Seiten
14,99 Euro
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Originalausgabe
In the Morning I’ll be gone
Serpent’s Tail, 2014
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Hinweise
Krimi-Couch über Adrian McKinty
Meine Besprechung von Adrian McKintys „Ein letzter Job“ (Falling Glass, 2011)
Meine Besprechung von Adrian McKintys „Der katholische Bulle“ (The cold cold Ground, 2012)
