Neu im Kino/Filmkritik: „Unfriend“ geht auch bei Toten nicht

Vor einem halben Jahr hatten in „Unknown User“ die Freunde von Laura Barns Ärger mit ihrem todbringenden Geist, der sich in einen ihrer Chats einmischte und sie tötete. Bei dem Horrorfilm beeindruckte vor allem die Idee, den gesamten Film aus der Perspektive einer vor dem Computerbildschirm sitzenden Person zu erzählen. Neunzig Minuten starrte man im Kino einen Computerbildschirm an und es war, trotz absurder Geschichte, erstaunlich spannend.
„Unfriend“ klingt jetzt, wegen ähnlicher Prämisse und eines Titelwirrwarrs zwischen Produktionstitel, Originaltitel und deutschem Titel, wie das Gleiche noch einmal. In „Unfriend“ nimmt die beliebte Studentin Laura die Freundschaftsanfrage der seltsamen Marina an. Marina ist neu an der Universität, künstlerisch begabt, schweigsam und immer, dank ausgelebter Gothic-Vorliebe, schwarz gekleidet. Laura wird, obwohl sie das hundertprozentige Gegenteil von Marina ist, Marinas erste Freundin auf ihrem Facebook-Profil.
Als Marina zunehmend obsessiv Laura verfolgt, will Laura die Freundschaft beendeten. Aber ein „Unfriend“ geht nicht und schnell wird Lauras Leben zum Höllentrip. Sie soll äußerst geschmacklose und schlimme Videos, auch Videos, in denen der Tod von mit ihr befreundeten Studenten gezeigt wird, posten. Immer mehr ihrer Freunde wollen keinen Kontakt mehr zu ihr haben und Laura kann nichts gegen die Posts auf ihrer Facebook-Seite machen. Denn sie kann ihr Profil, das anscheinend von einer anderen, sehr dunklen Macht gekapert wurde, nicht löschen.
Laura glaubt, dass Marina die Ursache ihrer Probleme ist.
„Unfriend“ erfindet den Horrorfilm nicht neu. Denn, und da verrate ich keine großen Geheimnisse, Marina ist ein Dämon und alles läuft auf eine finale Konfrontation zwischen Laura und Marina in der realen Welt (naja, so real eine Welt mit Dämonen halt ist) hinaus. In Teilen ist er auch, weil er einfach den Genreregeln folgt, erbärmlich unlogisch. Denn warum sucht Laura keine Hilfe, als sie ihr Facebook-Profil nicht löschen kann? Warum nervt sie die Anbieter der Seite nicht mehr? Es gibt nur einen ergebnislosen Anruf bei der Hotline. Warum informiert sie die Universitätsleitung, mit der sie mehrere Gespräche hat, nicht über ihr Problem? Vor allem: Warum redet sie nicht mit der Polizei darüber? Immerhin sind, nach den ersten schrecklichen Vorfällen, zwei durchaus hilfsbereite Polizisten in den Fall involviert. Hier hätten ein, zwei erklärende Szenen geholfen, ehe Laura sich allein auf den Weg zur Ursache ihrer Probleme macht. Diese Ursache und die damit zusammenhängende Mythologie werden dann allerdings sehr nachvollziehbar erklärt und Marinas Zeichnungen und Videoclips bieten Hinweise auf die Lösung. Und es gibt ein immer wieder gelungenes Spiel mit den Erwartungen des Zuschauers, die natürlich in bestimmten Momenten, wenn einer der Charaktere alleine durch seine dunkle Wohnung geht, erwarten, dass etwas unheimliches geschieht.
Außerdem ist „Unfriend“ angenehm altmodisch aufgenommen. Das heißt: die Wackelkamera hat gottseidank ausgedient. Die unbekannten Schauspieler machen ihre Arbeit gut und am Ende, beim Lesen des Abspann, gibt es eine große Überraschung. Denn so amerikanisch „Unfriend“ auch aussieht und der Film wurde für den amerikanischen und internationalen Markt gemacht, ist er in weiten Teilen eine deutsche Produktion. Regie, Drehbuch, Kamera, Produktion undsoweiter sind fest in deutscher Hand. Gedreht wurde vor allem in Kapstadt, Südafrika. Eigentlich kamen nur die Schauspieler nicht aus Deutschland. Aber das sieht man dem Film in keiner Sekunde an.

Unfriend - Plakat

Unfriend (Deutschland 2015)
Regie: Simon Verhoeven
Drehbuch: Simon Verhoeven, Philip Koch, Matthew Ballen
mit Alycia Debnam-Cary, William Moseley, Connor Paolo, Brit Morgan, Brooke Markham, Sean Marquette, Liesl Ahlers
Länge: 92 Minuten
FSK: ab 16 Jahre

Hinweise
Deutsche Facebook-Seite zum Film
Filmportal über „Unfriend“
Moviepilot über „Unfriend“
Wikipedia über „Unfriend“ (deutsch, englisch)

One Response to Neu im Kino/Filmkritik: „Unfriend“ geht auch bei Toten nicht

  1. […] Meine Besprechung von Simon Verhoevens „Unfriend“ (Deutschland 2015) […]

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