Scheitern als Chance? Der Polar Verlag hat Insolvenz angemeldet

Vor einigen Tagen schrieb Polar-Chef Wolfgang Franßen auf Facebook:

Der Polar Verlag hat Insolvenz beantragt und sucht einen Käufer. Für mich persönlich als Verleger eine bittere Niederlage. Wer mich kennt, weiß, wie sehr ich an diesem Verlag hing und wie sehr ich nun die Daumen drücke, dass sich ein Käufer findet.

Abseits des Mainstreams, in der Nische einen Verlag zu gründen, war nicht einfach. Dass er so schnell an Profil gewann, verdanke ich vielen Menschen, die mir geholfen haben. Alle ihre Namen aufzureihen, sprengt hier den Rahmen. Sie wissen, wen ich meine und das werde ich ihnen nie vergessen. Danke dafür.

Autoren einen Platz zu bieten, die mit ihren Geschichten womöglich sonst nicht erschienen wären, oder Geschichten von Autoren, die womöglich in Vergessenheit geraten wären, war mein Anliegen. Gute Geschichten überleben immer. Verlage nur, wenn sie genügend Bücher verkaufen.

Solange sie geschrieben werden, mache ich mir keine Sorgen, dass sie uns auch erreichen. Ich wünsche allen anderen Verlagen das Glück, das ich empfand, wenn ich auf sie gestoßen bin und sie mich in ihren Bann gezogen haben.

Wir brauchen Geschichten, um zu überleben, um unseren Blick zu schärfen, um hemmungslos in ihnen zu versinken.

All jenen, die in den kleineren Verlagen an der Grenze zur Selbstausbeutung da draußen kämpfen, ihnen Gehör zu verschaffen, drücke ich die Daumen. Auch jenen in den großen Verlagen, die ihre Autoren durchzusetzen versuchen. Es geht weiter. Vielleicht unter neuer Führung auch im Polar Verlag. Wenn nicht, gebt nicht auf, es lohnt sich.“

Dem Börsenblatt sagte er kurz darauf, dass er hoffe, dass es dem Insolvenzverwalter gelinge, den Verlag zu verkaufen. Erste Gesprächsangebote gäbe es schon.

Martin Compart nahm den Insolvenzantrag zum Anlass, etwas allgemeiner über die Wirkung von Besprechungen in Zeitungen nachzudenken:

Kaum ein Krimi-Verlag wurde von Kritikern und Feuilletonisten so gehätschelt wie der Polar Verlag. Ausgehend von der Wörtche-Maier-Clique, die man auch in die Verlagsarbeit eingebunden hatte, wurde der Verlag mit Rezensionen geradezu verwöhnt und überschüttet. Man galt als Darling der Crime-Szene. Aber das nutzte nicht, um genügend Bücher zu verkaufen um das Unternehmen profitabel zu machen.

Das bedeutet: Rezensionen in Print-Medien haben heutzutage so gut wie keine Bedeutung mehr um potentielle Käufer zu erreichen.

Eine Entwicklung, die ich schon seit Jahrzehnten zunehmend beobachte: In den 1980er Jahren reichte eine winzige Rezension – im PLAYBOY(!) etwa – aus, um einen – beispielsweise – Jim Thompson bei Ullstein nachzudrucken. (…)

Aber auch die Buchverkäufe über das Fernsehen funktionieren nicht mehr in derselben Größenordnung wie einst während des LITERARISCHEN FEUILLETONS „unter“ Reich-Ranicki. (…)

Trotzdem kann das Fernsehen noch immer Bücher auf die Bestsellerliste bringen. Und das kann das Print-Feuilleton schon lange nicht mehr. Ersteres ist zutiefst bedauerlich.“

Und CrimeNoir widmet sich der Frage „Was jetzt lesen?“:

Erstens findet sich gute Crime Fiction zum Glück natürlich nicht nur in diesen Kleinverlagen. Auch die “bösen” globalen Verlage, die ihr Geld oft mit anderen populären Büchern machen, haben sehr gute Crime Fiction in ihrem Programm.

Zweitens: Amerikaner, Briten und Australier können die meisten Leser ohnehin problemlos im Original lesen. Und ja, das kann auch das Gute an dieser Pleite sein: Nehmen wir doch wieder mehr Bücher im Original zur Hand. (…)

Drittens blendet das zwar einen großen Teil der Welt aus – dafür gibt es dann aber etwa den Unionsverlag, der sich guter Kriminalliteratur auf ungewöhnlichen Schauplätzen angenommen hat.“

Was kann ich da noch hinzufügen, ohne das bereits gesagt mit anderen Worten zu wiederholen oder fünfzig Zeilen Bedauern um das wenigstens vorläufige Scheitern dieses ambitionierten Nischenprojekts zu schreiben?

Ambitioniertes Nischenprojekt ist ein guter Startpunkt. Denn das Programm von Polar besteht nicht aus den großen, allgemein bekannten Namen, sondern aus Autoren, die in der Szene bekannt und beliebt sind. Es sind Autoren, die renommierte und wichtige Preise erhalten, deren Bücher regelmäßig in Bestenlisten auftauchen und die teilweise immer wieder veröffentlicht werden, wie Newton Thornburgs „Cutter und Bone“.

Allerdings ist die Hardboiled- und Noir-Szene auch im angloamerikanischen Raum überschaubar. Einige der hochgelobten Noir-Autoren werden, das gehört zur Ehrlichkeit dazu, auch in ihrer Heimat kaum gekauft und die Autoren haben immer wieder Schwierigkeiten, einen Verlag zu finden.

Und, was man nicht vergessen sollte, vorherige Noir-Projekte – wie „Dumont Noir“ und „HardCaseCrime“ bei Rotbuch – waren arg kurzlebig. Mein Eindruck war, dass das weniger am guten Willen des Verlags, sondern mehr an den Verkaufszahlen lag.

An der Qualität der Bücher lag es definitiv nicht und irgendwann habe ich aufgehört, zu zählen, wie oft Dumont die zuerst in der Noir-Reihe veröffentlichten Werke von George Pelecanos und James Sallis wieder veröffentlichten.

Pulp Master hält sich tapfer, aber mit wenigen Büchern pro Jahr. Jedes Pulp-Master-Buch (jüngst erschienen: „Small Crimes“ von David Zeltserman) ist wie Weihnachten und Ostern am gleichen Tag.

Grafit und Gmeiner sind ebenfalls reine Krimiverlage, die sich auf deutschsprachige Autoren konzentrieren. Das kann, muss aber nicht Noir sein. Verkaufen tut es sich.

Andere Verlage, wie Pendragon, Ariadne, Unionsverlag, Klett-Cotta, Suhrkamp und Heyne (mit der Hardcore-Reihe), fahren eine Mischkalkulation. Sie haben auch andere Bücher im Angebot (genaugenommen müsste man schreiben: sie haben auch Krimis im Angebot) und ihre Krimireihen konzentrieren sich nicht nur auf Noirs.

Letztendlich hilft nur, wie im Jazz (und da können Musiker, Plattenfirmen und Fans einen vielstimmigen, spontanen Klagechor intonieren), weitermachen und durchhalten. Die Autoren sind da. Die Buchandelslandschaft ist hier einzigartig gut. E-Books sind kein Ersatz (auch weil sie kaum beworben und besprochen werden). Was fehlt ist die Fankultur, mit Events und einem kulturellen Gedächtnis. So findet man mühelos zahlreiche Jazzfestivals, Jazzzeitschriften und mehr oder weniger seriöse Werke mit umfangreichen CD-Empfehlungen irgendwo zwischen „Die xxx besten Jazzplatten aller Zeiten“ und „Basis-Diskothek Jazz“ oder dem guten alten „Berendt“, über die dann trefflich nächtelang diskutiert werden kann.

Krimifestivals, wie demnächst das „Krimifest Tirol“ (14. – 21. Oktober 2017) oder der „Krimimarathon Berlin-Brandenburg“ (6. – 19. November 2017), sind normalerweise eine Ansammlungen von Lesungen von Autoren, die ihr neues Buch vorstellen. Das ist nicht so wahnsinnig interessant.

Und, ja, eine gute Literatursendung im Fernsehen zu einer guten Sendezeit wäre toll. Aber warum soll es der Literatur im Fernsehen besser als dem Kino und der Musik (Schlager und Volksmusik zählen nicht) gehen?

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